Als Verkehrskreis oder angesprochener Verkehr bezeichnet man die Gruppe von Personen, an die sich eine geschäftliche Handlung richtet.
An welchen Verkehrskreis oder welche Verkehrskreise, d.h. an welche Adressaten oder an welches Publikum, sich eine geschäftliche Handlung richtet, muss im Einzelfall aufgrund der geschäftlichen Handlung bestimmt werden.
BGH, Urt. v. 9.9.2021, I ZR 125/20, Tz. 45 - Influencerin II
Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 UWG ist auf die Sicht des durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen und verständigen Verbrauchers abzustellen, der zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehört. ... Auf die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrundeliegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, ins-besondere Kinder und Jugendliche, ist gemäß § 3 Abs. 4 Satz 2 UWG im Übrigen nicht schon dann abzustellen, wenn möglicherweise auch diese durch die fragliche geschäftliche Handlung beeinflusst werden, sondern nur dann, wenn voraussichtlich und vorhersehbar allein das geschäftliche Verhalten dieser Verbrauchergruppe wesentlich beeinflusst wird.
Innerhalb eines Verkehrskreises kann nur ausnahmsweise weiter differenziert werden.
BGH, Urt. v. 25.11.2021, I ZR 148/20, Tz. 20 – Kopplungsangebot III
Bei der Ermittlung der Verkehrsauffassung ist das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft von einer gespaltenen Verkehrsauffassung ausgegangen. Es hat bei den Kunden der Beklagten zwischen Kleinbetrieben, Gewerbetreibenden sowie Einzelhandelsgeschäften einerseits und Unternehmen, juristischen Personen sowie Behörden andererseits unterschieden und angenommen, Kunden aus der ersten Gruppe würden die Quersubventionierung nicht erkennen. Eine derartige Differenzierung innerhalb eines einzigen angesprochenen Verkehrskreises widerspricht dem Grundsatz, dass es bei der Beurteilung der Irreführungsgefahr auf die Auffassung des durchschnittlich verständigen und vernünftigen Marktteilnehmers ankommt (zur Irreführung von Verbrauchern vgl. BGH, Urt. v. 24.7.2014, I ZR 221/12, Tz. 33 - Original Bach-Blüten). Eine andere Beurteilung ist nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn die Sicht verschiedener Verkehrskreise zu ermitteln ist, die sich - wie etwa der allgemeine Verkehr und Fachkreise oder unterschiedliche Sprachkreise - objektiv voneinander abgrenzen lassen. Innerhalb eines einzigen Verkehrskreises scheidet eine gespaltene Verkehrsauffassung dagegen aus.
Ebenso OLG Köln, Urt. v. 28.7.2023, 6 U 175/22, Tz. 38 zu türkischen Lebensmitteln im deutschen Einzelhandel
BGH, Urt. v. 22.09.2021, I ZR 192/20, Tz. 16 – Flying V
Nach den allgemeinen Grundsätzen ist bei der Prüfung der Voraussetzungen einer unlauteren Nachahmung gemäß § 4 Nr. 3 UWG die Sicht eines normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen durchschnittlichen Angehörigen des angesprochenen Verkehrskreises maßgeblich. … Eine andere Beurteilung ist nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn … die Sicht verschiedener Verkehrskreise zu ermitteln ist, die sich - wie etwa der allgemeine Verkehr und Fachkreise oder unterschiedliche Sprachkreise - objektiv voneinander abgrenzen lassen.
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.3.a.bb
Bei Produkten, die für den Endverbraucher bestimmt sind, kann grundsätzlich kein geteiltes Verkehrsverständnis angenommen werden. … Sie ist mit der Sichtweise eines Durchschnittsverbrauchers im Grundsatz nicht zu vereinbaren. Sie ist nur ausnahmeweise gerechtfertigt, wenn es auf die Sicht von Verkehrskreisen ankommt, die sich - wie z.B. Fachkreise oder unterschiedliche Sprachkreise - objektiv von dem allgemeinen Verkehr abgrenzen lassen. Innerhalb eines einzigen Verkehrskreises scheidet eine gespaltene Verkehrsauffassung aus (BGH WRP 2015, 732 Rn 23 - PINAR; BGH GRUR 2022, 160 Rn 16 - Flying V).
Beispiel
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.3.a.bb
Biomarktkäufer sind kein gegenüber dem allgemeinen Verkehr klar abgrenzbarer Verkehrskreis. Es gibt nicht nur Personen, die immer oder gar nicht, sondern einen ganz erheblichen Anteil von Personen, die gelegentlich in Biomärkten einkaufen. Eine trennscharfe Abgrenzung eines Verkehrskreises mit höherem Informations- oder Bildungsgrad ist daher nicht möglich. Maßgeblich ist daher allein das Verständnis des allgemeinen Durchschnittsverbrauchers.
Wenn sich eine geschäftliche Handlung in der Öffentlichkeit nur an Gewerbetreibende richten soll, muss dies vom Unternehmer unmissverständlich klar gemacht und abgesichert werden:
OLG Hamm, Urt. v. 16.11.2016, 12 U 52/16, Tz. 39 ff
Eine Beschränkung des Internetangebots auf Gewerbetreibende ist grundsätzlich möglich. Das folgt aus der im Zivilrecht geltenden Privatautonomie. ...
Erforderlich ist, dass der Wille des Unternehmers, ausschließlich mit Gewerbetreibenden zu kontrahieren, klar und transparent zum Ausdruck gebracht wird. Da der Inhalt seiner Erklärung aus der objektivierten Sicht des Erklärungsempfängers auszulegen ist, kommt es darauf an, ob der Wille erkennbar zum Ausdruck kommt und von einem durchschnittlichen Empfänger nicht etwa übersehen oder missverstanden werden kann. Dafür bedarf es neben deutlicher Hinweise an geeigneter Stelle auch, dass der Ausschluss von Verträgen mit Verbrauchern in erheblichem Maße sichergestellt ist (OLG Hamm MMR 2012, 596, Tz. 31; OLGR Hamm 2008, 673, Tz. 31 f.; NJW-RR 2002, 1634 f.).
In der Literatur wird darüber hinaus verlangt, dass das abgeschlossene Rechtsgeschäft tatsächlich dem selbständigen Zweck der Vertragspartei zuzuordnen ist; weisen das angegebene Gewerbe und die Art und Menge des Verkaufsgegenstands keinen eindeutigen Bezug zueinander auf, sei im Zweifel von einem Verbrauchergeschäft auszugehen (vgl. Hönninger in jurisPK-BGB, 7. Aufl. 2014, § 355 Rn. 12).
Maßstab der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung ist immer der situationsadäquat aufmerksame, durchschnittlich verständige und informierte Vertreter des Verkehrskreisen, an den sich eine geschäftliche Handlung richtet. Um diesem Maßstab gerecht zu werden, muss im Einzelfall festgestellt werden, welche Kenntnisse und Eigenschaften ein durchschnittlicher Vertreter des jeweils angesprochenen Verkehrskreises hat, und wie er sich in seiner Situation als durchschnittlicher Vertreter des Verkehrsskreises verhält.
Als Verkehrkreise kommen Verbraucher, besonders schutzbedürftige Verbraucher oder Fachkreise in Betracht. Zu den Verbraucher als Verkehrskreisen heißt es in § 3 Abs. 4 UWG:
Bei der Beurteilung von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Geschäftliche Handlungen, die für den Unternehmer vorhersehbar das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrunde liegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, sind aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen.
Es ist demnach zu unterscheiden zwischen einer Werbung, die sich allgemein an Verbraucher richtet und einer Werbung gegenüber besonders schutzbedürftigen und eindeutig identifizierbaren Gruppen von Verbrauchern.
Die folgende Entscheidung stammt aus der Zeit vor der UWG-Reform 2015, zu der sich die Regelung des heutigen § 3 Abs. 4 S. 2 UWG noch in § 3 Abs. 2 S. 3 UWG (a.F.) befand.
BGH, Urt. v. 12.12.2013, I ZR 192/12, Tz. 14, 16f - Goldbärenbarren
Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG ist auf die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds einer unter anderem aufgrund von Alter oder Leichtgläubigkeit besonders schutzbedürftigen und eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern abzustellen, wenn eine Werbung für den Unternehmer vorhersehbar nur diese Gruppe betrifft. Diese Bestimmung dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Daraus ergibt sich, dass das Tatbestandsmerkmal "nur diese Gruppe betrifft" in § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG zu verstehen ist im Sinne von "nur das wirtschaftliche Verhalten (einer der bestimmt bezeichneten besonders schutzbedürftigen Verbrauchergruppen) wesentlich beeinflusst" (vgl. auch Erwägungsgründe 18 Satz 3 und 19 der Richtlinie 2005/29/ EG).
Nicht erforderlich ist, dass sich eine geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe schutzbedürftiger Verbraucher "wendet" (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 2 UWG) oder - wie bei Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG (vgl. Rn. 30) - auf sie abzielt. Für die Anwendung von Satz 3 ist es vielmehr erforderlich, aber auch ausreichend, dass die geschäftliche Handlung voraussichtlich und vorhersehbar allein das geschäftliche Verhalten dieser Verbrauchergruppe wesentlich beeinflusst. …
Danach ist der strengere Prüfungsmaßstab des § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG nicht schon heranzuziehen, wenn möglicherweise auch Kinder und Jugendliche durch die fragliche Geschäftspraktik beeinflusst werden, weil sie jedenfalls auch von ihr angesprochen werden. … Der von der Richtlinie bezweckte Schutz der Kinder und Jugendlichen wird im deutschen Recht durch die Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG und durch § 4 Nr. 2 UWG gewährleistet. Da § 4 Nr. 2 UWG nicht erfordert, dass eine geschäftliche Handlung nur auf schutzbedürftige Verbraucher abzielt oder sich nur ihnen gegenüber auswirken kann, reicht es dort aus, dass sich eine Werbung jedenfalls auch gezielt an Kinder und Jugendliche wendet.
BGH, Urt. v. 12.12.2013, I ZR 192/12, Tz. 21, 23 - Goldbärenbarren
Anders als bei Satz 3 kommt es bei § 3 Abs. 2 Satz 2 Fall 2 UWG nicht auf die Verhaltensbeeinflussung, sondern auf die Zielrichtung der Werbung an. Erforderlich ist, dass sie sich an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, sie also gezielt anspricht.
Siehe auch Verbraucher, Verbraucherleitbild und Verkehrsverständnis.
Zitiervorschlag zur aktuellen Seite
Omsels, Online-Kommentar zum UWG: