1. Die Bedeutung einer Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr für den Unterlassungsanspruch
2. Was heißt Wiederholungsgefahr und wann besteht sie
a. Die Rechtsverletzung begründet die Wiederholungsgefahr
b. Wiederholungsgefahr bei der Verletzung von Prüfungspflichten
c. Ausräumung der Wiederholungsgefahr
aa. Regel: durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung
bb. Keine Ausnahme: Aufgabe der Tätigkeit
dd. Ausnahme: Klärung einer umstrittenen Rechtslage
ee. Ausnahme: Die Handlung war zum Zeitpunkt der Begehung noch erlaubt
ff. Ausnahme: Legalisierung der vormals rechtswidrigen Handlung
gg. Ausnahme: Veränderung der Umstände
hh. Ausnahme: Keine Wiederholung möglich
ii. Ausnahme: Umwandlung, Verschmelzung
jj. Ausnahme: Rechtskrätiges Urteil im Hauptsacheverfahren
3. Was heißt Erstbegehungsgefahr und wann besteht sie
a. Erstbegehungsgefahr durch Rechtsberühmung
b. Erstbegehungsgefahr durch Ausstellen auf einer Messe
e. Ausräumung der Erstbegehungsgefahr
f. Bei Erstbegungsgefahr kein Schadenersatzanspruch
4. Nebeneinander von Wiederholungs- und Erstbegehungsgefahr (u.a. Streitgegenstand)
Die Bedeutung einer Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr für den Unterlassungsanspruch
Der Unterlassungsanspruch allgemein und damit auch im Wettbewerbsrecht und im gewerblichen Rechtschutz setzt voraus, dass gegen eine wettbewerbsrechtliche Norm verstoßen wird oder wurde. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich zum Zeitpunkt, zu dem die Handlung begangen wurde, und zu dem vom Gericht darüber geurteilt abschließend wird.
OLG Stuttgart, Urt. v. 5.9.2013, 2 U 155/12, II.A
Der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch ist in die Zukunft gerichtet. Deshalb setzt eine Verurteilung zur Unterlassung nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes voraus, dass die angegriffene Wettbewerbshandlung sowohl im Zeitpunkt ihrer Begehung unlauter ist als auch zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Falle erneuter Vornahme unlauter wäre.
S.a.
BGH, Urt. v. 15.4.2010, I ZR 145/08 – Femur-Teil
Auf das in die Zukunft gerichtete Unterlassungsbegehren sind die Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in der zur Zeit der Entscheidung geltenden Fassung anzuwenden.
Da der Unterlassungsanspruch darauf gerichtet ist, dass es zukünftig zu keinen Rechtsverletzungen (mehr) kommt, ist dafür Voraussetzung, dass für eine zukünftige Rechtsverletzung eine Wiederholungsgefahr oder eine Erstbegehungsgefahr besteht.
Allerdings reicht - neben einer begangenen Verletzungshandlung - das Bestehen einer Wiederholungsgefahr für den Unterlassungsanspruch nicht aus. Der Unterlassungsgläubiger muss zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung und Erfüllung bzw. Titulierung des Anspruchs auch Mitbewerber des Verletzers gewesen sein.
BGH, Vers.-Urt. v. 10.3.2016, I ZR 183/14, Tz. 18 - Stirnlampen
Der Verletzungsunterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Fall 2 UWG knüpft nicht allein an die Gefahr weiterer Wettbewerbsverstöße, sondern auch an einen begangenen Wettbewerbsverstoß an, der diese Gefahr begründet hat. Das Fortbestehen der durch die Verletzungshandlung begründeten Wiederholungsgefahr stellt eine der Voraussetzungen dar, unter denen ein Verletzungsunterlassungsanspruch besteht. Das Fehlen dieser Gefahr steht daher dem entsprechenden Anspruch zwingend entgegen; ihr Vorliegen allein rechtfertigt aber diesen Anspruch noch nicht. Eine Gleichbehandlung des nachträglich hinzugekommenen Mitbewerbers mit den bereits zur Zeit der Verletzungshandlung tätig gewesenen Mitbewerbern ist schon deshalb nicht geboten, weil diese anders als der neu hinzugekommene Mitbewerber durch das unzulässige Verhalten des Wettbewerbers in ihren wettbewerbsrechtlichen Interessen verletzt worden sind.
Diese zeitliche Synchronität wird man auch bei Unterlassungsansprüchen voraussetzen müssen, die auf eine Erstbegehungsgefahr gestützt werden.
Was heißt Wiederholungsgefahr und wann besteht sie
Die Wiederholungsgefahr ist alternativ zur Erstbegehungsgefahr eine Voraussetzung für den Unterlassungsanspruch. Wiederholungsgefahr bedeutet bedeutet, dass eine Rechtsverletzung in der Vergangenheit begangen wurde und die Gefahr besteht, dass diese Rechtsverletzung wiederholt wird. In den weitaus meisten Fällen, in denen in der Praxis ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird, liegt diesem Anspruch eine Wiederholungsgefahr zu Grunde.
Die Rechtsverletzung begründet die Wiederholungsgefahr
Wenn eine Rechtsverletzung begangen wurde, wird daraus abgeleitet, dass eine Wiederholungsgefahr besteht, und zwar nicht nur für identische Rechtsverletzungen, sondern für alle Handlungen, die im Kern mit der begangenen Rechtsverletzung vergleichbar sind.
BGH, Urt. v. 30.4.2009, I ZR 42/07, Tz. 64 - DAX
Eine - auch nur einmalige - Rechtsverletzung begründet die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr, die grundsätzlich nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung oder einen rechtskräftigen Unterlassungstitel ausgeräumt wird.
Ebenso BGH, Urt. v. 12.1.2023, I ZR 49/22, Tz. 14 – Unterwerfung durch PDF; OLG München, Urt. v. 23.11.2023, 29 U 3309/22)
BGH, Urt. v. 9.12.2021, I ZR 146/20, LS. b), Tz. 11 - Werbung für Fernbehandlung
Die für einen geltend gemachten Verletzungsunterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr erstreckt sich im Ausgangspunkt auf mit der konkreten Verletzungshandlung identische Verletzungshandlungen. Im Interesse eines wirksamen Rechtsschutzes besteht eine Wiederholungsgefahr darüber hinausgehend für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt. In dem Umfang, in dem der geltend gemachte Unterlassungsanspruch über eine zulässige Verallgemeinerung hinausgeht, fehlt es an der erforderlichen Wiederholungsgefahr. Der Unterlassungsanspruch ist in diesem Umfang unbegründet und der Klageantrag insoweit abzuweisen, sofern auch greifbare Anhaltspunkte für eine Erstbegehungsgefahr fehlen.
Ebenso BGH, Urt. v. 17.9.2015, I ZR 92/14, Tz. 38 – Smartphone-Werbung; BGH, Urt. v. 14.1.2016, I ZR 65/14, Tz. 52 - Freunde finden; BGH, Urt. v. 29. 4. 2010, I ZR 202/07, Tz. 42 – Erinnerungswerbung im Internet; OLG Hamburg, Urt. v. 27.10.2010 , 5 U 224/08; KG, Urt. v. 10.7.2015, 5 U 131/13, B.I.2 (= MD 2015, 1086); OLG Nürnberg, Urt. v. 29.11.2022, 3 U 493/22, Tz. 14; OLG Karlsruhe, Urt. v. 22.12.2022, 4 U 262/22; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4.6.2024, 6 U 5/24, Tz. 54; OLG Stuttgart, Urt. v. 15.8.2024, 2 U 198/22 (WRP 2024, 1405)
OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.1.2016, 6 W 1/16
Eine Verletzungshandlung begründet die Vermutung der Wiederholungsgefahr nicht nur für die identische Verletzungsform, sondern auch für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen. … Der Kernbereich der Verletzungshandlung erfasst dabei nicht nur inhaltlich gleichwertige Werbeaussagen und Aussagen die auf ähnliche Produkte bezogen sind, sondern auch gleichlautende Aussagen gegenüber anderen Adressaten (vgl. BGH GRUR 2004, 517 - E-Mail-Werbung) oder in anderen Werbemedien, zB in einer anderen Zeitung (offen gelassen: OLG Köln, GRUR-RR 2015, 266 Tz. 26 - NACT-Studie II). … Die Wiederholungsgefahr erfasst auch andere Formen der Werbung als die Werbung auf einer Internetseite. Denkbar ist zum Beispiel die Verteilung einer Broschüre als Druckwerk. Der Darlegung einer Erstbegehungsgefahr bedarf es insoweit nicht. Denn die Verletzungshandlung begründet eine Vermutung der Wiederholung innerhalb des gesamten Kernbereichs.
Wiederholt der Unterlassungsschuldner nach Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung die geschäftliche Handlung, entsteht beim Unterlassungsgläubiger ein neuer Unterlassungsanspruch, der wiederum nur durch Abgabe einer neuen Unterlassungserklärung mit verschärfter Vertragsstraferegelung erfüllt werden kann.
OLG Köln, Urt. v. 24.5.2017, 6 U 161/16, Tz. 71
Begeht der Schuldner nach Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, mit der die Wiederholungsgefahr beseitigt wurde, einen identischen Wettbewerbsverstoß, entsteht ein neuer Unterlassungsanspruch. Die nach Abgabe einer Unterlassungserklärung durch einen erneuten Wettbewerbsverstoß begründete Wiederholungsgefahr kann grundsätzlich allenfalls durch eine weitere Unterlassungserklärung mit einer gegenüber der ersten erheblich höheren Strafbewehrung ausgeräumt werden.
Wichtig ist außerdem, dass die Wiederholungsgefahr in keinem Zusammenhang mit den Wettbewerbsverhältnis steht. Dass ein Wettbewerbsverhältnis besteht, ist Voraussetzung für Ansprüche aus dem UWG. Wenn ein Wettbewerbsverhältnis besteht, wird der Unterlassungsanspruch aber nicht auf Handlungen beschränkt, den die Wettbewerbsposition des Anspruchsteller beeinträchtigen könnten.
OLG Frankfurt, Beschl. v. 13.2.2024, 6 W 5/24
Die Reichweite der Wiederholungsgefahr ist nicht auf Waren beschränkt, hinsichtlich derer zwischen den Parteien ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht. Zwar setzt die Aktivlegitimation und damit zugleich die Klagebefugnis eines Wettbewerbers nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG voraus, dass dieser Mitbewerber ist, der Waren oder Dienstleistungen in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich vertreibt oder nachfragt. Ist diese Voraussetzung erfüllt, besteht bei einem Wettbewerbsverstoß aber grundsätzlich im Umfang der Wiederholungsgefahr ein Unterlassungsanspruch. Dies trägt auch dem Umstand Rechnung, dass das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 UWG nicht nur dem Schutz der Mitbewerber, sondern auch der Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen dient und zugleich das Interesse der Allgemeinheit an einem unverfälschten Wettbewerb schützt.
Zur Wiederholungsgefahr beim Rechtsnachfolger siehe hier.
Wiederholungsgefahr bei der Verletzung von Prüfungspflichten
Die Täterhaftung aufgrund einer Verletzung wettbewerbsrechtlicher Verkehrspflichten (dazu näheres hier) setzt im Regelfall die Verletzung von Prüfungspflichten voraus, die ihrerseit voraussetzen, dass der 'Täter' erst einmal auf die Rechtsverletzung hingewiesen wurde. Das hat Auswirkungen auf die Frage, wann in solchen Fällen eine Wiederholungsgefahr besteht.
BGH, Urt. v. 17.8.2011, I ZR 57/09, Tz. 39 - Stiftparfum
Eine Verhaltenspflicht des Betreibers, deren Verletzung eine Wiederholungsgefahr begründen kann, kann erst nach Erlangung der Kenntnis von der Rechtsverletzung entstehen. Damit kann in derjenigen Verletzungshandlung, die Gegenstand einer Abmahnung oder sonstigen Mitteilung ist, mit der der Betreiber des Online-Marktplatzes erstmalig Kenntnis von einer Rechtsverletzung erlangt, keine Verletzungshandlung gesehen werden, die eine Wiederholungsgefahr im Sinne eines Verletzungsunterlassungsanspruchs begründet. Für die Annahme von Wiederholungsgefahr ist vielmehr eine vollendete Verletzung nach Begründung der Pflicht zur Verhinderung weiterer derartiger Rechtsverletzungen erforderlich.
BGH, Urt. v. 22.7.2021, I ZR 194/20, Tz. 94 - Rundfunkhaftung
Wird eine wettbewerbsrechtliche Verkehrspflicht zur Unterbindung eines rechtswidrigen Angebots erst durch den Hinweis auf die Rechtsverletzung in einer Abmahnung oder einer sonstigen Mitteilung ausgelöst, so liegt in der Handlung, die Gegenstand der Mitteilung ist, noch keine Verletzungshandlung, die eine Wiederholungsgefahr im Sinne eines Verletzungsunterlassungsanspruchs begründet. Für die Annahme von Wiederholungsgefahr ist vielmehr eine vollendete Verletzung nach Begründung der wettbewerbsrechtlichen Pflicht zur Verhinderung weiterer derartiger Rechtsverletzungen erforderlich.
BGH, Urt. v. 15.4.2010, I ZR 145/08 – Femur-Teil
Auf das in die Zukunft gerichtete Unterlassungsbegehren sind die Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in der zur Zeit der Entscheidung geltenden Fassung anzuwenden. Der auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsanspruch besteht allerdings nur, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten auch zur Zeit der Begehung wettbewerbswidrig war.
Ausräumung der Wiederholungsgefahr
BGH, Urt. v. 1.12.2022, I ZR 144/21, Tz. 38 - Wegfall der Wiederholungsgefahr III
Es ist Aufgabe des Verletzers, die für die Wiederholungsgefahr bestehende tatsächliche Vermutung zu widerlegen (vgl. BeckOK.Markenrecht/Eckhartt aaO § 14 MarkenG Rn. 572).
BGH, Urt. v. 10.1.2024, I ZR 95/22, Tz. 38 – Peek & Cloppenburg V
Grundsätzlich kann die Wiederholungsgefahr nur durch ein rechtskräftiges, mit einer Ordnungsmittelandrohung verbundenes Unterlassungsurteil oder eine ernst gemeinte, den Anspruchsgegenstand uneingeschränkt abdeckende, eindeutige und unwiderrufliche Unterlassungserklärung unter Übernahme einer angemessenen Vertragsstrafe für den Fall zukünftiger Zuwiderhandlung entfallen. Einem rechtskräftigen Urteil in der Hauptsache steht eine einstweilige Verfügung gleich, die der Schuldner durch Abschlusserklärung als endgültige Regelung anerkannt hat.
Regel: Durch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung
Die Wiederholungsgefahr kann zur Vermeidung eines Gerichtsverfahrens in aller Regel nur durch die Abgabe einer ausreichend strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden. (Siehe dazu auch hier)
BGH, Urt. v. 4.7.2019, I ZR 161/18, Tz. 17 - IVD-Gütesiegel
Die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr entfällt grundsätzlich nur dann, wenn der Schuldner eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgibt, ein rechtskräftiger Unterlassungstitel in der Hauptsache ergangen ist oder nach Erlass eines Verbotstitels im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Abschlusserklärung erfolgt. Bloße nachträgliche Verhaltensänderungen führen nicht zum Entfallen der Wiederholungsgefahr, solange nicht jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme ähnlicher Tätigkeiten beseitigt ist (st. Rspr.).
Ebenso BGH, Urt. v. 11.7.2024, I ZR 164/23, Tz. 107 - nikotinhaltige Liquids; BGH, Urt. v. 14.1.2016, I ZR 65/14, Tz. 52 - Freunde finden; OLG München, Urt. v. 23.11.2023, 29 U 3309/22)
Wird nach der Abgabe einer Unterlassungserklärung die Handlung wiederholt, entsteht eine neue Wiederholungsgefahr (siehe oben und OLG Köln, Urt. v. 21.9.2012, 6 U 106/12, Tz. 6).
In diesen Fällen kann eine weitere Unterlassungserklärung gefordert werden, die mit einer höheren Vertragsstrafe verbunden sein muss, da der Unterlassungsschuldner durch die Wiederholung der Handlung demonstriert hat, dass die erste Unterlassungserklärung nicht ausreichend war. Außerdem schuldet er bei schuldhaftem Handeln aus der früheren Unterlassungserklärung eine Vertragsstrafe.
OLG Köln, Urt. v. 5.12.2014, 6 U 57/14, II.2.b
Begeht der Schuldner nach Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, mit der die Wiederholungsgefahr beseitigt wurde, einen identischen Wettbewerbsverstoß, entsteht ein neuer Unterlassungsanspruch. Die nach Abgabe einer Unterlassungserklärung durch einen erneuten… Wettbewerbsverstoß begründete Wiederholungsgefahr kann grundsätzlich allenfalls durch eine weitere Unterlassungserklärung mit einer gegenüber der ersten erheblich höheren Strafbewährung ausgeräumt werden (BGH, GRUR 1990, 534 – Abruf-Coupon).
Bei einem Vertragsstrafeversprechen nach „neuem Hamburger Brauch“ kann die erforderliche Verschärfung durch Versprechen einer Vertragsstrafe „nicht unter…“ nach Lage des Falles genügen (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, § 12 Rdn 1.157).
Von dem Grundsatz, dass die Wiederholungsgefahr nur dirch eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ausgeräumt werden kann, gibt es eng umgrenzte Ausnahmen
Keine Ausnahme: Aufgabe der Tätigkeit
Die bloße Aufgabe des rechtswidrigen Verhaltens genügt zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr meist nicht.
BGH, Urt. v. 12.9.2013, I ZR 208/12, Tz. 26 - Empfehlungs-E-Mail
Durch die Aufgabe des rechtsverletzenden Verhaltens entfällt die Wiederholungsgefahr grundsätzlich nicht. Die aus einem früheren rechtswidrigen Handeln erfahrungsgemäß abgeleitete ernsthafte Besorgnis, dass der Verletzer auch weiterhin in gleicher Weise handeln wird, endet daher im Allgemeinen nicht aufgrund der Aufgabe der Betätigung, in deren Rahmen die Verletzung erfolgt ist (BGH, Urt. v. 2. 10. 2012, I ZR 82/11, Tz. 58 - Völkl, mwN).
BGH, Urt. v. 10.1.2024, I ZR 95/22, Tz. 43 – Peek & Cloppenburg V
Die Erwägung, die Beklagte habe die von der Klägerin beanstandete Verletzungshandlung sofort abgestellt und über längere Zeit nicht wiederholt, so dass absehbar nicht mit weiteren Verletzungen zu rechnen sei, ist kein Gesichtspunkt, der für einen Wegfall der Wiederholungsgefahr spricht. Eine solche Beurteilung läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass die Klägerin das Vorliegen der Wiederholungsgefahr darzulegen und zu beweisen hat.
Es ist auch nicht ausreichend, dass die Wettbewerbstätigkeit eingestellt wird, solange sie wieder aufgenommen werden könnte.
BGH, Urt. v. 30.4.2014, I ZR 170/10, Tz. 31 - Betriebskrankenkasse II
Die Wiederholungsgefahr entfällt insbesondere nicht schon mit der Aufgabe der Tätigkeit, in deren Rahmen die Verletzungshandlung erfolgt ist, solange nicht auch jede Wahrscheinlichkeit für eine Wiederaufnahme ähnlicher Tätigkeiten durch den Verletzer beseitigt ist (vgl. nur BGH, GRUR 2001, 453, 455 - TCM- Zentrum, mwN). Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn sich der Unterlassungsanspruch gegen eine am privaten Geschäftsverkehr teilnehmende Körperschaft des öffentlichen Rechts richtet (BGH, GRUR 1991, 769, 771 - Honoraranfrage; GRUR 1994, 516, 517 = WRP 1994, 506 - Auskunft über Notdienste).
Ebenso BGH, Urt. v. 14.1.2016, I ZR 65/14, Tz. 53 - Freunde finden; OLG Hamburg, Urt. v. 17.12.2020, 15 U 129/19, Tz. 99
Die Aufgabe des Geschäftsbetriebs lässt die Wiederholungsgefahr in aller Regel ebenfalls nicht entfallen.
OLG Frankfurt, Urt. v. 3.7.2014, 6 U 240/13, Tz. 15
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. GRUR 1998, 824, 828 - Testpreis-Angebot - sowie die Nachweise bei Köhler/Bornkamm, UWG, Rdz. 1.39a zu § 8 UWG) lässt die Aufgabe des Geschäftsbetriebs die Wiederholungsgefahr nur dann entfallen, wenn ausgeschlossen ist, dass der Verletzer denselben oder einen ähnlichen Geschäftsbetrieb wieder aufnimmt.
Ebenso OLG Hamburg, Urt. v. 17.12.2020, 15 U 129/19, Tz. 99
Ausnahme: Abgabe einer nicht strafbewehrten Unterlassungserklärung bei Verstoß gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten oder Datenschutzbestimmungen
Nach § 13a Abs. 2 UWG ist die Vereinbarung einer Vertragsstrafe für Mitbewerber bei einer erstmaligen Abmahnung bei Verstößen nach § 13 Abs. 4 UWG ausgeschlossen, wenn der Abgemahnte in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt. § 13 Abs. 4 UWG betrifft Rechtsverstöße gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien und Verstöße gegen Datenschutzbestimmungen. Es ist derzeit streitig, ob in den Fällen einer Erstabmahnung durch einen Mitbewerber ausreicht, um die Wiederholungsgefahr entfallen zu lassen.
OLG Schleswig, Beschl. v. 3. Mai 2021, 6 W 5/21, II.1.b (WRP 2021, 950)
Unter den in § 13a Abs. 2 UWG n. F. genannten Voraussetzungen ... ist die Vereinbarung einer Vertragsstrafe zwischen Gläubiger und Verletzer ausgeschlossen. In diesen Fällen kann an dem Erfordernis der Strafbewehrung zur Widerlegung der vermuteten Wiederholungsgefahr nicht mehr festgehalten werden. Anderenfalls wäre es dem Verletzer unmöglich, die Vermutung der Wiederholungsgefahr im unmittelbaren Verhältnis zum Gläubiger zu widerlegen und so eine außergerichtliche Streitbeilegung zwischen ihm und dem Gläubiger herbeizuführen. Dass der Gesetzgeber aber mit den Änderungen des UWG durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs (BT-Drs. 19/12084, 1) für diese Fälle eine außergerichtliche Streitbeilegung zwischen Mitbewerbern ausschließen wollte, lässt sich weder der Gesetzessystematik in §§ 13, 13a UWG n. F. noch der Gesetzesbegründung entnehmen.
Durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs hat der Gesetzgeber an dem System der außergerichtlichen Streitbeilegung durch Abmahnung und strafbewehrter Unterlassungserklärung grundsätzlich festgehalten (§ 13 Abs. 1 UWG n. F.). Er hat dieses Recht der Abmahnung und Unterwerfung jedoch einer vorsichtigen Umgestaltung unterworfen. Insoweit wird die in § 13 Abs. 1 UWG n. F. genannte "angemessene Vertragsstrafe" erstmals durch die Regelungen in § 13a UWG n. F. konkretisiert. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 13a Abs. 1 UWG n. F., denn dort heißt es: "Bei der Festlegung einer angemessenen Vertragsstrafe nach § 13 Absatz 1 sind folgende Umstände zu berücksichtigen…". Die Ausgestaltung einer angemessenen Vertragsstrafe i. S. d. § 13 Abs. 1 UWG n. F. richtet sich demnach nach § 13a UWG n. F.. Soweit in § 13a Abs. 2 UWG n. F. die Vereinbarung einer Vertragsstrafe ausgeschlossen ist, ist dies über § 13a Abs. 1 UWG n. F. auch bei der Auslegung des § 13 Abs. 1 UWG n. F. zu berücksichtigen. Das Erfordernis einer angemessenen Vertragsstrafe entfällt in diesen Fällen, weil eine solche Vereinbarung ausgeschlossen ist. Die Regelung in § 13 Abs. 1 UWG ist somit in den Fällen des § 13a Abs. 2 UWG n. F. so zu verstehen, dass der Gläubiger den Schuldner vor der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens abmahnen und ihm Gelegenheit geben soll, den Streit durch Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung beizulegen.
Einzelne Landgerichte sind derzeit anderer Meinung. Zum Streitstand siehe Mörger, Malte, Ausgewählte Probleme im neuen UWG: Fortfall der Wiederholungsgefahr ohne Vertragsstrafeversprechen?, WRP 2021, 885
Ausnahme: Klärung einer umstrittenen Rechtslage
BGH, Urt. v. 25.10.2001, I ZR 29/99 - Vertretung der Anwalts-GmbH
Die im Wettbewerbsrecht geltende Vermutung, ein Wettbewerber werde sein in der Vergangenheit gezeigtes Verhalten auch in der Zukunft fortsetzen oder wiederholen, entfällt immer dann, wenn die Wettbewerbswidrigkeit des fraglichen Verhaltens in der Vergangenheit umstritten war, aufgrund einer Gesetzesänderung nunmehr aber eindeutig zu bejahen ist. Denn es kann nicht angenommen werden, dass derjenige, der bei zweifelhafter Rechtslage sein Verhalten mit vertretbaren Gründen gegen den Vorwurf eines Rechtsverstoßes verteidigt, auch dann auf einer Fortsetzung oder Wiederholung seines Handelns besteht, wenn der Gesetzgeber die offene Frage eindeutig im Sinne des zuvor streitigen Verbots entschieden hat.
Ebenso BGH, Beschl. v. 20.1.2016, I ZB 102/14 - Erledigungserklärung nach Gesetzesänderung; OLG Frankfurt, Urt. v. 10.5.2012, 6 U 81/11, Tz. 12; OLG Köln, Urt. v. 19.2.2014, 6 U 113/13, Tz. 34; OLG München, Urt. v. 26.6.2014, 29 U 800/13, II.1.b
Wird danach die Handlung aber wiederholt, entsteht eine neue Wiederholungsgefahr.
Die Ausnahme gilt nicht, wenn das Verhalten sowohl vor wie nach der Klärung der Rechtslage unlauter war:
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2016 - I ZR 221/15, Tz. 20 - Energieverbrauchskennzeichnung im Internet
Die zeitlich nach den von der Beklagten in ihrem Internet-Auftritt eingetretenen Rechtsänderungen sind nur technischer Art. Sie sind daher nicht geeignet, die durch das vollständige Fehlen von Hinweisen auf die Energieeffizienz der in diesem Internet-Auftritt beworbenen Haushaltsgeräte begründete tatsächliche Vermutung der künftigen Wiederholung entsprechender Verstöße entfallen zu lassen. Der Streitfall lässt sich in dieser Hinsicht nicht mit Fällen vergleichen, in denen der Senat vom Wegfall der Wiederholungsgefahr ausgegangen ist, weil der Verstoß unter der Geltung einer zweifelhaften Rechtslage begangen worden ist, die Zweifel aber durch eine Gesetzesänderung beseitigt worden sind und deshalb nunmehr außer Frage steht, dass das beanstandete Verhalten verboten ist.
Ausnahme: Die Handlung war zum Zeitpunkt der Begehung noch erlaubt
Eine Wiederholungsgefahrs besteht dann nicht, wenn die Handlung zu dem Zeitpunkt, zu der sie vorgenommen wurde, nicht verboten war. Bei Dauerhandlungen genügt es für die Annahme einer Wiederholungsgefahr allerdings, dass sie weiter andauert, nachdem das gesetzliche Verbot in Kraft getreten ist.
BGH, Urt. v. 3.3.2016, I ZR 110/15, Tz. 24 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon
Der Unterlassungsantrag ist nur dann begründet, wenn das beanstandete Verhalten der Beklagten nach dem zur Zeit der Handlung geltenden Recht rechtswidrig war.
Ebenso BGH, Urt. v. 11.6.2015, I ZR 226/13, Tz. 20 - Deltamethrin
OLG Köln, Urt. v. 8.5.201, 6 U 137/14, Tz. 34
Ein auf Wiederholungsgefahr gestützter Unterlassungsanspruch ... ist nur begründet ist, wenn auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechts Unterlassung verlangt werden kann. Zudem muss die Handlung zum Zeitpunkt ihrer Begehung wettbewerbswidrig gewesen sein, weil es andernfalls an der Wiederholungsgefahr fehlt. Im vorliegenden Fall kommt es aber auf die Prüfung nach altem Recht nicht an, da der Interauftritt der Beklagten auch nach dem Inkrafttreten der Neuregelung am 13. 6. 2014 unverändert fortbestand, so dass spätestens dann eine Rechtsverletzung und mit ihr auch eine Wiederholungsgefahr bestand.
Vergleichbar soll diese Situation sein, wenn eine Handlung während des Laufs einer Aufbrauchfrist begangen wird. Dann besteht keine Vermutung einer Wiederholungsgefahr für den Zeitraum nach Ablauf der Aufbrauchfrist (OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.7.2015, 6 W 71/15).
Ausnahme: Legalisierung der vormals rechtswidrigen Handlung
Die Wiederholungsgefahr entfällt, wenn das vormals wettbewerbswidtige Verhalten aufgrund einer Gesetzesänderung zulässig wird. Allerdings beseitigt nicht jede Gesetzesänderung die Wiederholungsgefahr.
BGH, Urt. v. 11.6.2015, I ZR 226/13, Tz. 20 - Deltamethrin
Da der Unterlassungsanspruch in die Zukunft gerichtet ist, muss das beanstandete Verhalten der Beklagten nach dem zur Zeit der Entscheidung geltenden Recht wettbewerbswidrig sein.
Ebenso BGH, Urt. v. 3.3.2016, I ZR 110/15, Tz. 24 - Herstellerpreisempfehlung bei Amazon; OLG München, Urt. v. 23.11.2023, 29 U 3309/22)
OLG Stuttgart, Urt. v. 5.9.2013, 2 U 155/12, II.A
Einschlägige Gesetzesänderungen müssen nicht zwingend zu einer veränderten, die begründete Wiederholungsgefahr beseitigenden Veränderung der Rechtslage führen. Vielmehr ist jeweils zu prüfen, ob das gesetzliche Unwerturteil, aus dem die Unlauterkeit entsteht, unter dem neuen Recht fortgilt.
OLG Köln, Urt. v. 8.5.201, 6 U 137/14, Tz. 34
Ein auf Wiederholungsgefahr gestützter Unterlassungsanspruch ... ist nur begründet ist, wenn auf der Grundlage des zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Rechts Unterlassung verlangt werden kann.
Ausnahme: Veränderung der Umstände
Wenn sich die Umstände so verändern, dass die Wiederholung der Handlung unwahrscheinlich erscheint, kann die Wiederholungsgefahr entfallen.
OLG Frankfurt, Urt. v. 4.12.2014, 6 U 30/14, Tz. 14
Bei der Frage des Fortbestands der Wiederholungsgefahr ist im vorliegenden Verfahren ... zu berücksichtigen, dass die einstweilige Verfügung, die Gegenstand der unlauteren Pressemitteilung war, durch das - inzwischen rechtskräftige - Urteil des Landgerichts ... aufgehoben worden ist. Seit dieser Entscheidung wäre eine erneute Verwendung der streitgegenständlichen Presseerklärung auf jeden Fall unlauter im Sinne von § 4 Nr. 8 UWG, weil bereits die darin mitgeteilten Tatsachen nicht (mehr) zutreffend sind. Damit hat die Aufhebung der einstweiligen Verfügung durch das Landgericht Berlin zu einer Veränderung der tatsächlichen Umstände geführt, unter denen die künftige Verwendung der Presseerklärung zweifellos nicht mehr zu rechtfertigen ist. Bei dieser Sachlage kann aus der begangenen Verletzungshandlung nicht mehr ohne weiteres der Schluss gezogen werden, dass die Beklagte das beanstandete Verhalten auch unter den veränderten Umständen wiederholen könnte. …
In den Fällen der dargestellten Art wird die Wiederholungsgefahr jedoch nicht schon durch die Veränderung der tatsächlichen Umstände oder der Rechtslage selbst beseitigt. Hinzukommen muss vielmehr, dass der Unterlassungsschuldner sich auch auf den Wegfall der Wiederholungsgefahr beruft und klar zu erkennen gibt, dass er im Hinblick auf die geänderten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse die Verletzungshandlung (selbstverständlich) nicht erneut begehen wird. Denn erst dadurch wird die erforderliche Klarheit geschaffen, dass der Unterlassungsschuldner den veränderten Umständen tatsächlich die für die Beseitigung der Wiederholungsgefahr maßgebliche Bedeutung beimisst. Dies lässt sich auch der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.2.2014 (I ZR 119/09, Tz. 13 a.E.) entnehmen, in der es heißt, dass die Wiederholungsgefahr „erst dadurch“ beseitigt worden sei, dass die Beklagte in der Revisionsverhandlung erklärt habe, sich selbstverständlich an die neue Regelung halten zu wollen.
OLG Hamburg, Urt. v. 17.12.2020, 15 U 129/19, Tz. 98 ff
Es ist unerheblich, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen der Irreführung auch heute noch vorlägen oder ob die angegriffene Alleinstellungsbehauptung zum heutigen Zeitpunkt zulässig wäre. Mit anderen Worten kommt es nicht darauf an, ob die angegriffene Werbung der Beklagten aus Februar 2018 in tatsächlicher Hinsicht auch zum jetzigen Zeitpunkt als irreführend anzusehen wäre oder nicht, ob also die Beklagte inzwischen einen deutlichen Vorsprung vor ihren Mitbewerbern mit Aussicht auf eine gewisse Stetigkeit hat. Daher sind die Testergebnisse, die nach der angegriffenen Werbung veröffentlicht worden sind, für diese Entscheidung nicht maßgeblich.
Zwar vertritt Bornkamm (in: Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 8. Aufl. Kap. 33 Rn. 12) möglicherweise eine andere Auffassung. Er meint, dass im Falle einer (ursprünglich unzulässigen) Werbung als „größter Anbieter auf einem bestimmten Markt“ die Wiederholungsgefahr aufgrund der Änderung tatsächlicher Umstände entfalle, wenn das werbende Unternehmen unbestritten die Position des größten Anbieters erreiche. … Dem folgt der Senat indes nicht. Denn eine erneute Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse, infolge derer das werbende Unternehmen im Beispielsfall die Position als „größter Anbieter“ bzw. hier des „besten Netzes“ wieder verliert, ist jederzeit möglich. Das unterscheidet das von Bornkamm gebildete Beispiel ebenso wie den hiesigen Fall von anderen Konstellationen, in denen eine erneute Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse in so hohem Maße als unwahrscheinlich erscheint, dass von einem Fortfall der Wiederholungsgefahr auszugehen sein könnte. Letzteres mag etwa zu erwägen sein, wenn der zunächst unzulässig mit einem Doktortitel Werbende den Doktorgrad erwirbt oder wenn ein zunächst ohne die erforderliche Erlaubnis gemäß § 10 RDG werbendes Inkassounternehmen die nötige Erlaubnis erhält. Jedenfalls abgesehen von besonders liegenden Fällen gilt jedoch der Grundsatz, dass die bloße Veränderung tatsächlicher Verhältnisse nicht zu einem Wegfall der Wiederholungsgefahr führt (Bornkamm in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. § 8 Rn. 1.51 m.w.N.). …
Daran ändert sich auch nicht dadurch etwas, dass eine auf Wiederholungsgefahr gestützte Unterlassungsklage nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur dann begründet ist, wenn das beanstandete Verhalten des Beklagten sowohl zum Zeitpunkt seiner Vornahme rechtswidrig war als auch zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung rechtswidrig ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, GRUR 2017, 928 Rn. 14 - Energieeffizienzklasse II m.w.N.). Damit ist nicht gemeint, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen der unlauteren Handlung auch im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht noch gegeben sein müssen, sondern lediglich, dass die damalige Verletzungshandlung auch aufgrund der aktuellen Rechtslage noch als rechtswidrig anzusehen sein muss. Das ergibt sich schon daraus, dass der Bundesgerichtshof in diesem Zusammenhang stets (nur) prüft, ob und ggf. inwiefern sich die Rechtslage zwischen Verletzungshandlung und letzter gerichtlicher Entscheidung geändert hat (s. BGH, GRUR 2017, 928 Rn. 15 - Energieeffizienzklasse II und die dortigen Verweise) und dass er für die Betrachtung nicht auf die letzte mündliche Tatsachenverhandlung abstellt, sondern auf den Zeitpunkt der Revisionsentscheidung (BGH GRUR 2017, 928 Rn. 14 - Energieeffizienzklasse II). Es ist also eine Bewertung anhand der dann geltenden Rechtslage, aber mit Blick ausschließlich auf das in der Vergangenheit liegende beanstandete Verhalten und die zu diesem Zeitpunkt herrschenden tatsächlichen Verhältnisse anzustellen.
Wenn ein Unternehmen mit einem Zertifikat wirbt, das ihm zum Zeitpunkt der Werbung noch nicht zusteht, entfällt die Wiederholungsgefahr für die unberechtigte Werbung nicht, nachdem ihm das Zertifikat erteilt wurde:
OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.5.2021, 6 W 23/21, II.3
Die Erlangung des Zertifikates nach Art. 27 ÖkoVO durch die Antragsgegnerin kann nicht zu einem Wegfall der Wiederholungsgefahr führen. Dem steht schon entgegen, dass der Gültigkeitszeitraum des Zertifikats bis zum 31.08.2021 beschränkt ist.
OLG München, Urt. v. 23.11.2023, 29 U 3309/22, Tz. 22
Die Wiederholungsgefahr ist durch die Erteilung des Bio-Zertifikats nicht entfallen (so auch OLG Frankfurt GRUR-RR 2022, 100 Rn. 25 ff.). Eine Änderung der Rechtslage ist durch die Erteilung des Bio-Zertifikats nicht eingetreten. Vielmehr haben sich nur die tatsächlichen Verhältnisse dahingehend geändert, dass die Beklagte nunmehr über ein Bio-Zertifikat verfügt und der Internetauftritt daher nunmehr nicht mehr irreführend sein könnte und damit die beanstandete Störung weggefallen sein könnte, jedoch ist dies für die Beseitigung der Wiederholungsgefahr nicht ausreichend, denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte die Berechtigung, das Bio-Zertifikat zu führen, in der Zukunft wieder verliert und dennoch weiter in der beanstandeten Weise wirbt.
Ausnahme: Keine Wiederholung möglich
Zur Bezugnahme eines Unterlassungsantrag auf das umfangreiche Telemedienangebot einer Gemeinde an einem bestimmten Tag in der Vergangenheit:
OLG Hamm, Urt. v. 10.6.2021, 4 U 1/20, Tz. 318 f
Eine Wiederholungsgefahr liegt vor, wenn eine Wiederholung des wettbewerbswidrigen Verhaltens ernsthaft und greifbar zu besorgen, nicht schon, wenn sie nur denkbar oder möglich ist.
Die Klägerin wendet sich im vorliegenden Verfahren ausdrücklich nicht dagegen, dass die Beklagte generell ein Telemedienangebot betreibt. Angegriffen wird allein die konkrete Verletzungshandlung, nicht auch kerngleiche Verstöße. Eine nochmalige Bereitstellung des – allein von der Antragstellung umfassten – Telemedienangebots vom 15.05.2017 durch die Beklagte wäre zwar theoretisch möglich, aber keinesfalls ernsthaft zu besorgen. Die Möglichkeit muss vielmehr als fernliegend beurteilt werden.
Ausnahme: Umwandlung, Verschmelzung
Hier kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an.
BGH, Urt. v. 12.2.2015, I ZR 213/13, Tz. 17 – Fahrdienst zur Augenklinik
Die Umwandlung im Wege des Formwechsels oder die Verschmelzung der österreichischen Aktiengesellschaft auf den Unterlassungsschuldner führen nicht zu einem Fortfall der Wiederholungsgefahr. Sie lassen sich nicht mit den Fällen vergleichen, in denen Organe oder Mitarbeiter einer auf einen anderen Rechtsträger verschmolzenen Gesellschaft Wettbewerbsverstöße begangen haben, ohne dass dadurch beim übernehmenden Rechtsträger eine Wiederholungsgefahr oder eine Erstbegehungsgefahr begründet wird (BGH, Urt. v. 26.4.2007, I ZR 34/05, Tz. 11 bis 15 - Schuldnachfolge; Urt. v. 3.4.2008, I ZR 49/05, Tz. 39 - Schuhpark [zum Markenrecht]; Urt. v. 18.3.2010, I ZR 158/07, Tz. 40 - Modulgerüst II). Der Formwechsel einer Gesellschaft nach §§ 190 ff. UmwG hat als solcher keine Auswirkungen auf das Fortbestehen einer in ihrer Person begründeten Wiederholungsgefahr, da er die Identität der Gesellschaft gemäß § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG unberührt lässt (vgl. K. Schmidt, Festschrift Köhler, 2014, S. 631, 640 unter V 2). Dasselbe gilt bei einer Verschmelzung durch Aufnahme nach § 2 Nr. 1, §§ 4 ff. UmwG.
Ebenso BGH, Urt. v. 7.3.2019, I ZR 184/17, Tz. 38 – Energieeffizienzklasse III
Ausnahme: Rechtskräftiges Urteil im Hauptsacheverfahren
Die Wiederholungsgefahr kann auch durch ein rechtkräftiges gerichtliches Verbot im Hauptsacheverfahren entfallen.
BGH, Urt. v. 19.12.2002, I ZR 160/00, II.2.b - Begrenzte Preissenkung
Ein die streitgegenständliche Werbung betreffendes rechtskräftiges Urteil lässt die Wiederholungsgefahr auch im Verhältnis zu einem Dritten in der Regel entfallen. Es liegt nämlich nahe anzunehmen, dass der Schuldner das Urteil ebenso ernst nehmen und für sein künftiges Verhalten bestimmend erachten wird wie eine eigene vertragliche strafbewehrte Unterlassungsverpflichtung.
Eine andere Beurteilung kann ausnahmsweise im Einzelfall angebracht sein, wenn der Vollstreckungsgläubiger an der Durchsetzung des Titels nicht interessiert ist oder wenn das Verhalten des Schuldners Zweifel aufkommen lässt, dass er dem ergangenen Urteil eine den Streit regelnde Wirkung beimisst. Um solche Zweifel nicht aufkommen zu lassen, bedarf es weder einer eigenständigen verpflichtenden oder anerkennenden Erklärung noch einer Abschlusserklärung wie bei im Verfahren der einstweiligen Verfügung erstrittenen Titeln. Genügend, aber auch erforderlich ist ein Verhalten des Schuldners, wonach er das ergangene Urteil als eine den Streit betreffende Regelung versteht. An einem solchen Verhalten fehlt es und begründete Zweifel sind angebracht, der Schuldner verstehe die ergangene Entscheidung als eine den Streit des Abmahnenden betreffende Regelung, wenn der Schuldner im Rahmen einer anstehenden wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung sich nicht auf den gegen ihn ergangenen rechtskräftig gewordenen Titel beruft. Befindet sich der Verurteilte wegen derselben Wettbewerbshandlung mit einem Dritten in einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung, beseitigt das rechtskräftige Urteil die Wiederholungsgefahr gegenüber dem Dritten nur, wenn er sich darauf beruft und dadurch zu erkennen gibt, dass das Urteil auch diesen Streit regelt.
Ebenso BGH, Urt. v. 13.12.2018, I ZR 3/16, Tz. 63 – UBER BLACK II; BGH, Urt. v. 10.1.2024, I ZR 95/22, Tz. 38 – Peek & Cloppenburg V
Durch eine einstweilige Verfügung zugunsten eines Wettbewerbers entfällt die Wiederholungsgefahr bezüglich der anderen Wettbewerber nicht. Sie können deshalb ebenfalls noch gegen den Unterlassungsschuldner vorgehen, solange die einstweilige Verfügung noch nicht als abschließende Regeleung anerkannt wurde.
OLG Oldenburg, Urt. v. 10.2.2012, 6 U 247/11 (= MMR 2012, 312)
Durch den Erlass der einstweiligen Verfügung entfiel die erforderliche Wiederholungsgefahr nicht, solange das Hauptverfahren durchgeführt werden und zu einer Aufhebung der einstweiligen Verfügung führen konnte. Der Beklagte konnte den Entfall einer Wiederholungsgefahr nur dadurch bewirken, dass er eine sog. Abschlusserklärung (bzw. ein Abschlussschreiben) beibrachte (vgl. dazu Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, § 12 Rdnr. 1.78 und 3.74).
Was heißt Erstbegehungsgefahr und wann besteht sie
Wiederholungsgefahr bedeutet, dass bereits eine unzulässige geschäftliche Handlung begangen wurde. Erstbegehungsgefahr heißt demgegenüber, dass die Gefahr droht, dass ein Unternehmer sich wettbewerbswidrig verhalten wird. Die Erstbegehungsgefahr muss aus objektiven Umständen hergeleitet werden. Das Verhalten des Unternehmers muss konkreten Anlass zu der Befürchtung geben, dass er eine unlautere geschäftliche Handlung begehen wird.
BGH, Urt. v. 22.10.2010, I ZR 17/05, Tz. 23 – Pralinenform II
Ein auf Erstbegehungsgefahr gestützter vorbeugender Unterlassungsanspruch setzt ernsthafte und greifbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür voraus, dass der andere sich in naher Zukunft rechtswidrig verhalten wird. Dabei muss sich die Erstbegehungsgefahr auf eine konkrete Verletzungshandlung beziehen. Die die Erstbegehungsgefahr begründenden Umstände müssen die drohende Verletzungshandlung so konkret abzeichnen, dass sich für alle Tatbestandsmerkmale zuverlässig beurteilen lässt, ob sie verwirklicht sind.
Ebenso BGH, Urt. v. 20.10.2021, I ZR 96/20, Tz. 35 - Kurventreppenlift; BGH, Urt. v. 7.3.2019, I ZR 53/18, Tz. 32 – Bring mich nach Hause; BGH, Urt. v. 20.12.2018, I ZR 112/17, Tz. 61 - Crailsheimer Stadtblatt II; BGH, Urt. v. 23.2.2017, I ZR 92/16, Tz. 33 – Mart-Stam-Stuhl; BGH, Urt. v. 4.5.2016, I ZR 58/16, Tz. 32 - Segmentsruktur; BGH, Vers.-Urt. v. 10.3.2016, I ZR 183/14, Tz. 21 - Stirnlampen; BGH, Urt. v. 23.10.2014, I ZR 133/13, Tz. 17 - Keksstangen; BGH, Urt. v. 18. 3. 2010, I ZR 158/07, Tz. 41 – Modulgerüst II; BGH, Urt. v. 18.6.2014, I ZR 242/12, Tz. 35 - Geschäftsführerhaftung, vgl. auch OLG Frankfurt, Urt. v. 17.1.2013, 6 U 88/12, Tz. 20; OLG Köln, Urt. v. 20.1.2017, 6 U 65/16; OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.3.2017, I-15 U 48/14, Tz. 68; OLG Brandenburg, Beschl. v. 31.1.2019, 6 W 9/19; OLG Stuttgart, Urt. v. 27.6.2019, 2 U 143/18, Tz. 70; OLG Hamm, Urt. v. 7.1.2020, I-4 U 88/18, Tz. 38; OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.11.2020, 6 W 113/20. II.3.a; OLG Nürnberg, Urt. v. 16.08.2022, 3 U 29/22, Tz. 37
BGH, Urt. v. 23.10.2014, I ZR 133/13, Tz. 17 - Keksstangen
Für die Beurteilung der Erstbegehungsgefahr sind danach allein solche tatsächlichen Anhaltspunkte von Bedeutung, die ein in naher Zukunft bevorstehendes Anbieten, Vertreiben und Inverkehrbringen gegenüber inländischen angesprochenen Verkehrskreisen begründen können.
BGH, Urt. v. 23.10.2014, I ZR 133/13, Tz. 17 - Keksstangen
Da es sich bei der Begehungsgefahr um eine anspruchsbegründende Tatsache handelt, liegt die Darlegungs- und Beweislast beim Anspruchsteller (BGH, Urteil vom 29. Oktober 2009 - I ZR 180/07, GRUR 2010, 455 Rn. 24 = WRP 2010, 746 - Stumme Verkäufer II).
BGH, Urt. v. 24.7.2014, I ZR 221/12, Tz. 19 – Original Bach-Blüten
Eine Erstbegehungsgefahr durch ein in der Vergangenheit zulässiges Verhalten, das erst durch eine spätere Gesetzesänderung unzulässig geworden ist, besteht nur dann, wenn weitere Umstände hinzutreten, die eine Zuwiderhandlung in der Zukunft konkret erwarten lassen (vgl. BGH, Urt. v. 10.1.2008, I ZR 38/05, Tz. 41 - AKADEMIKS; Urt. v. 14.2.2008, I ZR 207/05, Tz. 26 - ODDSET).
BGH, Urt. v. 4.5.2016, I ZR 58/16, Tz. 32 - Segmentsruktur
Da es sich bei der Begehungsgefahr um eine anspruchsbegründende Tatsache handelt, liegt die Darlegungs- und Beweislast bei der Klägerin als Anspruchstellerin.
Ebenso OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.3.2017, I-15 U 48/14, Tz. 68
Erstbegehungsgefahr durch Rechtsberühmung
BGH, Urt. v. 20.12.2018, I ZR 112/17, Tz. 61 - Crailsheimer Stadtblatt II
Allein eine Verteidigung im Prozess genügt nicht, um eine Erstbegehungsgefahr anzunehmen.
BGH, Urt. v. 4.5.2016, I ZR 58/16, Tz. 32 - Segmentsruktur
Die Verteidigung der eigenen Rechtsansicht kann erst dann eine Erstbegehungsgefahr begründen, wenn nicht nur der eigene Standpunkt vertreten wird, um sich die bloße Möglichkeit eines entsprechenden Verhaltens für die Zukunft offenzuhalten, sondern den Erklärungen bei Würdigung der Umstände des konkreten Falls auch die Bereitschaft zu entnehmen ist, sich unmittelbar oder in naher Zukunft in dieser Weise zu verhalten (BGH, Urt. v. 31.5.2001, I ZR 106/99 - Berühmungsaufgabe; BGHZ 191, 19 Rn. 44 - Stiftparfüm).
BGH, Urt. v. 17.8.2011, I ZR 57/09, Tz. 44 - Stiftparfum
Eine Erstbegehungsgefahr kann auch begründen, wer sich des Rechts berühmt, bestimmte Handlungen vornehmen zu dürfen. Eine solche Berühmung, aus der die unmittelbar oder in naher Zukunft ernsthaft drohende Gefahr einer Begehung abzuleiten ist, kann unter Uständen auch in Erklärungen zu sehen sein, die im Rahmen der Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen Verfahren abgegeben werden. Die Tatsache allein, dass sich ein Beklagter gegen die Klage verteidigt und dabei die Auffassung äußert, zu dem beanstandeten Verhalten berechtigt zu sein, ist jedoch nicht als eine Berühmung zu werten, die eine Erstbegehungsgefahr begründet. Eine Rechtsverteidigung kann aber dann eine Erstbegehungsgefahr begründen, wenn nicht nur der eigene Rechtsstandpunkt vertreten wird, um sich die bloße Möglichkeit eines entsprechenden Verhaltens für die Zukunft offenzuhalten, sondern den Erklärungen bei Würdigung der Einzelumstände des Falls auch die Bereitschaft zu entnehmen ist, sich unmittelbar oder in naher Zukunft in dieser Weise zu verhalten.
Ebenso BGH, Urt. v. 7.3.2019, I ZR 53/18, Tz. 32 – Bring mich nach Hause
OLG Köln, Urt. v. 20.1.2017, 6 U 65/16
Eine Berühmung, aus der die unmittelbar oder in naher Zukunft ernsthaft drohende Gefahr einer Begehung abzuleiten ist, kann zwar u.U. auch in Erklärungen zu sehen sein, die im Rahmen der Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen Verfahren abgegeben werden. Die Tatsache allein, dass sich ein Beklagter gegen die Klage verteidigt und dabei die Auffassung äußert, zu dem beanstandeten Verhalten berechtigt zu sein, ist jedoch nicht als eine Berühmung zu werten, die eine Erstbegehungsgefahr begründet. Andernfalls würde der Beklagten in der wirksamen Verteidigung seiner Rechte, zu der auch das Recht gehört, in einem gerichtlichen Verfahren die Rechtmäßigkeit bestimmter Verhaltensweisen klären zu lassen, und in seinem Recht auf rechtliches Gehör beschränkt. Einem Beklagten, der sich gegen einen Anspruch, den er für unbegründet hält, verteidigt, kann auch nicht ohne weiteres unterstellt werden, er werde selbst eine gerichtliche Entscheidung, mit der die Rechtslage geklärt worden ist, nicht beachten.
BGH, Urt. v. 7.3.2019, I ZR 53/18, Tz. 32 – Bring mich nach Hause
An einer Erstbegehungsgefahr fehlt es auch im Hinblick auf die vom Kläger erhobene Feststellungsklage. Mit der Stellung eines Klageantrags, mit dem die Feststellung begehrt wird, zu einem außergerichtlich verfolgten Begehren nicht verpflichtet zu sein, verfolgt der Feststellungskläger in der Regel den Zweck, sich die Möglichkeit eines bestimmten Verhaltens nach gerichtlicher Klärung offenzuhalten. Daraus kann regelmäßig - so auch im Streitfall - gefolgert werden, dass der Kläger die Vornahme des im Feststellungsantrag bezeichneten Verhaltens von der gerichtlichen Feststellung seiner Rechtmäßigkeit abhängig machen will. Mithin bringt der Feststellungskläger gerade nicht - wie für die Annahme einer Erstbegehungsgefahr erforderlich - zum Ausdruck, sich unmittelbar oder in naher Zukunft in der beanstandeten Weise verhalten zu wollen.
Erstbegehungsgefahr durch Ausstellen auf einer Messe
BGH, Urt. v. 23.10.2014, I ZR 133/13, Tz. 19, 21 - Keksstangen
Ob die Ausstellung eines Produkts auf einer Messe ein hinreichend konkreter Umstand für die Erwartung ist, der Aussteller werde das fragliche Produkt in naher Zukunft in Deutschland anbieten und vertreiben, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Allein die Präsentation eines Erzeugnisses auf einer Messe reicht nicht in jedem Fall für die Annahme einer Erstbegehungsgefahr aus (vgl. für markenrechtliche Ansprüche BGH, GRUR 2010, 1103 Rn. 21 ff. - Pralinenform II).
Eine Erstbegehungsgefahr kann nicht mit einem allgemeinen Erfahrungssatz begründet werden, wegen der Präsentation eines Produkts oder einer Produktverpackung auf einer Messe im Inland sei auch von einem bevorstehenden Anbieten, Vertreiben und sonstigen Inverkehrbringen im Inland auszugehen. Diese Betrachtungsweise wird dem Umstand nicht gerecht, dass es verschiedene Formen von Messen und der Präsentation von Produkten auf Messen gibt.
BGH, Urt. v. 23.10.2014, I ZR 133/13, Tz. 23f - Keksstangen
Geht es um Rechtsverletzungen, die die Feststellung einer bestimmten Verkehrsanschauung voraussetzen, ist von Bedeutung, auf welchen Verkehrskreis die Messe und die Präsentation des fraglichen Produkts zugeschnitten sind. So gibt es Publikumsmessen, auf denen die Verbraucher die ausgestellten Produkte bestellen oder erwerben können. Auf der anderen Seite gibt es Messen, zu denen ausschließlich Fachbesucher Zugang haben. Ferner kann ein Hersteller auf einer auch dem allgemeinen Verkehr zugänglichen Messe durch die eindeutige Gestaltung der Präsentation deutlich machen, dass er allein ein Fachpublikum ansprechen will. ... Ohne konkrete Anhaltspunkte besteht keine allgemeine Vermutung, der auf einer reinen Fachmesse ausstellende Hersteller werde seine Produkte und Produktausstattungen in jedem Fall in der gleichen Form oder Art und Weise auch gegenüber dem allgemeinen Verbraucher vertreiben.
Im Hinblick auf die Frage, ob ein Vertrieb im Inland gegenüber dem allgemeinen Verkehr droht, kann nicht von einem Erfahrungssatz ausgegangen werden, dass ein Aussteller sein Produkt immer auch am Ausstellungsort vertreiben wird. Maßgebend sind auch insoweit die Umstände des Einzel- falls. So ist es charakteristisch für international ausgerichtete Fachmessen, dass sich dort Aussteller aus verschiedenen Staaten an in- und ausländische Interessenten wenden. Bei internationalen Messen geht es mithin gerade auch um die Anbahnung von Geschäftsbeziehungen zwischen ausländischen Parteien ohne Inlandsbezug. Ein hinreichend konkreter Anhaltspunkt für einen zeit- nahen Vertrieb im Inland folgt nicht ohne weiteres aus der Präsentation eines Produkts auf einer internationalen Messe im Inland.
Siehe dazu auch hier.
Eintragung in ein Register
OLG Hamm, Urt. v. 7.1.2020, I-4 U 88/18, Tz. 39
Wie bei der Anmeldung eines Zeichens als Marke (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 23.09.2015, I ZR 78/14 [Sparkassen-Rot/Santander-Rot]) ist bei der Eintragung einer Gesellschaft im Partnerschaftsregister zu vermuten, dass ein Anbieten von Leistungen für den eingetragenen Geschäftszweck in naher Zukunft ebenso bevorsteht wie eine Werbung für diese Leistungen.
Verhalten im Ausland
BGH, Urt. v. 23.2.2017, I ZR 92/16, Tz. 46 – Mart-Stam-Stuhl
Eine Verletzungshandlung, die in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union begangen wird, begründet zwar bei einem unionsweit wirkenden Schutzrecht in der Regel eine Begehungsgefahr für das gesamte Gebiet der Europäischen Union und damit einen unionsweiten Unterlassungsanspruch (zum Gemeinschaftsgeschmacksmuster vgl. BGH, GRUR, 2012, 512 Rn. 49 - Kinderwagen I, mwN). Die Verletzung eines nur im Gebiet eines Mitgliedstaats wirkenden Schutzrechts - wie hier des Urheberrechts - begründet jedoch für sich genommen keine Erstbegehungsgefahr für die Verletzung eines nur im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wirkenden Schutzrechts.
Ausräumung der Erstbegehungsgefahr
Die Erstbegehungsgefahr wird – anders als die Wiederholungsgefahr – nicht nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt, sondern durch jedes Verhalten, aus dem sich mit ausreichender Sicherheit ergibt, dass keine Erstbegehungsgefahr mehr droht. Wer durch sein Verhalten eine Erstbegehungsgefahr begründet und von einem Mitbewerber auf Unterlassung in Anspruch genommen wird, muss diesem gegenüber mithin keine Unterlassungserklärung abgeben. Er kann die Erstbegehungsgefahr auch auf andere Art und Weise beseitigen.
BGH, Urt. v. 04.12.2008, I ZR 94/06, Tz. 12
Für den Fortbestand der Erstbegehungsgefahr spricht anders als für die durch eine Verletzungshandlung begründete Wiederholungsgefahr keine Vermutung. Für die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr genügt daher ein der Verhaltensweise, die sie begründet hat, entgegen gesetztes Verhalten (‚actus contrarius’).
Ebenso BGH, Urt. v. 20.12.2018, I ZR 112/17, Tz. 64 - Crailsheimer Stadtblatt II; OLG Stuttgart, Urt. v. 27.6.2019, 2 U 143/18, Tz. 76; OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.11.2020, 6 W 113/20
BGH, Urt. v. 29. 10. 2009, I ZR 180/07, Tz. 26 – Stumme Verkäufer II
Die durch das erstmalige Drohen begründete Erstbegehungsgefahr kann - anders als die durch einen bereits begangenen Wettbewerbsverstoß begründete Wiederholungsgefahr, für deren Bestehen eine tatsächliche Vermutung streitet, im Allgemeinen bereits durch ein entgegengesetztes Verhalten und daher, wenn sie auf Äußerungen beruht, auch schon durch deren Widerruf oder die Erklärung des Unterlassungswillens ausgeräumt werden, sofern mit dieser Äußerung von dem ursprünglichen Vorhaben unmissverständlich und ernstlich Abstand genommen wird (vgl. BGH, Urt. v. 31.5.2001, I ZR 106/99, GRUR 2001, 1174, 1176 = WRP 2001, 1076 - Berühmungsaufgabe).
BGH, Urt. v. 12.3.2015, I ZR 84/14, Tz. 21 – TV Wartezimmer
Die Beklagte hat in der Berufungsverhandlung ausdrücklich erklärt, sie verteidige die Werbung ausschließlich zum Zwecke der Rechtsverteidigung im vorliegenden Verfahren, nachdem die Klägerin in einem unmittelbar vor dieser Verhandlung eingereichten Schriftsatz geltend gemacht hatte, es bestehe jedenfalls Erstbegehungsgefahr. Die Beklagte hat damit zu erkennen gegeben, dass sie das dort vorgestellte Geschäftsmodell in Zukunft nicht betreiben wird. Damit ist eine zuvor in dieser Hinsicht etwa entstandene Erstbegehungsgefahr zumindest nachträglich wieder weggefallen.
OLG Frankfurt, Urt. v. 20.1.2015, 11 U 101/12, Tz. 111
An die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr sind grundsätzlich weniger strenge Anforderungen zu stellen als an den Fortfall der durch eine Verletzungshandlung begründeten Gefahr der Wiederholung des Verhaltens in der Zukunft. Anders als für die durch einen begangenen Verstoß begründete Wiederholungsgefahr besteht für den Fortbestand der Erstbegehungsgefahr keine Vermutung. Sie entfällt deshalb bereits mit einer uneingeschränkten und eindeutigen Erklärung, dass die beanstandete Handlung in der Zukunft nicht vorgenommen werde.
OLG Stuttgart, Urt. v. 27.6.2019, 2 U 143/18, Tz. 75
Maßgebend für die Beurteilung der Erstbegehungsgefahr ist der Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz. Dabei sind an die Beseitigung der Erstbegehungsgefahr grundsätzlich weniger strenge Anforderungen zu stellen als an den Fortfall der durch eine Verletzungshandlung begründeten Gefahr der Wiederholung des Verhaltens in der Zukunft. Der vorbeugende Unterlassungsanspruch besteht nur so lange, wie die Gefahr der Begehung droht; er entfällt mit dem Fortfall der Begehungsgefahr (BGH, Urt. v. 10.3.2016, I ZR 183/14, Tz. 22 – Stirnlampen).
Bei Erstbegehungsgefahr kein Schadenersatzanspruch
Bei dem Bestehen einer Erstbegehungsgefahr steht den nach § 8 Abs. 3 UWG Anspruchsberechtigten ein Unterlassungsanspruch zu. Ein Schadensersatzanspruch oder Auskunftsanspruch ergibt sich bei einer Erstbegehungsgefahr aber nicht.
BGH, Urt. v. 29.6.2000, I ZR 29/98, II. a - Filialleiterfehler
Ansprüche auf Auskunftserteilung und auf Schadensersatz können - soweit Wiederholungsgefahr anzunehmen ist - im Umfang der Verallgemeinerung gegeben sein; solche Ansprüche bestehen jedoch nicht, soweit der Unterlassungsantrag nur unter dem Gesichtspunkt der Erstbegehungsgefahr begründet sein kann. Anträge auf Verurteilung zur Auskunftserteilung und auf Feststellung der Schadensersatzpflicht werden allerdings, wenn der Unterlassungsantrag über den Bereich hinaus, in dem Wiederholungsgefahr anzunehmen ist, verallgemeinert ist, vielfach dahin zu verstehen sein, dass sie sich nur auf die konkrete Verletzungsform beziehen sollen.
Nebeneinander von Wiederholungs- und Erstbegehungsgefahr (Streitgegenstand)
Die Erstbegehungsgefahr und die Wiederholungsgefahr können nebeneinander bestehen. Ob es sich in diesem Falle aber um zwei verschiedene Streitgegenstände handelt, ist Fage des Einzelfalls.
BGH, Vers.-Urt. v. 10.3.2016, I ZR 183/14, Tz. 20 - Stirnlampen
Wenn ein Unterlassungsanspruch als Verletzungsunterlassungsanspruch gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG oder als vorbeugender Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 Satz 2 UWG in Betracht kommt, bestimmt sich die Frage, ob es sich um einen Streitgegenstand oder um zwei verschiedene Streitgegenstände handelt, nach den allgemeinen Regeln. Ist dem Unterlassungsantrag nicht zu entnehmen, ob es sich um einen Verletzungsunterlassungsanspruch oder einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch handelt, kommt es auf den Klagegrund, das heißt darauf an, ob es sich um einen einheitlichen Sachverhalt oder um mehrere den Anspruch möglicherweise rechtfertigende Lebenssachverhalte handelt (BGH, Urt. v. 23.9.2015, I ZR 15/14, Tz. 41 - Amplidect/ampliteq).
Ebenso OLG Düsseldorf, Urt. v. 2.3.2017, I-15 U 48/14, Tz. 67
OLG Hamm, Urt. v. 7.1.2020, I-4 U 88/18, Tz. 37
Es liegen zwar dann unterschiedliche Klagegründe vor, wenn ein Unterlassungsantrag zum einen auf Wiederholungsgefahr und zum anderen auf Erstbegehungsgefahr gestützt wird, sofern unterschiedliche Lebenssachverhalte betroffen sind, zwischen denen kein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht. Daher handelt es sich grundsätzlich um zwei Streitgegenstände, wenn ein Unterlassungsanspruch zum einen wegen der vorprozessual begangenen Verletzungshandlung auf Wiederholungsgefahr und zum anderen auf Erstbegehungsgefahr wegen Erklärungen gestützt wird, die der in Anspruch Genommene erst später im gerichtlichen Verfahren abgibt. Geht einem einheitlichen Unterlassungsantrag hingegen sowohl ein als Verletzungshandlung beanstandetes Verhalten als auch eine hiermit zeitlich und sachlich in Zusammenhang stehende Rechtsberühmung voraus, ist nur ein Klagegrund gegeben (BGH, Urt. v. 7.3.2019, I ZR 53/18, Tz. 28 - Bring mich nach Hause).
Zum Streitgegenstand bei Wiederholungs- und Erstbegehungsgefahr siehe auch hier.
Anders früher
BGH, Urt. v. 26.1.2006, I ZR 121/03, Ls. – Schlank-Kapseln
Stützt der Kläger seinen Unterlassungsanspruch sowohl auf Wiederholungsgefahr wegen der behaupteten Verletzungshandlung als auch auf Erstbegehungsgefahr wegen Erklärungen des Beklagten bei der Rechtsverteidigung im gerichtlichen Verfahren, so handelt es sich um zwei verschiedene Streitgegenstände. (LS)
Ebenso BGH, Urt. v. 24.7.2014, I ZR 221/12, Tz. 20 – Original Bach-Blüten
Es ist gleichfalls möglich, dass ein Verhalten eine unzulässige geschäftliche Handlung verwirklicht (Wiederholungsgefahr) und gleichzeitig eine Erstbegehungsgefahr für ein anderes wettbewerbswidriges Verhalten begründet.
OLG Naumburg, Urt. v. 3.3.2011, 1 U 92/10 (Hs), II.
Die ihrerseits wettbewerbswidrige Werbung für ein bestimmtes geschäftliches Verhalten begründet eine Erstbegehungsgefahr für das beworbene Verhalten. ... Beruht die Begehungsgefahr allein auf einer Werbung, so endet sie, wenn die Werbung aufgegeben wird, weil damit ihre Grundlage entfällt.