1. Was sind Direktvertriebssysteme
2. Verleiten zum Vertragsbruch
Was sind Direktvertriebssysteme
Direktvertriebssysteme zeichnen sich dadurch aus, dass der Anbieter einer Ware diese Ware nur selber oder über weisungsabhängige Vertreter oder Agenturen direkt an Endabnehmer vertreibt und den Zwischenhandel ausschließt. Derartige Direktvertriebssysteme sind wettbewerbsrechtlich geschützt, wenn der Anbieter mit dem Direktvertriebssystem legitime Interessen verfolgt (BGH, Urt. v. 11.9.2008, I ZR 74/06, Tz. 26 - bundesligakarten.de). Bei legitimen Direktvertriebssystemen ist es unzulässig, dass ein nicht autorisierter Zwischenhändler sich die Waren (einschließlich Eintrittskarten oder sonstigen Inhaberkarten) zum Zwecke des weiteren Vertriebs durch ein Verleiten zum Vertragsbruch oder durch Täuschung (Schleichbezug) verschafft.
Schleichbezug
Ein Schleichbezug liegt vor, wenn ein Wiederverkäufer gegenüber dem Anbieter einer Ware so tut, als sei er zum Bezug berechtigt, obwohl er die vom Anbieter aufgestellten Voraussetzungen für eine Belieferung nicht erfüllt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn jemand von einem Anbieter Waren einkauft, um sie weiter zu verkaufen, obwohl er weiß, dass der Anbieter seine Waren nur im Direktvertrieb an Endabnehmer und nicht an Wiederverkäufer verkaufen will und dies in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen auch klar zum Ausdruck bringt.
BGH, Urt. v. 11.9.2008, I ZR 74/06, Tz.27 - bundesligakarten.de
Der Unlauterkeitstatbestand des Schleichbezugs ist zum Schutz selektiver Vertriebssysteme entwickelt worden. Nach der Rechtsprechung des BGH gelten die dort zum Schleichbezug entwickelten und nach wie vor anerkannten Grundsätze aber für Direktvertriebssysteme entsprechend. Gegenüber einer Täuschung über die Wiederverkaufsabsicht gebührt dem Anbieter von Waren oder Dienstleistungen, der sich in zulässiger Weise dafür entschieden hat, sein Angebot selbst oder über von ihm weisungsabhängige Vertreter oder Agenturen abzusetzen, derselbe wettbewerbsrechtliche Schutz wie dem Lieferanten, der mit unabhängigen Händlern ein selektives Vertriebssystem errichtet hat. Der Schleichbezug der Beklagten ist in Folge dessen unabhängig davon unlauter, wie die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und seinen Verkaufsstellen ausgestaltet sind.
BGH, Urt. v. 11.9.2008, I ZR 74/06, Tz.22 ff - bundesligakarten.de
Im geltenden Unlauterkeitsrecht ist der Schleichbezug in die Fallgruppe der gezielten Mitbewerberbehinderung (§ 4 Nr. 10 UWG) einzuordnen. Der Schwerpunkt des Unlauterkeitsvorwurfs liegt in der Behinderung eines Vertriebskonzepts, mit dem der Hersteller oder Dienstleistungserbringer legitime Absatzinteressen verfolgt.
Die Beklagten können die Waren direkt beim Kläger oder seinen Verkaufsstellen nur durch Täuschung über ihre Wiederverkaufsabsicht – selbst oder unter Einschaltung von Strohmännern – erwerben. Der Kläger hat in der Abmahnung unter Beifügung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen deutlich gemacht, dass er gewerblichen Wiederverkäufern keine Waren verkauft. Nach Nr. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen sagen die Beklagten bei jeder Bestellung verbindlich zu, die Ware ausschließlich für private Zwecke zu nutzen. Tatsächlich wollen sie diese aber von vornherein in Ausübung ihres Gewerbes weiterverkaufen.
Durch die Täuschung über ihre Wiederverkaufsabsicht behindern die Beklagten den Kläger bei der Durchführung seines Vertriebssystems. Da grundsätzlich jeder Wettbewerb die Mitbewerber zu beeinträchtigen vermag, müssen zwar weitere Umstände hinzutreten, damit von einer unzulässigen individuellen Behinderung gesprochen werden kann. Bei der gebotenen Abwägung der maßgeblichen Einzelumstände und widerstreitenden Interessen erweist sich die Behinderung aber als unlauter.
BGH, Urt. v. 30.4.2014, I ZR 224/12, Tz. 28 - Flugvermittlung im Internet
Der Gesichtspunkt des Schleichbezugs kann den Tatbestand einer gezielten Mitbewerberbehinderung im Sinne von § 4 Nr. 10 UWG erfüllen. Der Schwerpunkt des Unlauterkeitsvorwurfs dieser Fallgruppe liegt in der Behinderung eines Vertriebskonzepts, mit dem der Hersteller oder Dienstleistungserbringer legitime Absatzinteressen verfolgt (BGH, Urt. v. 11.9.2008, I ZR 74/06, Tz. 22 - bundesligakarten.de). Nach diesen Grundsätzen kann auch ein Direktvertriebssystem, bei dem sich ein Anbieter von Waren oder Dienstleistungen in zulässiger Weise dafür entschieden hat, sein Angebot selbst oder über von ihm weisungsabhängige Vertreter oder Agenturen abzusetzen, Schutz gegen eine Täuschung über die Wiederverkaufsabsicht genießen (BGHZ 178, 63 Rn. 27 - bundesligakarten.de).
unter Aufhebung von OLG Hamburg, Urt. v. 24.10.2012, 5 U 38/10, II.3.c.cc - RyanAir
Die Unlauterkeit des Schleichbezugs wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Unternehmer erkennen könnte, dass der andere von ihm Waren oder Dienstleistungen im Schleichbezug bezieht.
In Hinwegsetzen über allgemeine Geschäftsbedingungen an sich liegt aber noch kein Unlauterkeitsmoment:
BGH, Urt. v. 30.4.2014, I ZR 224/12, Tz. 34 f - Flugvermittlung im Internet
Allein darin liegt keine unlautere Behinderung, dass sich die Beklagte über den in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen geäußerten Willen der Klägerin hinweggesetzt hat, keine gewerbliche Vermittlung von Flügen anhand von Daten vorzunehmen, die der Internetseite der Klägerin entnommen worden sind. Die Unlauterkeit kann nicht schon allein darin gesehen werden, dass das Verhalten des Mitbewerbers dem Willen des Unternehmers widerspricht. Dem Willen eines Unternehmers werden regelmäßig alle und damit auch dem Wesen des lauteren Wettbewerbs entsprechende Verhaltensweisen eines Mitbewerbers widersprechen, die den Unternehmer in seinen eigenen wettbewerblichen Entfaltungsmöglichkeiten beschränken. Allein der Umstand, dass die Beklagte sich als Mitbewerberin der Klägerin über deren Willen hinwegsetzt, ihre Flüge nur über die eigene Internetseite zu vertreiben, damit der Kunde die dort vorhandene Werbung und die kostenpflichtigen Zusatzangebote zur Kenntnis nehmen kann, kann einen Unlauterkeitsvorwurf nicht begründen.
Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass die Klägerin ihren Willen in ihren Geschäftsbedingungen ausdrücklich geäußert hat. Das bloße Sich-Hinwegsetzen über Vertragsbedingungen reicht für die Bewertung einer geschäftlichen Handlung als wettbewerbswidrig regelmäßig nicht aus, weil dies zu einer Verdinglichung schuldrechtlicher Pflichten führt, die mit der Aufgabe des Wettbewerbsrechts nicht im Einklang stünde. Erforderlich ist auch insoweit das Hinzutreten besonderer Umstände, die das Wettbewerbsverhalten als unlauter erscheinen lassen (vgl. BGH, Urt. v. 1.12.1999, I ZR 130/96 - Außenseiteranspruch II; Urt. v. 11.1.2007, I ZR 96/04, Tz. 19 - Außendienstmitarbeiter).
Anders kann es aber aussehen, wenn sich der Mitbewerber gezielt über technische Schutzmaßnahmen hinwegsetzt:
BGH, Urt. v. 30.4.2014, I ZR 224/12, Tz. 37 f - Flugvermittlung im Internet
Die Überwindung einer technischen Schutzvorrichtung, mit der ein Mitbewerber verhindert, dass sein Internetangebot von der Allgemeinheit genutzt werden kann, kann ein Umstand sein, der einen Unlauterkeitsvorwurf begründet. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich ein Unternehmer, der sein Angebot im Internet öffentlich zugänglich macht, im Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit des Internets daran festhalten lassen muss, dass die von ihm eingestellten Informationen durch übliche Suchdienste in einem automatisierten Verfahren aufgefunden und dem Nutzer entsprechend seinen Suchbedürfnissen aufbereitet zur Verfügung gestellt werden. Er muss deshalb auch hinnehmen, dass ihm Werbeeinnahmen verlorengehen, weil die Nutzer seine Internetseite nicht aufsuchen (vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2003, I ZR 259/00 - Paperboy). Dagegen ist das Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit des Internets dann nicht mehr betroffen, wenn der Unternehmer durch technische Maßnahmen verhindert, dass eine automatisierte Abfrage der Daten seines Internetangebots möglich ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.7.2003, I ZR 259/00 - Paperboy; vgl. auch Deutsch, GRUR 2009, 1027, 1032).
Einer solchen technischen Maßnahme steht jedoch die Notwendigkeit nicht gleich, durch Setzen eines Hakens zu dokumentieren, die Geschäfts- und Nutzungsbedingungen der Klägerin zu akzeptieren. Mit einem solchen Erfordernis, das der Verbraucher als übliche Vorgehensweise bei Bestellvorgängen im Internet kennt, will der Unternehmer vor allem sicherstellen, dass die Bedingungen in den zu schließenden Vertrag einbezogen werden. Diese primär vertragsrechtliche Maßnahme kann einer Begrenzung der Nutzung der Internetseite durch technische Maßnahmen gegen eine automatisierte Abfrage nicht gleichgesetzt werden. Mit dem Setzen des Hakens wird lediglich dokumentiert, dass der Nutzer den für die Annahme einer unlauteren Behinderung für sich genommen unbeachtlichen Willen der Klägerin im Hinblick auf die gewünschte Nutzung ihres Buchungsportals zur Kenntnis nehmen konnte. Ein das Unlauterkeitsurteil begründender besonderer Umstand liegt darin nicht.
Verleiten zum Vertragsbruch
Ein Direktvertriebssystem kann auch dadurch behindert werden, dass der Unternehmer Mitarbeiter oder sonstige Personen, die in den Direktverkauf eingebunden sind, zum Vertragsbruch verleitet. Er täuscht dann nicht über seine Wiederverkaufsabsicht, verhält sich mit seinem Verleiten des anderen zu einem Vertragsbruch gegenüber dem Direktvertreiber aber trotzdem wettbewerbswidrig. Zum Verleiten zum Vertragsbruch siehe hier.
Zitiervorschlag zur aktuellen Seite
Omsels, Online-Kommentar zum UWG: