c. Keine gerichtliche Abhilfe möglich
d. Keine Beeinträchtigung rechtlicher Interessen Dritter
4. Wahrnehmung berechtigter Interessen
Einwand der Unclean Hands
Mit dem Einwand der sog. unclean hands will ein Unterlassungssschuldner sich damit rechtfertigen, dass der Unterlassungsgläubiger sich doch in gleicher Weise oder jedenfalls anderweitig selber wettbewerbswidrig verhält. Dieses Argument zieht bei deutschen Gerichten in aller Regel nicht. Wer wettbewerbswidriges Verhalten seines Wettbewerbers rügen will, muss dagegen vorgehen, und kann damit - jedenfalls soweit durch das wettbewerbswidrige Verhalten Interessen der Allgemeinheit betroffen sind - nicht eigenes wettbewerbswidriges Verhalten legitimieren.
BGH, Urt. v. 6.10.2011, I ZR 117/10, Tz. 34 – Delan
In Fällen, in denen nicht allein oder weit überwiegend die Interessen des klagenden Mitbewerbers betroffen sind, sind wettbewerbsrechtliche Ansprüche regelmäßig nicht unter dem Gesichtspunkt widersprüchlichen Verhaltens nach § 242 BGB ausgeschlossen. Ausnahmen können allerdings bei provozierten Wettbewerbsverstößen in Betracht kommen.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 9.4.2008, 6 U 20/08 (= GRUR-RR 2008, 350)
Einen allgemeinen Einwand der „unclean hands”, mit dem wettbewerbsrechtliche Ansprüche mit der Begründung verneint werden, auch der Anspruchsteller selbst handele wettbewerbswidrig oder in anderer Weise rechtswidrig, gibt es im deutschen Recht nicht. Eine Verneinung von Ansprüchen auf dieser Grundlage kommt allenfalls ausnahmsweise dann in Betracht, wenn das vom Kläger angegriffene Verhalten des Beklagten ausschließlich Belange des Klägers (und nicht auch der Allgemeinheit) beeinträchtigen kann und sich der Kläger – unter dieser Voraussetzung – bei wechselseitiger Abhängigkeit der beiderseits gleichartigen und gleichzeitigen Wettbewerbsverstöße mit seinem Vorgehen gegen den Bekl. in Widerspruch setzen würde.
Ebenso OLG Hamburg, Urt. v. 29.3.2018, 3 U 96/17, B.II.1.c.aa – Kausale Therapie; OLG Hamm, Urt. v. 15.11.11, 4 U 77/11, Tz. 51; OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.5.2014, I-15 50/14, Tz. 82; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.11.2015, I-15 U 56/14, Tz. 65; OLG Köln, Urt. v. 17.12.22021, 6 U 91/21, Tz. 56
Vom Einwand der unclean hands ist die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen zu unterscheiden, bei denen es dem Unterlassungsgläubiger darum geht, dem Wettbewerber ein bestimmtes Verhalten zu verbieten, um sich dadurch die Pfründe zu sichern, die der Unterlassungsgläubiger durch das eigene wettbewerbswidrige Verhalten erlangt hat.
OLG Frankfurt, Urt. v. 9.12.2011, 25 U 106/11, Tz. 10
Die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs verstößt gegen § 8 Abs. 4 UWG i.V.m. § 242 BGB, wenn es der Gläubigerin darum geht, die Früchte ihres eigenen, ihr wettbewerbsrechtlich bereits untersagten Verhaltens zu ernten. Das hat nichts mit der Frage zu tun, ob und inwieweit im Wettbewerbsrecht der aus dem angloamerikanischen Rechtsraum überlieferte Einwand der „unclean hands“ Gültigkeit beanspruchen kann. Vielmehr geht es um die seit jeher im Rahmen von § 242 BGB bekannte Fallgruppe, dass Vorteile aus einer Rechtsposition dann nicht geltend gemacht werden können, wenn diese Position auf unredliche Weise erlangt worden ist.
Üblichkeit des Verhaltens
BGH, Urt. v. 3.3.2016, I ZR 110/15, Tz. 38 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon
Derjenige, der wettbewerbswidrig handelt, kann seiner Haftung nicht dadurch entgehen, dass er darauf verweist, gleichgelagerte Wettbewerbsverstöße Dritter dauerten fort.
KG Berlin, Urt. v. 7.5.2013, 5 U 32/12, Tz. 53 – Online-Kontaktformular
Unlauterer Wettbewerb wird nicht dadurch zu einem zulässigen, wenn viele ihn betreiben (vgl. a. Senat GRUR-RR 2013, 223, 224 - Klick und wirf zurück).
Abwehrverhalten
Unter Abwehr wird ein Verhalten verstanden, mit dem ein Unternehmen sich gegen das rechtswidrige Verhalten eines anderen Unternehmens oder sonstiger Dritter wehrt. An sich wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die der Abwehr dienen, sind unter Umständen ausnahmsweise zulässig.
BGH, Urt. v. 22.1.1971, I ZR 76/69 – W.A.Z. (= GRUR 1971, 259)
Die Voraussetzungen einer zulässigen wettbewerblichen Abwehr sind von der Rechtsprechung teils unmittelbar aus § 227 BGB, teils unter entsprechender Heranziehung seines Grundgedankens entwickelt worden. … Während es bei der Notwehr um einen Rechtfertigungsgrund für ein an sich den Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllendes Verhalten geht, handelt es sich bei der wettbewerblichen Abwehr um die insoweit vorgelagerte Frage, ob die Abwehrhandlung überhaupt den Tatbestand des § 1 UWG (a.F.) erfüllt. Denn für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung kommt es von vornherein auf das Gesamtverhalten nach seinem konkreten Anlaß, Zweck, Mittel, seinen Begleitumständen und Auswirkungen an, so daß die Abwehrlage, der Abwehrzweck und die Notwendigkeit der Abwehrmaßnahmen bereits bei der Prüfung der Tatbestandsmäßigkeit mitberücksichtigt werden müssen. … Es geht stets um die Frage, ob ein an sich unzulässiges Wettbewerbsverhalten ausnahmsweise durch die Abwehrlage, den Abwehrzweck und die Notwendigkeit der Abwehrmaßnahmen eine andere wettbewerbsrechtliche Beurteilung erfahren und daher wettbewerbsrechtlich nicht beanstandet werden kann. Daraus ergibt sich, daß auf Grund dieser Sondersituation bei der Abwehr gegnerischen unlauteren Wettbewerbs die Grenzen dessen, was als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen ist, anders und weiter zu ziehen sind als bei Wettbewerbshandlungen, bei denen eine Abwehr und Verteidigung nicht in Frage kommt.
Am Beispiel einer anonymen Kampagne im Internet gegen ein Arzneimittel:
OLG Köln, Urt. v. 12.1.2018, 6 U 92/17, Tz. 85
Aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG ergibt sich, dass der Hersteller eines Tierarzneimittels berechtigt sein muss, sich gegen negative Kampagnen zur Wehr zu setzen, wenn es eine umfassende Diskussion in der Öffentlichkeit gibt. Dies kann auch gegenüber einem unbestimmten Personenkreis möglich sein und es darf in diesem Zusammenhang auf die Eigenschaften des Medikaments hingewiesen werden (vgl. BGHZ 180, 355 – Festbetragsfestsetzung).
Wegen der strengen Voraussetzungen, die an die legitimierende Wirkung eines Abwehrverhaltens gestellt werden, ist eine Berufung auf ein Abwehrverhalten nur sehr selten erfolgreich. Erforderlich ist,
- dass eine Abwehrlage besteht, d.h. ein rechtwidriger Angriff eines Dritten vorliegt,
- dass das zu beurteilende Verhalten der Abwehr dient,
- dass das Verhalten zur Abwehr geeignet ist,
- dass es zur Abwehr erforderlich ist und
- dass keine Rechte oder rechtlich geschützten Interessen Dritter betroffen sind.
Abwehrsituation
Eine Abwehrmaßnahme setzt eine fortwährende Abwehrsituation voraus: Es muss ein objektiv rechtswidriger Angriff eines Dritten vorliegen, dessen Wirkungen andauern und der sich – jedenfalls auch - gegen den sich Wehrenden richtet. Die Verletzung lediglich von Rechten Dritter begründet keine Abwehrsituation.
OLG Karlsruhe, Urt. v. 9.4.2008, 6 U 20/08, II.2 (= GRUR-RR 2008, 350 ) (Entfernung rechtswidrig gehängter Plakate)
§ 229 BGB deckt nicht die gewaltsame Durchsetzung von Ansprüchen Dritter. …
§ 229 BGB gibt nicht die generelle Berechtigung zum gewaltsamen Einschreiten gegen rechtswidriges Verhalten Dritter.
Die Abwehr der Verletzung von Rechten Dritter kann ausnahmsweise als Nothilfe gerechtfertigt sein.
Abwehrzweck
Wer sich auf ein legitimes Abwehrverhalten beruft, muss auch und zwar ausschließlich zu Zwecken der Abwehr handeln. Wer ein Abwehrverhalten nur vorschiebt, um andere oder auch um andere Zwecke zu verfolgen, kann sich auf die Abwehrsituation nicht berufen (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 11, Rdn. 2.6).
OLG Köln, Urt. v. 12.1.2018, 6 U 92/17, Tz. 87
Nach Auffassung des Senats kommt eine Einschränkung des Werbeverbots gemäß § 10 Abs. 1 HWG ... nur in Betracht, wenn die Werbung einen hinreichenden Bezug auf die Auseinandersetzung nimmt und der Rezipient erkennt, dass die Darstellung eine Reaktion auf die Diskussion darstellt. Denn nur damit wird für die angesprochenen Verkehrskreise deutlich, dass sich der Arzneimittelhersteller gegen eine solche Kampagne wendet. Wird dies im Rahmen der Werbung nicht deutlich, stellen sich die Posts als allgemeine und daher unzulässige Werbung dar.
OLG Köln, Urt. v. 12.1.2018, 6 U 92/17, Tz. 95 f
Die Darstellung des Posts ist zulässig, weil die Abwägung zwischen dem Ausmaß der Gefahren, die durch die Veröffentlichung des beanstandeten und an erster Stellte dargestellten Posts und der Schwere des Eingriffs in das Grundrecht der Antragsgegnerin auf Meinungsfreiheit die werbliche Darstellung der Antragsgegnerin rechtfertigt.
Zunächst nimmt die Darstellung hinreichend Bezug auf die Diskussion, weil diese als Werbung für ein konkretes Produkt nur für denjenigen erkennbar wird, der die Diskussion und damit den „Shitstorm“ gegen das Produkt C® kennt. Denn der Name des Produkts wird in der beanstandeten Werbung nicht genannt, auch wenn die Werbung sich auf ein bestimmtes Arzneimittel bezieht und beziehen soll. Allein die Darstellung der Bezeichnung „N“ und die Anwendungsgebiete rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Der Rezipient einer solchen Werbung auf der Internetplattform „H“ wird sich mit der Darstellung nicht weiter auseinandersetzen, wenn sein Interesse nicht aufgrund einer anderweitigen Kenntnis von der Diskussion über das Arzneimittel geweckt wird.
Keine gerichtliche Abhilfe möglich
Bei einer Abwehrlage ist das betroffene Unternehmen in erster Linie gehalten, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auf ein Abwehrverhalten kann sich nur berufen, wenn gerichtliche Hilfe zur Abwehr nicht möglich oder nicht ausreichend ist.
BGH, Urt. v. 26.4.1990, I ZR 71/88, II.2.b – Anzeigenpreis I
Ein wettbewerbsrechtlich zulässiges Abwehrverhalten setzt außer einem rechtswidrigen Angriff eines Wettbewerbsteilnehmers zusätzlich voraus, daß … diesem Angriff durch Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe nicht ausreichend gewehrt werden kann.
Ebenso BGH. Urt. v. 27.10.1988, I ZR 29/87, II.5.c - Preiskampf
Keine Beeinträchtigung rechtlicher Interessen Dritter
Auf ein Abwehrverhalten kann sich außerdem nicht berufen, wer durch das Verhalten auch Rechte oder rechtlich geschützte Interessen Dritter verletzt.
BGH, Urt. v. 8.11.2007, I ZR 60/05, Tz. 22 - Nachlass bei der Selbstbeteiligung
Durch eine Abwehrmaßnahme darf grundsätzlich nicht in die Rechte oder berechtigten Interessen Dritter eingegriffen werden.
Ebenso BGH, Urt. v. 26.4.1990, I ZR 71/88, II.2.b – Anzeigenpreis I; BGH. Urt. v. 27.10.1988, I ZR 29/87, II.5.c - Preiskampf
Eine Beeinträchtigung rechtlicher Interesse Dritter ist bereits gegeben, wenn wettbewerbsrechtlich geschützte Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern oder sonstigen Marktteilnehmern berührt werden. Aus diesem Grund kann bspw. ein Verhalten, dass gegen die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken verstößt und damit Verbraucherinteressen verletzt, nicht als Abwehrmaßnahme legitimiert werden.
Wahrnehmung berechtigter Interessen
Ein Verhalten, dass der Wahrnehmung berechtigter Interessen dient, kann ebenfalls als Abwehrmaßnahme ausnahmsweise zulässig sein.
BGH, Urt. v. 3.12.1998, I ZR 119/96, II.b - Hormonpräparate
Es ist zwar zutreffend, daß eine Abwehr gegen ein wettbewerbswidriges Verhalten eines Dritten grundsätzlich nur solche Maßnahmen rechtfertigen kann, die gegen diesen Dritten gerichtet sind. … Das Berufungsgericht hat aber verkannt, daß der Vorwurf der Sittenwidrigkeit auch dann entfallen kann, wenn eine Beurteilung des Gesamtverhaltens ergibt, daß der Wettbewerber in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt hat. Dabei steht der Anerkennung einer zulässigen wettbewerbsrechtlichen Abwehrsituation nicht ohne weiteres entgegen, daß der Abwehrende Mittel anwendet, die an sich unlauter sind. Es geht stets nur um die Frage, ob ein an sich unzulässiges Wettbewerbsverhalten ausnahmsweise durch die Abwehrlage, den Abwehrzweck und die Notwendigkeit der Abwehrmaßnahmen eine andere wettbewerbsrechtliche Beurteilung erfahren und daher wettbewerbsrechtlich nicht beanstandet werden kann. Daraus ergibt sich, daß aufgrund dieser Sondersituation bei der Abwehr gegnerischen Verhaltens die Grenzen dessen, was als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen ist, anders und weiter zu ziehen sind als bei Wettbewerbsverhalten, bei denen eine Abwehr und Verteidigung nicht in Frage kommt.
Verwirkung
BGH, Urt. v. 15.8.2013, I ZR 188/11, Tz. 64 - Hard Rock Cafe
Der Bundesgerichtshof hat bisher angenommen, dass in Fällen der Irreführung eine Verwirkung des Unterlassungsanspruchs im Allgemeinen ausscheidet, weil das Interesse der Allgemeinheit, vor Irreführung bewahrt zu werden, grundsätzlich als vorrangig vor den Individualinteressen des Werbenden anzusehen ist (BGH, Urt. v. 29.9.1982, I ZR 25/80, GRUR 1983, 32, 34 = WRP 1983, 203 - Stangenglas I). Um einen Wertungswiderspruch zum Markenrecht zu vermeiden, kann daran aber jedenfalls für die neue Fallgruppe der Irreführung über die betriebliche Herkunft gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG nicht festgehalten werden. Besteht ein schutzwürdiger Besitzstand an der Verwendung einer bestimmten Kennzeichnung, der einem markenrechtlichen Unterlassungsanspruch mit Erfolg entgegengehalten werden kann, so bestimmt dieses Ergebnis auch die Beurteilung nach § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG. Denn es ist kein Grund dafür erkennbar, dass der jedem Mitbewerber gewährte lauterkeitsrechtliche Anspruch weitergehen soll als das in gleicher Weise auf Unterlassung gerichtete individuelle Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers.
OLG Köln, Urt. v. 30.10.2015, 6 U 84/15 (=GRUR-RR 2016, 81)
Unterlassungsansprüche unterliegen … dem Verbot unzulässiger Rechtsausübung nach § 242 BGB (BGH, GRUR 2007, 693 Rn. 38 – Archivfotos). Neben dem Zeitmoment und dem Entstehen eines wettbewerblichen Besitzstandes auf Seiten des Unterlassungsschuldners setzt dies allerdings einen Vertrauenstatbestand voraus (zusammenfassend Fezer/Büscher, UWG, 2. Aufl. 2010, § 8 Rn. 359 , 362 u. 360). Dies wiederum erfordert, dass der Schuldner sich bei objektiver Betrachtung darauf einrichten durfte, dass der Gläubiger ihn nicht mehr in Anspruch nehmen werde (BGH, NJW 2003, 824).
OLG Stuttgart, Urt. v. 27.1.2016, 4 U 167/15, Tz. 77 - Stadtblatt
Ein Recht ist erst verwirkt, wenn eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende längere Zeitspanne verstrichen ist (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich auf Grund des Verhaltens des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen (Umstandsmoment, Vertrauenstatbestand). ... Zudem ist zu bedenken, dass durch die wiederholten Wettbewerbsverstöße immer wieder aufs Neue entsprechende Rechtsverletzungen begangen werden, weshalb die Beklagte im Hinblick darauf kein Vertrauen entwickeln konnte und kann.
Ebenso OLG München, Urt. v. 8.11.2018, 6 U 454/18, II.A.4
OLG Hamm , Urt. v. 16.6.2015, 4 U 32/14, Tz. 184 - Le Pliage
Auch längere Untätigkeit des Rechteinhabers gegenüber bestimmten gleichartigen Verletzungshandlungen kann kein berechtigtes Vertrauen darauf begründen, der Rechteinhaber werde auch künftig ein derartiges Verhalten dulden und auch in der Zukunft nicht gegen solche - jeweils neuen - Rechtsverletzungen vorgehen (vgl. BGH, WRP 2014, 1465 – Hard Rock Cafe).
Ebenso OLG München, Urt. v. 8.11.2018, 6 U 454/18, II.A.4
OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 22.5.2018, 3 U 1138/18, Tz. 76 ff
Die Verwirkung des Unterlassungsanspruchs setzt voraus, dass der Berechtigte über einen längeren Zeitraum untätig geblieben ist, obwohl er den Verstoß kannte oder ihn bei der gebotenen Wahrung seiner Interessen erkennen musste, so dass der Verpflichtete mit der Duldung seines Verhaltens durch etwaige Berechtigte rechnen durfte und sich daraufhin einen wertvollen Besitzstand schuf (BGH, Urteil vom 19. Dezember 2000 - X ZR 150/98, Rn. 25 - Temperaturwächter). Die Dauer der vermeidbaren Untätigkeit bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. In der Regel sind mehrere Jahre erforderlich, zumal dem Verletzten auch zur Beobachtung und Bewertung des Verletzerhandelns angemessene Zeit zuzubilligen ist (Köhler, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 36. Aufl. 2018, § 11 Rn. 2.19). Infolge dieses Zeitablaufs muss beim Verpflichteten ein schutzwürdiger Besitzstand entstanden sein, der ihm nach Treu und Glauben erhalten bleiben soll, weil er aufgrund des Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen konnte, diese dulde die Wettbewerbsverletzung (BGH, Urt. v. 6. Mai 2004, I ZR 223/01, Tz. 31 - NEURO-VIBOLEX/NEURO-FIBRAFLEX).
In Fällen der Irreführung scheidet - mit Ausnahme der Irreführung über die betriebliche Herkunft - eine Verwirkung des Unterlassungsanspruchs im Allgemeinen aus, weil das Interesse der Allgemeinheit, vor Irreführung bewahrt zu werden, grundsätzlich als vorrangig vor den Individualinteressen des Werbenden anzusehen ist (BGH, Urt. v. 15.8.2013, I ZR 188/11, Tz. 64 - Hard Rock Cafe).
Die Rechtsfolge der Verwirkung besteht darin, dass der Anspruchsinhaber seine Rechte im Hinblick auf bestimmte konkrete bereits begangene oder noch andauernde Rechtsverletzungen nicht mehr durchzusetzen vermag. Bei wiederholten gleichartigen Verletzungshandlungen lässt jede Verletzungshandlung einen neuen Unterlassungsanspruch entstehen (BGH, a.a.O., Rn. 21 und 81 - Hard Rock Cafe).
Sonstiger Rechtsmissbrauch
Zum besonderen wettbewerbsrechtlichen Missbrauchstatbestand des § 8 Abs. 4 UWG siehe hier. Er gilt nur für Unterlassungsansprüche. Bei anderen Ansprüchen kommt ein Rückgriff auf § 242 BGB in Betracht.
Eine besondere Konstellation besteht, wenn der Wettbewerber dem Konkurrenten eine irreführende Werbung untersagen will, um sich die Vorteile der eigenen irreführenden Werbung zu sichern, und anstatt eines Vorgehens gegen den Wettbewerber nur mit der eigenen irreführenden Handlung aufhören müsste. So im Falle der Erstellung einer irreführenden Produktseite bei Amazon, an die sich der Konkurrent anhängt:
OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2018, 4 U 73/18, 49 ff
Dem Kläger ist es gemäß § 242 BGB verwehrt, den Unterlassungsanspruch auf ein solchermaßen wettbewerbswidriges, da irreführendes Handeln des Beklagten zu stützen (vgl. OLG Frankfurt GRUR-RR 2012, 119 zur nachträglichen Einfügung einer Markenbezeichnung; a.A. noch Senat, Urt. v. 1.12.2016, 4 U 152/16).
Denn die Rechtsposition des Klägers beruht auf seinem eigenen unlauteren, da gleichermaßen irreführenden Handeln. Die Unlauterkeit des beanstandeten Handelns des Beklagten wird nämlich einzig und allein durch das gleichermaßen irreführende eigene Angebot des Klägers provoziert – und dies geht über den sog. Unclean hands - Einwand hinaus. Denn er selbst ist ebenso wenig Hersteller, sondern lediglich Händler.
Dem Kläger fehlt, zumal er die Irreführung durch eine entsprechende Korrektur der eigenen Produktdetailseite umgehend effizient unterbinden könnte, zudem ein schutzwürdiges Eigeninteresse am lauterkeitsrechtlichen Vorgehen gegen den Beklagten. Das Ziel des Klägers, durch diese Vorgehensweise von vorneherein das auf der Internetplattform P systemimmanente Anhängen von Wettbewerbern an das eigene (Erst-)Angebot zu unterbinden, ist wettbewerbsrechtlich inakzeptabel. Denn hiermit würde ein Wettbewerb hinsichtlich des jeweiligen Produktes auf der Internetplattform P tatsächlich behindert, wenn nicht gar vereitelt. Wettbewerbern würde das Angebot gleicher Artikel letztlich unmöglich gemacht wird, da sie diese nicht unter einer anderen ASIN anbieten könnten, ohne sich dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, solchermaßen irreführend eine „Dublette“ anzubieten.
OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.9.2015, I-2 U 3/15, Tz. 155
Die Geltendmachung der zuerkannten Ansprüche auf Erstattung von Abmahnungskosten und Zahlung der verwirkten Vertragsstrafe ist nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 242 BGB. Ein Missbrauch ist in diesem Fall schon deshalb zu verneinen, weil die Vertragsstrafe in der zugesprochenen Höhe nicht unangemessen erscheint und allein darauf beruht, dass der Beklagte sie durch einen schuldhaften Verstoß verwirkt hatte, den er ohne Weiteres hätte vermeiden können. Dasselbe gilt für die Kosten der Abmahnung I, deren Erstattungspflicht ebenfalls auf einem gegebenen Wettbewerbsverstoß des Beklagten beruht. Wie viele weitere Wettbewerber der Kläger außerdem abgemahnt hat und ob das mit der Führung der von ihm betriebenen Wettbewerbsprozesse verbundene Kostenrisiko seinen Kreditrahmen übersteigt, ist in diesem Zusammenhang ebenso unerheblich wie die Frage, in welchem zahlenmäßigen Verhältnis die Zahl seiner Abmahnungen zum Umfang seiner Verkaufstätigkeit steht. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Vertragsstrafe überwiegend aus sachfremden Gründen geltend gemacht wird, sind nicht ersichtlich.
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Omsels, Online-Kommentar zum UWG: