3. Verwechslungsgefahr erforderlich
a. Zum Verhältnis von § 5 Abs. 3 UWG zu § 4 Nr. 3 UWG
b. Verhältnis zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG
Gesetzestext
1) Unlauter handelt, wer eine irreführende geschäftliche Handlung vornimmt. ...
(3) Eine geschäftliche Handlung ist auch irreführend, wenn
-
- sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen einschließlich vergleichender Werbung eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft.
Der Tatbestand fand sich bis zum 27.5.2022 in § 5 Abs. 2 UWG und wurde mit Wirkung zum 28.5.2022 nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG verschoben.
Anwendungsbereich
OLG Frankfurt, Urt. v. 23.11.2017, 6 U 224/16, II.2
Es ist nicht ersichtlich, dass der deutsche Gesetzgeber den aus der Richtlinie entnommenen Tatbestand des Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29/EG (= UGP-Richtlinie) auf den B2B-Bereich erstrecken wollte. Notwendig ist also eine geschäftliche Handlung gegenüber Verbrauchern.
Wenn dieser Auffassung gefolgt wird, gilt zum Schutz von gewerblichen Abnehmern aber weiterhin das Verbot der Täuschung über die betriebliche Herkunft gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2. Dazu siehe hier.
Verwechslungsgefahr erforderlich
BGH, Urt. v. 15.8.2013, I ZR 188/11, Tz. 54 - Hard Rock Cafe
Die Vorschrift des § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) erfasst nur geschäftliche Handlungen als irreführend, die eine Verwechslungsgefahr mit anderen Waren oder Dienstleistungen oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorrufen. Auch § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG (a.F.) knüpft an die Eignung zur Täuschung über die betriebliche Herkunft einer Ware oder Dienstleistung an.
OLG Dresden, Urt. v. 15.11.2022, 14 U 849/22, II.2
Für die Auslegung der Vorschrift des § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG ist die Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 lit. a der UGP-Richtlinie heranzuziehen. Danach setzt der von der Klägerin geltend gemachte lauterkeitsrechtliche Anspruch voraus, dass die Rechtsverletzung im Zusammenhang mit der Produktvermarktung - wozu auch die Werbung für das Online-Angebot einer Bestellmöglichkeit gehört - erfolgt ist und hierdurch eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung der Klägerin hervorgerufen wurde. Eine Fehlvorstellung durch Produktverwechslung wird erzeugt, wenn der angesprochene Verkehr eine Angabe auf ein konkretes Produkt bezieht und daher erwartet, eben dieses Produkt zu erhalten, falls ihm die jeweilige Werbeangabe auf dem Markt begegnet. Tatsächlich erfüllt das beworbene Produkt die aufgrund der Werbeangabe hervorgerufene Erwartung des Verkehrs indessen nicht, wenn es wesentlich von dem erwarteten Produkt abweicht.
OLG Hamburg, Urt. v. 27.3.2014, 3 U 33/12, Tz. 106 - Montblanc Meisterstück
Die Anforderungen an die Verwechslungsgefahr im Tatbestand des § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) entsprechen den Anforderungen an die Täuschung über die betriebliche Herkunft (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 UWG (a.F.)) bzw. an die Herkunftstäuschung (§ 4 Nr. 9 a) UWG (a.F.), mit der Besonderheit, dass § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) nicht dem Schutz der Individualinteressen von Mitbewerbern, sondern dem Schutz der Marktgegenseite (Verbraucher und gewerbliche Abnehmer) dient (Bornkamm in: Köhler/Bornkamm, § 5 UWG Rn. 2.14).
OLG Köln, Urt. v. 3.5.2019, 6 U 111/18, Tz. 50
Der Begriff der Verwechselungsgefahr ist im Marken- und Wettbewerbsrecht im Wesentlichen (zu den Unterschieden vgl. Bornkamm/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen UWG, § 5 Rn. 9.6) einheitlich zu bestimmen, wobei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Eine Verwechselungsgefahr liegt vor, wenn im konkreten Kontext der Benutzung der Vermarktung die Gefahr besteht, dass der angesprochene Verkehr die Marken oder andere Kennzeichen, beispielsweise ein Unternehmenskennzeichen des Mitbewerbers verwechselt oder annimmt, dass sie aus wirtschaftlich verbundenen Unternehmen stammen.
Das OLG Köln prüft in der Entscheidung nach denselben Kriterien eine Verwechslungsgefahr zwischen zwei Unternehmenskennzeichen wie bei einer Verletzung nach §§ 5, 15 MarkenG.
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.6.2010, 6 U 53/10
Nach § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) ist eine geschäftliche Handlung irreführend und damit unlauter, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft. Ob § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) voraussetzt, dass es sich bei dem betroffenen Kennzeichen eines Mitbewerbers um ein markenrechtlich geschütztes Kennzeichen handelt, muss hier nicht entschieden werden. Ebenso kann offen bleiben, ob § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) auf die Fälle zu beschränken ist, in denen es um eine „qualifizierte“ betriebliche Herkunftsangabe geht, mit der der Verkehr Gütevorstellungen verbindet. Erforderlich ist jedenfalls – abweichend vom Markenrecht – eine tatsächlich bestehende Verwechslungsgefahr, die nur dann gegeben sein kann, wenn das betroffene Kennzeichen des Mitbewerbers eine gewisse Bekanntheit genießt (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, § 5 Rn 4.212 b).
OLG Hamburg, Urt. v. 8.9.2016, 3 U 54/14
Für eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne reicht aus, wenn der Verkehr annimmt, es handle sich bei dem angegriffenen Produkt um ein unter einer Zweitmarke vertriebenes Produkt des Originalherstellers, oder wenn er von lizenz- oder gesellschaftsvertraglichen Beziehungen zwischen den beteiligten Unternehmen ausgeht.
Dieses Verkehrsverständnis kann aber nicht an Merkmalen festgemacht werden, bei denen für den Verkehr kein Anlass besteht, sich über wirtschaftliche oder organisatorische Verbindungen zu einem anderen Anbieter Gedanken zu machen (OLG Hamburg, Urt. v. 8.9.2016, 3 U 54/14).
OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.2.2015, 15 U 70/14, Tz. 114
Es muss die ernstliche Gefahr bestehen, dass erhebliche Teile des angesprochenen Verkehrskreises den Eindruck gewinnen könnten, dass die betreffenden Waren identisch sind oder zwar unterschiedlich, aber aus dem selben Betrieb stammen oder aber zwar aus verschiedenen Betrieben, zwischen denen aber irgendwelche organisatorischen, rechtlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen bestehen. ...
Ebenso OLG Hamburg, Urt. v. 8.10.2015, 3 U 143/13, II.A.1.b
OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.2.2015, 15 U 70/14, Tz. 115
Ob eine solche Produktverwechslungsgefahr anzunehmen ist, ist eine Frage des Einzelfalls und beurteilt sich nach den jeweiligen konkreten Umständen, die in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Sie kann insbesondere auch durch ähnliche Werbeanzeigen, ähnliche Produktverpackungen oder durch eine bestimmte Warenform, von der der Verkehr auf die betriebliche Herkunft schließt, gegeben sein. Maßgeblich ist die Sicht des verständigen und angemessen aufmerksamen Durchschnittsverbrauchers.
BGH, Urt. v. 19.11.2015, I ZR 109/14, Tz. 29 – Hot Sox
Nach § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie im Zusammenhang mit der Vermarktung von Waren oder Dienstleistungen einschließlich vergleichender Werbung eine Verwechslungsgefahr mit einer anderen Ware oder Dienstleistung oder mit der Marke oder einem anderen Kennzeichen eines Mitbewerbers hervorruft. Dies kommt in einem Fall, in dem identische Produkte von verschiedenen Herstellern unter verschiedenen Marken angeboten werden, nur in Betracht, wenn die angesprochenen Verbraucher trotz der Vielzahl der Marken, unter denen die in Rede stehenden Originalprodukte vertrieben werden, allein anhand der äußeren übereinstimmenden Merkmale davon ausgehen, diese stammten von einem Hersteller oder aus der Produktion miteinander verbundener Unternehmen.
OLG Frankfurt, Urt. v. 23.11.2017, 6 U 224/16, II.2
Eine Verwechslung kann nur dann angenommen werden, wenn der Verkehr mit der "anderen Ware" eine Herkunftsvorstellung in Bezug auf ein bestimmtes Unternehmen verbindet. Dies ist bei Produkten nicht der Fall, die in großem Umfang unter verschiedenen Marken vertrieben werden.
Beispiel
OLG Dresden, Urt. v. 15.11.2022, 14 U 849/22, II.3.a
Die angesprochenen Interessenten verbinden mit den beanstandeten Angaben, wenn sie ihnen nach dem Gesamteindruck der Bestellstrecke begegnen, die Vorstellung, eben das beworbene Produkt, die „SCHUFA®*-Bonitätsauskunft“ aus dem Hause der Klägerin, zu erhalten. Unter dieser gleichlautenden Bezeichnung vertreibt die Klägerin selbst indessen eine Auskunft, die unbestritten anders aufbereitet ist als diejenige, die die Beklagte zu 1) für ihre Kunden bei der Klägerin beschafft – was der Verbraucher nicht erkennen kann (OLG München, Urt. v. 26.11.2020, 29 U 4340/20, S. 6). Das konkrete Angebot der Beklagten begründet daher eine Verwechslungsgefahr mit einem anderen, von der Klägerin konkret angebotenen Produkt.
Marke
OLG Frankfurt, Beschl. v. 7.3.2018, 6 U 180/17, II
Die Vorschrift setzt das Bestehen eines marken- oder kennzeichenrechtlichen Schutzes voraus (vgl. Köhler/Bornkamm-Feddersen, UWG, 35. Aufl., Rdz. 9.16 zu § 3 UWG).
Gleichnamige
BGH, Urt. v. 24.1.2013, I ZR 60/11, Tz. 44 – Peek & Cloppenburg III
Die Wertungen zum Recht der Gleichnamigen im Kennzeichenrecht sind auch im Bereich des § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) nachzuvollziehen (vgl. Bornkamm in FS Loschelder, 2010, S. 31, 37).
Ebenso BGH, Urt. v. 24.9.2013, I ZR 64/11, Tz. 51; OLG Köln, Urt. v. 3.5.2019, 6 U 111/18, Tz. 51
Konkurrenzen
Zum Verhältnis von § 5 Abs. 3 UWG zu § 4 Nr. 3 UWG
OLG Köln, Urt. v. 10.8.2012, 6 U 17/12, Tz. 29
Der Vorschrift kommt neben § 4 Nr. 9 a (alt) UWG für den Fall der Geltendmachung eines Anspruches durch den Wettbewerber kein eigener Anwendungsbereich zu.
OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.2.2015, 15 U 70/14, Tz. 114
Eine wettbewerbliche Eigenart im Sinne des § 4 Nr. 9 (alt) UWG der Ware, mit der das vermarktete Produkt verwechselt wird, ist bei § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) nicht erforderlich. Gleichfalls bedarf es weder einer Herkunftstäuschungsabsicht noch eines Verschuldens des geschäftlich Handelnden.
OLG München, Beschl. v. 12.7.2022, 29 W 739/22, Tz. 45
Die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 UWG (a.F., aktuell § 5 Abs. 3 Nr. 1 UWG) wegen des Vertriebs oder des Anbietens einer unlauteren herkunftstäuschenden Nachahmung einer Produktgestaltung sind - trotz des begrifflich abweichenden Gesetzestextes - dann erfüllt, wenn die Voraussetzungen einer vermeidbaren Herkunftstäuschung im Sinne des § 4 Nr. 3 lit. a) UWG vorliegen.
Verhältnis zu § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG
§ 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG verbietet u.a. eine Irreführung über die betriebliche Herkunft. Eine Verwechslungsgefahr ist hier nicht erforderlich. Es gelten die allgemeinen Irreführungsmaßstäbe (BGH, Urt. v. 15.8.2013, I ZR 188/11, Tz. 60 - Hard Rock Cafe).
Verhältnis zum Markenrecht
BGH, Urt. v. 15.8.2013, I ZR 188/11, Tz. 54 - Hard Rock Cafe
Einem auf Herkunftstäuschung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG (a.F.) gestützten Anspruch der Klägerin steht kein Vorrang des Markenrechts entgegen. Dritte, die nicht Markeninhaber sind, können seit Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG lauterkeitsrechtliche Ansprüche wegen Herkunftstäuschung geltend machen. An der bisherigen Rechtsprechung, nach der die durch eine bestimmte Kennzeichnung hervorgerufene Irreführung über die betriebliche Herkunft allein nach den Grundsätzen des Markenrechts zu beurteilen war (vgl. BGH, Urt. v. 22.11.2001, I ZR 138/99 - shell.de), kann aufgrund der ins deutsche Recht umgesetzten Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/29/EG nicht mehr festgehalten werden. Der individualrechtliche Schutz aus dem Markenrecht und der lauterkeitsrechtliche Schutz nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb be-stehen nunmehr nebeneinander (vgl. Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, § 5 Rn. 4.211 f.).
OLG Dresden, Urt. v. 15.11.2022, 14 U 849/22, IV.
Zwar sind bei der Anwendung der lauterkeitsrechtlichen Vorschriften zum Schutz vor Herkunftstäuschungen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 1 UWG im Einzelfall Wertungswidersprüche zum Markenrecht zu vermeiden. Dem Zeicheninhaber darf über das Lauterkeitsrecht keine Schutzposition eingeräumt werden, die ihm nach dem Kennzeichenrecht nicht zukommt (BGH GRUR 2018, 935 – goFit; BGH WRP 2016, 1236 - Baumann II, mwN). Im Streitfall geht es aber nicht um eine Herkunftstäuschung, sondern eine Produktverwechslung. Verwechselt werden nicht nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 2 UWG n.F. Kennzeichen, sondern nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 UWG n.F. Produkte (OLG München, Urt. v. 26.11.2020, 29 U 4340/20, S. 6). Beide Produkte – das in Aussicht gestellte und das beschaffte – stammen von der Klägerin, so dass keine Irreführung über die betriebliche Herkunft in Rede steht.
OLG Köln, Urt. v. 27.3.2015, 6 U 185/14, Tz. 41
Im Rahmen des lauterkeitsrechtlichen Verwechslungsschutzes sind die Wertungen des Kennzeichenrechts zu beachten. Vor allem müssen bei der Anwendung von § 5 Abs. 2 (a.F.) im MarkenG vorgesehene abschließende Regelungen beachtet werden; markenrechtliche Schutzschranken dürfen nicht dadurch konterkariert werden, dass der Anspruch statt auf §§ 14, Abs. 2, 15 Abs. 2 MarkenG auf §§ 3, 5 Abs. 2 UWG (a.F.) gestützt wird. Liegt keine markenrechtliche Verwechslungsgefahr vor, wird auch stets die Verwechslungsgefahr nach § 5 Abs. 2 UWG (a.F.) fehlen (vgl. Köhler/Bornkamm, § 5 Rn. 4.240 f. mit Verweis auf BGH GRUR 2011, 828, Tz. 36 – Bananabay II).