Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

A. Voraussetzung: Geschäftliche Handlung

1. Geschäftliche Handlung

2. Geschäftspraxis

Geschäftliche Handlung

BGH, Urt. v. 14.1.2016, I ZR 65/14, Tz. 67 - Freunde finden

Der Begriff der geschäftlichen Handlung dient dazu, den Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts gegenüber dem allgemeinen Deliktsrecht abzugrenzen.

OLG Frankfurt, Urt. v. 11.4.2019, 6 U 121/18 (zum Markenrecht)

Das geschäftliche Handeln ist positiv festzustellen. Es genügt nicht die bloße Vermutung (BGH GRUR 2008, 1099 Rn. 12 - afilias.de). Allerdings kommt es allein auf die erkennbar nach außen tretende Zielrichtung des Handelnden an (BGH aaO). Es ist nicht maßgeblich, ob der Verkäufer ein nach außen gewerblich erscheinendes Angebot intern für sich privat verbuchen möchte. Für die Voraussetzung des Handelns im geschäftlichen Verkehr ist primär der Kläger darlegungs- und beweispflichtig (vgl. BGH GRUR 2008, 702Tz. 46 - Internet-Versteigerung III). Den Beklagten trifft eine sekundäre Darlegungslast (BGH GRUR 2009, 871 Rn. 27 - Ohrclips).

Die Definition des Begriffs der geschäftlichen Handlung fand sich bis zum 27.5.2022 in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Mit Wirkung zum 28.5.2022 wurde sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG verschoben.

§ 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG

„‘geschäftliche Handlung‘ jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt; als Waren gelten auch Grundstücke, als Dienstleistungen auch Rechte und Verpflichtungen.

Eine geschäftliche Handlung liegt mithin vor, bei der

(wobei als Waren auch Grundstücke und als Dienstleistungen auch Rechte und Verpflichtungen gelten.)

Ob die fragliche Handlung vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss (Kauf, Auftrag etc.) begangen wird, ist gleichgültig.

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Geschäftspraxis

Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftpraktiken verwendet nicht den Begriff der geschäftlichen Handlung, sondern den Begriff der Geschäftspraxis.

Geschäftspraxis ist nach der verbindlichen Auslegung der Richtlinie durch den EuGH:

EuGH, Urt. v. 23.4.2009, C‑261/07 und C‑299/07, Tz. 49 - VTB/Total Belgium

Art. 2 Buchst. d der Richtlinie definiert den Begriff der Geschäftspraxis mit einer besonders weiten Formulierung als „jede Handlung, Unterlassung, Verhaltensweise oder Erklärung, kommerzielle Mitteilung einschließlich Werbung und Marketing eines Gewerbetreibenden, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängt“.

Ebenso EuGH, Urt. v. 20.7.22017, C-357/16, Tz. 19 - „Gelvora“

EuGH, Urt. v. 2.2.2023, C-208/21, Tz. 53 - Towarzystwo Ubezpieczeń

Der Begriff „Geschäftspraktiken“ in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 wird besonders weit definiert, da diese Praktiken zum einen gewerblicher Natur sein, d. h. von Gewerbetreibenden ausgeübt werden müssen, und zum anderen unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung von Produkten an Verbraucher zusammenhängen müssen. Insoweit hat der Gerichtshof zum einen klargestellt, dass der Ausdruck „unmittelbar mit … dem Verkauf … eines Produkts … zusammenhängt“ u. a. jede Maßnahme umfasst, die in Bezug auf den Abschluss eines Vertrags ergriffen wird, und dass der Begriff „Produkt“ im Sinne von Art. 2 Buchst. c der Richtlinie zudem jede Ware oder Dienstleistung bezeichnet. Zum anderen ergibt sich aus Art. 2 Buchst. b der Richtlinie, dass der Begriff „Gewerbetreibender“ „jede natürliche oder juristische Person“ erfasst, die eine entgeltliche Tätigkeit ausübt, sofern die Geschäftspraxis innerhalb der Tätigkeiten liegt, die diese Person im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornimmt, einschließlich dann, wenn diese Geschäftspraxis von einem anderen Unternehmen ausgeübt wird, das im Namen und/oder Auftrag dieser Person tätig wird.

EuGH, Urt. v. 17.10.2013, C-391/12, Tz. 36 f - Good News

Eine Geschäftspraktik im Sinne der Richtlinie liegt nur vor, wenn sich die betreffenden Praktiken in den Rahmen der Geschäftsstrategie eines Wirtschaftsteilnehmers einfügen und unmittelbar mit der Absatzförderung und dem Verkauf seiner Produkte und Dienstleistungen zusammenhängen, so dass sie Geschäftspraktiken im Sinne von Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29 darstellen und damit in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.

EuGH, Urt. v. 20.7.2017, C-357/16, Tz. 21 - „Gelvora“

Der Ausdruck „unmittelbar mit … dem Verkauf … eines Produkts … zusammenhängt“ umfasst jede Maßnahme, die nicht nur in Bezug auf den Abschluss, sondern auch in Bezug auf die Durchführung eines Vertrags ergriffen wird, insbesondere um die Bezahlung des Produkts zu erreichen.

Beispiele

EuGH, Urt. v. 2.2.2023, C-208/21, Tz. 59 - Towarzystwo Ubezpieczeń

Eine verpflichtende Mitteilung von vertraglichen Informationen vor dem Abschluss eines Vertrags, die zum einen … zu den Tätigkeiten gehört, die Unternehmen im Rahmen ihrer gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit vornehmen, und zum anderen unmittelbar mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrags im Sinne der Richtlinie 2002/83 durch diesen Verbraucher zusammenhängen, stellt eine „Geschäftspraxis“ im Sinne der Richtlinie 2005/29 dar.

EuGH, Urt. v. 20.7.2017, C-357/16, Tz. 25 - „Gelvora“

Eine Inkassogesellschaft erbringt für einen Verbraucher zwar keine Verbraucherkreditdienstleistung als solche; trotzdem fällt ihre Tätigkeit, die Beitreibung der ihr abgetretenen Forderungen, unter den Begriff der möglicherweise unlauteren „Geschäftspraktiken“ im Sinne der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, weil die von ihr ergriffenen Maßnahmen geeignet sind, die Entscheidung des Verbrauchers in Bezug auf die Bezahlung des Produkts zu beeinflussen.

Im Unterschied zum UWG findet die Richtlinie 2005/29/EG nur auf Geschäftspraktiken zwischen Unternehmern und Verbrauchern Anwendung. Außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie sind der deutsche Gesetzgeber und die Rechtsprechung berechtigt, den Begriff der geschäftlichen Handlung weiter zu fassen als den Begriff der Geschäftspraxis. Von dieser Berechtigung haben sie beim Begriff der geschäftlichen Handlung im deutschen UWG Gebrauch gemacht:

BGH, Urt. v. 30.4.2014, I ZR 170/10, Tz. 18 - Betriebskrankenkasse II

Der von der Richtlinie verwendeten Rechtsbegriff "Geschäftspraktik von Unternehmen gegenüber Verbrauchern" ... ist als Begriff des Unionsrechts autonom auszulegen (EuGH, Urteil vom 22. März 2012 - C-190/10, GRUR 2012, 613 Rn. 40 = EuZW 2012, 253 - Génesis/Boys Toys, mwN) und setzt eine marktbezogene wirtschaftliche Tätigkeit eines Unternehmens voraus (BGH, GRUR 2012, 288 Rn. 10 - Betriebskrankenkasse I).

BGH, Urt. v. 6.2.2014, I ZR 2/11, Tz. 13 - GOOD News II

Der Begriff der "geschäftlichen Handlung" gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG reicht weiter als der unionsrechtliche Begriff der "Geschäftspraktiken" in Art. 2 Buchst. d der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken, der nur Verhaltensweisen von Gewerbetreibenden umfasst, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung eines Produkts an Verbraucher zusammenhängen. Nach der Definition des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG erfasst der Begriff der "geschäftlichen Handlung" auch Maßnahmen gegenüber Unternehmern und sonstigen Marktteilnehmern sowie Verhaltensweisen, die sich unmittelbar gegen Mitbewerber richten. Ebenso werden Handlungen Dritter zur Förderung des Absatzes oder Bezugs eines fremden Unternehmens umfasst, die nicht im Namen oder im Auftrag des Unternehmers handeln.

Die erweiterte Fassung des Begroffs der geschäftlichen Handlung gegenüber dem Begriff der Geschäftspraxis gilt auch im Rahmen von Bestimmungen, die dem Verbraucherschutz dienen. Um in  den Anwendungsbereich der Richtlinie zu gelangen, reicht es nämlich nicht aus, dass es um Verbraucherschutz geht.

EuGH, Urt. v. 17.10.2013, C-391/12, Tz. 35 - Good News

Wenn eine nationale Bestimmung tatsächlich dem Verbraucherschutz dient, … und in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29 fällt, ist darüber hinaus erforderlich, dass die von der nationalen Bestimmung erfassten Verhaltensweisen Geschäftspraktiken im Sinne von Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie sind.

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