1. Meinungsäußerung und Werbung
2. Übernahme fremder Meinungen
3. Meinungsäußerung und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
Meinungsäußerung und Werbung
Für Werbung gilt das Grundrecht der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG. Die Meinungsfreiheit findet allerdings ihre Grenze aber in den allgemeinen Gesetzen (Art. 5 Abs. 2 GG), zu denen auch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) gehört. Das erlaubt es, unlautere Werbung zu verbieten.
Je mehr sich ein Unternehmer mit seiner Äußerung allerdings im Rahmen einer öffentlichen Debatte zu gesellschaftlichen oder gesellschaftspolitischen Themen äußert, desto eher bestehen Zweifel daran, dass die Äußerung in einem objektiven Zusammenhang mit der Förderung seines Unternehmens steht.
BVerfG, Beschl. v. 12.7.2007, 1 BvR 2041/02, Tz. 37 f. - Pharmakartell
Die Teilhabe an Auseinandersetzungen über gesellschaftspolitische Fragen darf einem Grundrechtsträger nicht deshalb erschwert werden, weil er sich in dem betreffenden Bereich selbst beruflich und wettbewerblich betätigt und dies nicht verschweigt.
Bei einer Protestaktion als Teil einer öffentlichen Auseinandersetzung über eine gesellschaftspolitische Angelegenheit liegt es keineswegs nahe, dass es sich um eine Handlung im geschäftlichen Verkehr handelt, bei der der wettbewerbliche Zweck ungeachtet der beabsichtigten Einwirkung auf Dritte im Rahmen einer öffentlichen Kontroverse im Vordergrund steht. Bei der Beurteilung dieser Frage muss auch der situative Kontext berücksichtigt werden, in dem die Handlung steht.
BGH, Urt. v. 11.12.2014, I ZR 113/13, Tz. 34 – Bezugsquellen für Bachblüten
Bei einem redaktionellen Beitrag ist ein objektiver Zusammenhang im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG mit der Förderung des Absatzes eines fremden Unternehmens zu verneinen, wenn der Beitrag allein der Information und Meinungsbildung seiner Adressaten dient. ... Die für die Berichterstattung von Medienunternehmen geltenden speziellen Grundsätze finden aber keine Anwendung, bloß weil die beanstandeten Äußerungen der Beklagten ... als Meinungsäußerungen ebenfalls in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen. Letzteres steht einer lauterkeitsrechtlichen Kontrolle von Äußerungen, die nicht ausschließlich wirtschaftlichen Zwecken dienen, nicht entgegen (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 12.7.2007, 1 BvR 2041/02; BGH, GRUR 1986, 812, 813 - Gastrokritiker). ... Die grundrechtlichen Wertungen sind erst bei der Beurteilung der Unlauterkeit der in Rede stehenden Handlungen und nicht schon bei der Verneinung einer geschäftlichen Handlung zu beachten (vgl. BGH, GRUR 2012, 74 Rn. 14 f. und 31 - Coaching-Newsletter; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 2 Rn. 51).
Kammergericht, Beschl. v. 18.8.2009, 5 W 95/09, Tz. 8 - 10
Bei einer Protestaktion als Teil einer öffentlichen Auseinandersetzung über eine gesundheitspolitische Angelegenheit liegt es keineswegs nahe, dass es sich um eine Handlung im geschäftlichen Verkehr handelt, bei der der wettbewerbliche Zweck - ungeachtet der beabsichtigten Einwirkung auf Dritte im Rahmen einer öffentlichen Kontroverse - im Vordergrund steht. Dies gilt insbesondere dann, wenn nicht ausdrücklich auf das unternehmerische Angebot des (auf Unterlassung in Anspruch genommenen) Mitbewerbers hingewiesen wird, sondern dies erst durch Inanspruchnahme weiterer Informationsmöglichkeiten, insbesondere durch Internetabruf oder Anforderung weiterer Publikationen erschlossen werden kann. Die Annahme einer Handlung im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken liegt auch dann fern, wenn Anlass der streitigen Publikation ein von außen gesetzter Grund ist, sich mit den in dieser Publikation angesprochenen allgemeinen Fragen auseinander zu setzen, so etwa, wenn eine Auseinandersetzung über ein allgemeines gesundheitspolitische Anliegen einen wesentlichen Gegenstand der Publikation bildet.
Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze sind durch die Neufassung des UWG nicht überholt, auch wenn es nun nicht mehr auf eine Wettbewerbsabsicht ankommt sondern nur auf einen objektiven Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen. Auch bleibt zu beachten, dass eine Wettbewerbshandlung schon in Betracht kommen kann, wenn das wettbewerbliche Motiv hinter anderen Beweggründen nicht völlig zurücktritt - der objektive Zusammenhang mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen also geringer ist als der objektive Zusammenhang etwa mit allgemeinpolitischen Inhalt - und wenn die Äußerung - obwohl selbst ohne konkreten Produktbezug - nur das Image des Unternehmens verbessern kann (i.S. einer allgemeinen Firmenwerbung).
KG Berlin, Urt. v. 14.8.2012, 5 U 92/07, B.I.2.c.cc
Eine gesundheitspolitische Meinungsäußerung wird überlagert durch ein Werben für die unternehmens- und produktprägende Persönlichkeit des Beklagten, wenn dessen fachliche Kompetenz hervorgehoben wird. Zwar kann es auch im allgemeinen politischen Meinungskampf sachgerecht sein, das Gewicht der eigenen Argumente durch Hinweise auf die eigene Fachkompetenz zu unterstreichen. Ein solcher Zusammenhang verdrängt vorliegend den zur Unternehmenswerbung aber nicht. Im Gegenteil: Hinsichtlich der streitgegenständlichen Angaben im rechten Textkasten überwiegt sogar das wettbewerbliche Interesse. Denn die Herausstellung der Person des Dr. ... mag für das sachliche Informationsinteresse bzgl. der behaupteten Erfolge bei AIDS-Patienten zwar förderlich sein (weil eine Kompetenz und Autorität der an der Forschung beteiligten Personen die Glaubhaftigkeit der Ergebnisse erhöhen kann), sie ist insoweit aber nicht unabdingbar notwendig, und dies erst recht nicht, wenn sie auf Unwahrheiten aufbaut.
OLG Hamburg, Urt. v. 31.8.2023, 5 U 27/22, Tz. 45
Das Verfolgen solcher, etwa weltanschaulicher, Ziele schließt allerdings nicht aus, dass die Handlung gleichzeitig dem Ziel der Förderung des Absatzes oder Bezugs dient. Ist auf Grund einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls bei objektiver Betrachtung vorrangig ein solches Ziel anzunehmen, so liegt eine geschäftliche Handlung vor (BGH GRUR-RR 2013, 466, 469 – Bach-Blüten).
Übernahme fremder Meinungen
Durch Art. 5 GG werden Meinungsäußerungen aber nicht vom Anwendungsbereich des UWG freigestellt. Wenn sie eine geschäftliche Handlung darstellen, unterfallen sie dem UWG und sind daran zu messen, wenn auch im Lichte des Art. 5 GG. Das gilt auch für die Übernahme der Meinung eines Dritten.
OLG Hamm, Urt. v. 23.8.2011, I-4 U 67/11, Tz. 50
Eine geschäftliche Handlung liegt auch vor, wenn sich jemand erkennbar fremder Meinungsäußerungen auf seinen Internetseiten bedient, um interessierte Internetnutzer zu informieren, dabei aber neben der damit zunächst bezweckten Information zugleich auch seine eigene freiberufliche Tätigkeit fördert. Es ist dafür nicht erforderlich, dass er sich die fremde Äußerung zu eigen macht. Es reicht vielmehr aus, wenn der Informant sich von der fremden Äußerung nicht ernsthaft distanziert und diese auch nicht nur als Teil einer Dokumentation des Meinungsstandes auf dem Markt der Meinungen an der Seite anderer Stellungnahmen eingestellt hat (vgl. BGHZ 132, 13, 18, 19).
Meinungsäußerung und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
Zu einem Boykottaufruf außerhalb eines Wettbewerbsverhältnisses, der nach den Grundsätzen des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu beurteilen ist:
OLG München, Urt. v. 15.11.12 - 29 U 1481-12, B.II.1 - Abofallenbetreibern das Handwerk legen
Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stellt einen offenen Tatbestand dar, dessen Inhalt und Grenzen sich erst aus einer Interessen- und Güterabwägung mit der im Einzelfall konkret kollidierenden Interessensphäre anderer ergeben; bei dieser Abwägung sind die betroffenen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 2008, 2110 - Gen-Milch Tz. 12).
Es hängt danach von einer Abwägung der wechselseitig betroffenen Interessen ab, ob der Eingriff in die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit gerechtfertigt ist, den eine auf die Verletzung des Rechts am Gewerbebetrieb gestützte Untersagung eines - mittelbaren oder unmittelbaren - Boykottaufrufs darstellt. Wesentlich sind zunächst die Motive und - damit verknüpft - das Ziel und der Zweck des Aufrufs. Findet dieser seinen Grund nicht in eigenen Interessen wirtschaftlicher Art, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit, dient er also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung, dann spricht dies dafür, dass der Schutz durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich Vorrang hat, auch wenn dadurch private und namentlich wirtschaftliche Interessen beeinträchtigt werden. Die Verfolgung der Ziele des Aufrufenden darf aber das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung des Angegriffenen oder betroffener Dritter nicht überschreiten. Schließlich müssen die Mittel der Durchsetzung des Boykottaufrufs verfassungsrechtlich zu billigen sein; das ist grundsätzlich der Fall, wenn der Aufrufende sich gegenüber dem Adressaten auf den Versuch geistiger Einflussnahme und Überzeugung beschränkt, also auf Mittel, die den geistigen Kampf der Meinungen gewährleisten, nicht aber, wenn zusätzlich Machtmittel eingesetzt werden, die der eigenen Meinung Nachdruck verleihen sollen und die innere Freiheit der Meinungsbildung zu beeinträchtigen drohen (vgl. BVerfG NJW-RR 2008, 200, 201 - Plakatieren für Scientology-Bewegung).
Dabei ist zu beurteilen, ob die Art und Weise sowie der Inhalt der Meinungsäußerung geeignet. erforderlich und verhältnismäßig ist, um das angestrebte legitime Ziel zu erreichen.
OLG München, Urt. v. 15.11.12 - 29 U 1481-12, B.II.1.b.bb - Abofallenbetreibern das Handwerk legen
Für die Eignung reicht es aus, wenn der gewünschte Erfolg durch die Maßnahme gefördert werden kann; es genügt bereits die abstrakte Möglichkeit einer Zweckerreichung (vgl. BVerfG NVwZ 2010, 1212 Tz. 103; NJW 1985, 121, 123]). ...
An der gebotenen Erforderlichkeit fehlt es nur, wenn die als Alternativen in Betracht kommenden Beschränkungen die gleiche Wirksamkeit versprechen, die Betroffenen aber weniger belasten (vgl. BVerfG NVwZ 2001, 790, 791). ...
Die Antragstellerin mag zwar als Folge des Aufrufs wirtschaftliche Einbußen befürchten. Das begründet indes kein Übergewicht ihrer Belange gegenüber dem von einem öffentlichen Interesse getragenen Anliegen der Antragsgegnerin. Denn Meinungsäußerungen, sei es in der Form eines Boykottaufrufs, sei es in anderer Form, tragen immer das Risiko in sich, für bestimmte Personenkreise wirtschaftlich nachteilige Wirkungen mit sich bringen zu können, wenn die angesprochenen Kreise auf Grund der Meinungsäußerung ihr bisheriges Verhalten ändern und dadurch wirtschaftliche Folgen auslösen (vgl. BVerfG, NJW-RR 2008, 200, 201 f, - Plakatieren für Scientology-Bewegung). Es stünde im Widerspruch zur Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede, wenn man dieses allgemeine Risiko für ein Zurückdrängen der Meinungsfreiheit ausreichen ließe.
Zitiervorschlag zur aktuellen Seite
Omsels, Online-Kommentar zum UWG: