BGH, Urt. v. 23.1.2024, I ZR 147/22, Tz. 21, 23 ff – chalk in it
Die Vorschrift des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ist nicht dahingehend teleologisch zu reduzieren, dass stets allein die in ihrem individuellen Schutzinteresse betroffenen Mitbewerber (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG) zur Geltendmachung von Ansprüchen wegen einer (möglichen) Anschwärzung gemäß § 4 Nr. 2 UWG befugt sind. Eine kollektive Anspruchsdurchsetzung durch Wirtschaftsverbände im Sinn des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ist vielmehr dann zulässig, wenn sich diese nicht lediglich gegen einen individualisierten Mitbewerber, sondern gegen eine Mehrheit von Mitbewerbern richtet, und zumindest einer der betroffenen Mitbewerber Mitglied des klagenden Verbands ist. ...
Zum Tatbestand der gezielten Behinderung von Mitbewerbern nach § 4 Nr. 4 UWG hat der Senat entschieden, dass es den einzelnen Mitbewerbern, die von einer möglichen Behinderung betroffen werden, überlassen bleiben muss, ob sie diese hinnehmen wollen oder nicht. Der Begriff des Mitbewerbers gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG ist insoweit teleologisch zu reduzieren.
Entsprechendes gilt für den Anschwärzungstatbestand nach § 4 Nr. 2 UWG. Auch im Fall der (möglichen) Behauptung oder Verbreitung nicht erweislich wahrer Tatsachen, die geeignet sind, den Betrieb eines Unternehmens oder den Kredit eines Unternehmers zu schädigen, muss es dem Betroffenen überlassen bleiben, ob er dies hinnehmen will oder nicht. Dafür spricht auch, dass die prozessuale und damit öffentliche Verfolgung der Abwehransprüche die schädigende Wirkung eines solchen Eingriffs noch verstärken kann.
Für Ansprüche aus wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz nach § 4 Nr. 3 UWG und für Verstöße gegen den Behinderungstatbestand des § 4 Nr. 4 UWG hat der Senat zudem entschieden, dass aus diesen Erwägungen auch die Verbandsklagebefugnis nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG teleologisch zu reduzieren ist.
Richtet sich die (mögliche) Anschwärzung allerdings nicht lediglich gegen einen individualisierten Mitbewerber, sondern gegen eine Mehrheit von Mitbewerbern, liegt es nicht mehr in der Hand eines Einzelnen, ob er sie hinnimmt. oder nicht. In diesem Fall ist es gerechtfertigt, dass neben allen einzelnen betroffenen Mitbewerbern auch ein Verband, dem ein solcher Mitbewerber angehört, prozessual dagegen vorgehen kann.
Eine teleologische Reduktion des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG ist insoweit nicht angezeigt. Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass der Tatbestand der Anschwärzung nach § 4 Nr. 2 UWG zwar vorrangig den betroffenen Mitbewerber vor unwahren geschäftsschädigenden Äußerungen bewahren soll, aber - zumindest mittelbar - auch das Allgemeininteresse an einem unverfälschten Wettbewerb schützt (§ 1 Abs. 1 Satz 2 UWG; zu § 4 Nr. 1 UWG [§ 4 Nr. 7 UWG 2004] vgl. BGH, GRUR 2014, 601, Rn. 37] - englischsprachige Pressemitteilung). Auch vor diesem Hintergrund stellt die Annahme der in § 8 Abs. 2 Nr. 3 UWG geregelten Verbandsklagebefugnis den Regelfall und deren teleologische Reduktion den Ausnahmefall dar. Sind mehrere Mitbewerber betroffen und ist zumindest einer der betroffenen Mitbewerber verbandsangehörig, setzt sich die auch im Allgemeininteresse liegende Verbandsklagebefugnis gegenüber der Dispositionsfreiheit der betroffenen Mitbewerber durch.
Zuvor schon
OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.9.2019, I-15 U 48/19, Tz. 87 f
Es ist in der Literatur umstritten, ob § 4 Nr. 2 UWG die Anspruchsberechtigung auf den betroffenen Mitbewerber beschränkt. Während eine Auffassung (Büscher/Maatsch, UWG, 1. A., 2019, § 4 Rn. 48; Harte/Henning/Bruhn, § 4 Nr. 2 UWG Rn. 10 ) auch hier eine Aktivlegitimation von Verbänden befürwortet, gesteht die Gegenauffassung (Brammsen/Apel, in: WRP 2009, 1464 (1471); Köhler, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 37. A., 2019, § 4 Rn. 1.27 und 2.24; Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. A., 2016, § 4 Rn. 2/18) Verbänden grundsätzlich keine entsprechende Anspruchsberechtigung zu.
Der Senat schließt sich aus folgenden Gründen der erstgenannten Auffassung an: Es sind keine stichhaltigen Gründe erkennbar, hier in Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen der Regelung des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG Verbänden die Anspruchsberechtigung generell abzuerkennen. Dass es einem Verband verwehrt sein sollte, in Fällen einer Anschwärzung seiner Mitglieder durch eine geschäftliche Handlung die Unterlassung auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage kraft eigenen Rechts durchzusetzen, vermag nicht einzuleuchten. Dies läuft nämlich dem Zweck des wettbewerbsrechtlichen Verbots der Anschwärzung zuwider, welcher sich gerade nicht im Schutz der individuellen geschäftlichen Ehre des einzelnen Mitbewerbers erschöpft, sondern zugleich auch auf den Schutz des Interesses an einem unverfälschten Wettbewerb abzielt (vgl. § 1 S. 2 UWG). Abgesehen davon erscheint eine teleologische Reduktion des § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG im Rahmen der Durchsetzung von Rechten wegen Verstoßes gegen § 4 Nr. 2 UWG auch unter dem Aspekt der Prozessökonomie als zweifelhaft, weil dies darauf hinausliefe, dass jeder einzelne Mitbewerber seinen Unterlassungsanspruch individuell durchsetzen müsste, um seinen Geschäftsruf zu verteidigen.