3. Rechtsprechung zu § 8 Abs. 4 UWG (a.F.)
Gesetzestext und -begründung
(2) Eine missbräuchliche Geltendmachung ist im Zweifel anzunehmen, wenn
2. … anzunehmen ist, dass der Mitbewerber das wirtschaftliche Risiko des außergerichtlichen und gerichtlichen Vorgehens nicht selbst trägt
Kommentierung
Aus der Zeit vor der UWG-Reform 2020 waren hierzu drei Konstellationen bekannt: das wirtschaftliche Risiko trägt der abmahnende Rechtsanwalt, der seinem Mandanten für die Abmahnung und ein gerichtliches Vorgehen keine Kosten in Rechnung stellt und dafür den Aufwendungs- oder Kostenerstattungsanspruch behält oder ihn mit seinem Mandanten aufteilt; oder der Prozessfinanzierer, der das wirtschaftliche Risiko für den Abmahnenden übernimmt und dafür einen Teil des Schadenersatzes oder Gewinnabschöpfungsanspruchs abbekommt, den der Abmahnende erzielt; und schließlich ein sonstiger Dritter, der wie ein Prozessfinanzierer auftritt. In allen drei Fällen wurde bislang schon ein Rechtsmissbrauch angenommen.
Rechtsprechung zu § 8 Abs. 4 UWG (a.F)
Rechtsanwalt
Ein Indiz für ein missbräuchliches Vorgehen ist es, wenn der Abmahnende an der Verfolgung des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes kein nennenswertes wirtschaftliches Interesse haben kann, sondern seine Rechtsverfolgung aus der Sicht eines wirtschaftlich denkenden Gewerbetreibenden allein dem sachfremden Interesse der Belastung seiner Mitbewerber mit möglichst hohen Kosten dient. Das ist etwa der Fall, wenn der Prozessbevollmächtigte des Klägers das Abmahngeschäft "in eigener Regie" betreibt, allein um Gebühreneinnahmen durch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen zu erzielen.
Ebenso BGH, Urt. v. 14..2.2019, I ZR 6/17, Tz. 21 - Kündigung der Unterlassungsvereinbarung; OLG Nürnberg, Urt. v. 15.1.2019, 3 U 724/18, Tz. 27OLG Hamburg, Urt. v. 11.8.2016, 3 U 56/15
KG, Beschl. v. 8.7.2008, 5 W 34/08, I.2.a
Rechtsmissbrauch im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG (a.F.) ist anzunehmen, wenn ein Rechtsanwalt den Auftraggeber ganz oder teilweise vom Kostenrisiko freistellt.
Ebenso KG, Beschl. v. 03.08.2010 - 5 U 82/08: OLG Hamburg, Urt. v. 11.8.2016, 3 U 56/15
OLG Frankfurt, Urt. v. 24.9.2015, 6 U 60/15, II.5
Der Vorwurf des Rechtsmissbrauchs wäre gerechtfertigt, wenn die Geltendmachung der Ansprüche vorwiegend dazu diente, Gebührenansprüche entstehen zu lassen. Da der Antragstellerin selbst derartige Ansprüche allerdings nicht zustehen können, setzt der Vorwurf des Gebührenerzielungsinteresses ein kollusives Zusammenwirken zwischen Partei und Anwalt in der Weise voraus, dass der Anwalt zum Zwecke der Erzeugung eigener Gebührenansprüche seinen Mandanten vollständig oder zum größten Teil von den mit der Führung der Prozesse verbundenen Kostenrisiken freistellt, d.h. die Partei nur als "Strohmann" ihres Anwalts fungiert.
Ebenso OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.3.2016, 6 W 21/16; OLG Frankfurt, Beschl. v. 4.2.2016, 6 W 10/16; OLG Frankfurt, Urt. v. 21.6.2018, 6 U 74/17, I.1.b.aa; OLG Nürnberg, Urt. v. 15.1.2019, 3 U 724/18, Tz. 29
BGH, Vers.-Urt. v. 26.8.2018, I ZR 248/16, Tz. 21 – Abmahnaktion II
Aber
OLG Celle, Urt. v. 8.12.2016, 13 U 72/16, Tz. 27
Der Umstand, dass die Klägerin die für die Abmahntätigkeit angefallenen Rechtsanwaltskosten ihrer Prozessbevollmächtigten noch nicht bezahlt hat, führt nicht zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs. … Die noch ausstehende Zahlung ist nicht gleichbedeutend mit einer Abrede zwischen der Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten dahingehend, dass die Klägerin überhaupt keine Kosten zu tragen hat, wenn die Abmahnkosten nicht vom Gegner vereinnahmt werden. … Das Gesetz kennt keine Vorschusspflicht des Abmahnenden; vielmehr kann § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG für den Fall, dass der Abmahnende die Kosten noch nicht beglichen hat, anstelle eines Erstattungsanspruchs einen Freistellungsanspruch begründen (vgl. Köhler/Bornkamm, a. a. O., § 12 Rn. 1.92a).
OLG Celle, Urt. v. 8.12.2016, 13 U 72/16, Tz. 28
Die Mitarbeit der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bei Testkäufen führt nicht dazu, dass die Rechtsanwälte das Abmahngeschäft in eigener Regie betrieben haben.
KG Berlin, Urt. v. 2.2.2018, 5 U 110/16, B.1.c
Eine Abrede zwischen Rechtsanwalt und Mandant, dem Rechtsanwalt eine Gebühreneinnahmequelle zu verschaffen, indem im Namen des Mandanten in einer Vielzahl von Fällen wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden, obwohl eine Anspruchsberechtigung nicht besteht (§ 8 Abs. 4 Satz 1 UWG), erfüllt jedenfalls dann den objektiven Tatbestand der sittenwidrigen Schädigung im Sinne des § 826 BGB, wenn die Vermögensverhältnisse des Mandanten so gestaltet sind, dass er tatsächlich kein Kostenrisiko trägt, (vgl. auch Fritzsche in: Münchener Kommentar, Lauterkeitsrecht, 2. Aufl., § 8 UWG, Rn 481g), z.B. bei Zahlungsunfähigkeit.
Prozessfinanzierer
KG, Beschl. v. 03.08.2010 - 5 U 82/08
Von einer rechtsmissbräuchlichen wettbewerbsrechtlichen Abmahnung ist auszugehen, wenn ein Rechtsanwalt seinen Auftraggeber ganz oder teilweise vom Kostenrisiko freistellt. Gleiches muss gelten, wenn im Zusammenwirken von Rechtsanwalt und Prozessfinanzierer dem Mandanten eine kostenfreie Verfolgung von Unterlassungsansprüchen nebst einer Profitmöglichkeit (etwa aus anfallenden Vertragsstrafen) angeboten wird. Bei einem solchen Modell der Rechtsverfolgung steht zu vermuten, dass die Ansprüche weniger aus Gründen des Wettbewerbs geltend gemacht werden als zur Erzielung von Einnahmen des Gläubigers und seines Anwalts.
Im konkreten Fall war die Einschaltung eines Prozessfinanzierers für die Verfolgung einer Vielzahl von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen missbräuchlich, weil die Klägerin von jeglichem Kosten- und Verlustrisiko enthoben wurde und somit das eigene Gewinnerzielungsinteresse (etwa aus späteren Vertragsstrafen) und das Gewinnerzielungsinteresse ihres in fortlaufender Geschäftsbeziehung mit diesem Prozessfinanzierer zusammenarbeitenden Rechtsanwalts im Vordergrund steht.
Zu einem Gewinnabschöpfungsanspruch, bei dem auf den Rechtsmissbrauchstatbestand des § 242 BGB zurückgegriffen wurde:.
BGH, Urt. v. 13.9.2018, I ZR 26/17, Tz. 40 - Prozessfinanzierer
Ein Missbrauch im Sinne des § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, wenn Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgen und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Die Ausübung von Befugnissen, die nicht den gesetzlich vorgesehenen, sondern anderen und rechtlich zu missbilligenden Zwecken dient, ist auch nach § 242 BGB missbräuchlich.
Danach kann ein Rechtsmissbrauch nicht verneint werden. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Gläubiger und der Prozessfinanzierer personell oder finanziell verflochten sind und ob der an den Prozessfinanzierer im Falle des Obsiegens abzuführende Gewinnanteil das Maß des in solchen Fällen Üblichen übersteigt. Die Rechtsmissbräuchlichkeit der Klage resultiert bereits daraus, dass die Einschaltung eines Prozessfinanzierers, dem eine Vergütung in Form eines Anteils am abgeschöpften Gewinn zugesagt wird, dem Zweck der gesetzlichen Regelung des § 10 UWG widerspricht.