Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

(3) Wideraufleben der Eilbedürftigkeit

Wenn keine Eilbedürftigkeit für einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mehr besteht, kann die Eilbedürftigkeit aufgrund bestimmter Ereignisse wieder aufleben. Dafür genügt es aber nicht, dass der Wettbewerber das wettbewerbswidriges Verhalten wiederholt, nachdem die Eilbedürftigkeit einmal widerlegt ist. Erforderlich ist, dass ein Ereignis eintritt, dass es auch für jemanden, der bislang zu viel Geduld bewiesen hat, unzumutbar werden lässt, weiterhin Geduld zu beweisen.

OLG Frankfurt, Beschl. v. 7.1.2019, 6 W 86/18

Es ist anerkannt, dass eine neue Dringlichkeit entsteht, wenn eine Verletzungshandlung eine andere Qualität aufweist als frühere, hingenommene Verletzungshandlungen oder sich die Maßstäbe wesentlich verändern, wofür allerdings eine bloße Wiederholung gleichartiger Verletzungshandlungen nicht ausreichend ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn der Verletzer sein Verhalten entscheidend ändert, insbesondere seinen Verstoß intensiviert oder damit bis dahin nicht befürchtete, schwerwiegende Nachteile für den Antragsteller verbunden sind. Maßgeblich ist, ob es sich um derart einschneidende Veränderungen der Art und/oder Intensität nach handelt, die eine neue Situation zu Lasten des Antragstellers entstehen lassen. Hierfür sind in der Rechtsprechung beispielsweise die Intensivierung der Konkurrenzsituation und des Absatzes (OLG Karlsruhe WRP 1995, 358; BGH, Urt. v. 3.11.1994, I ZR 82/92), eine besondere Werbekampagne (OLG Köln WRP 19978, 556, 557) oder ein Intensivierung durch Werbung in mehreren Medien (OLG München GRUR-RR 2001, 92) als ausreichend angesehen worden.

OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.2.2014, I-6 U 84/13, Tz. 78

Die Dringlichkeit kann wieder aufleben (besser: neu entstehen), wenn sich die Umstände wesentlich ändern, z.B. der Verletzer sein Verhalten intensiviert bzw. eine völlig neue Verletzungssituation vorliegt (Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, § 12, Tz. 3.19). Maßgeblich soll sein, ob es sich um derart einschneidende Veränderungen der Art und/oder Intensität nach handelt, die eine neue Situation zu Lasten des Antragstellers entstehen lassen (Harte/Henning/Retzer, UWG, § 12 UWG, Tz. 332).

Ebenso OLG Düsseldorf, Beschl. v. 8.12.2022, 20 W 96/22, Tz. 15 f (GRUR-RS 2022, 38132)

Erfahrungsgemäß sind die Gerichte eher streng, ein Wiederaufleben der Eilbedürftigkeit anzunehmen, wenn die Eilbedürftigkeit für den Antragsteller zunächst einmal widerlegt ist. Wer einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit der Begründung einreicht, dass die einmal widerlegte Eilbedürftigkeit wieder aufgelebt ist, handelt mit einem erheblichen Risiko.

OLG Hamburg v. 11.08.2005, 5 U 19/05

Ein Wiederaufleben der Dringlichkeitsvermutung wird im Hinblick auf Sinn und Zweck der für das Erfordernis der Dringlichkeit grundlegenden Vorschriften der §§ 935, 940 ZPO, 12 Abs. 2 UWG nur ausnahmsweise zu bejahen sein. Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte ist allerdings uneinheitlich und entscheidet nach dem Einzelfall. Bei identischen Wiederholungen soll die Dringlichkeitsvermutung regelmäßig nicht wieder eingreifen. Bei modifizierten Wiederholungen geht die Rechtsprechung auseinander.

OLG München, Urt. v. 23.03.2006, 29 U 5108/05

Ist der Verletzte gegen einen früheren Verstoß nicht vorgegangen, so fehlt die Dringlichkeit für einen Antrag zur Untersagung eines neuerlichen (zumindest kerngleichen) Verstoßes. Die Dringlichkeit kann wieder "aufleben", wenn sich die Umstände wesentlich ändern, z.B. der Verletzer sein Verhalten intensiviert oder bei langem zeitlichem Abstand, wobei der hierfür maßgebliche Zeitraum dann beginnt, wenn der Verletzte davon erfährt, dass der Verletzer die Verstöße wieder aufgenommen hat oder die Veränderung eingetreten ist.

OLG Frankfurt, Urt. v. 17.1.2013, 6 U 88/12, Tz. 22

Zwar ist es anerkannt, dass eine neue Dringlichkeit entsteht, wenn eine Verletzungshandlung eine andere Qualität aufweist als frühere, hingenommene Verletzungshandlungen. Ein solcher Qualitätssprung liegt aber nicht per se in der tatsächlichen Begehung einer zunächst nur drohenden Verletzungshandlung. Denn wer keinen Anlass sieht, eine real drohende (konkrete) Gefahr vorbeugend abzuwehren, kann nicht längere Zeit später glaubhaft geltend machen, sein nunmehriges Vorgehen gegen die Realisierung eben dieser Gefahr sei dringlich.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4.6.2024, 6 U 5/24, Tz. 49

Ein Wiederaufleben der Dringlichkeit kommt nur bei einer wesentlichen Änderung oder Ausweitung des wettbewerbswidrigen Verhaltens wegen der damit einhergehenden erhöhten Gefährlichkeit für den Gläubiger in Betracht (vgl. Senat, Urteil vom 25. April 2007 - 6 U 43/07, WRP 2007, 822, 823), etwa aufgrund der Intensivierung des Verstoßes oder seiner Wirkung für den Gläubiger oder dessen Änderung nach Art und Umfang (siehe OLG Hamburg, Urteil vom 11. August 2005 - 5 U 19/05, juris Rn. 25; OLG München, GRUR 2019, 507, 509 f; OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 7. Januar 2019 - 6 W 86/18, juris Rn. 4; Singer, jurisPR-WettbR 11/2007 Anm. 5, jeweils mwN). Dafür ist allerdings zumindest nicht notwendig, dass sich der Kern des Verhaltens des Schuldners geändert hat. Unter solchen Umständen hätten ohnehin die vom früheren Verstoß begründete Wiederholungsgefahr und Verbot, das auf deren Grundlage gegen die konkrete Verletzungsform oder allgemein ein deren kennzeichnende Merkmale aufweisenden Verhalten zu erwirkendes gewesen wäre, die neue Verletzungsform nicht erfasst. Unter solchen Umständen ließe schon wegen des unterschiedlichen Anspruchsinhalts regelmäßig kein Mangel an Dringlichkeit daraus ableiten, dass der Gläubiger gegen die frühere Zuwiderhandlung nicht (zügig) vorgegangen ist.

Einzelfälle

OLG Stuttgart, Urt. v. 27.1.2016, 4 U 167/15, Tz. 84 - Stadtblatt

Die Kenntnis der Klägerin von der Gestaltung des Stadtblatts in der Vergangenheit (bei kostenpflichtigem Vertrieb) führt nicht zu einer Widerlegung der Dringlichkeit, denn es liegt offenkundig auf der Hand, dass die kostenpflichtige Auflage von ca. 4.000 Stück hinsichtlich der Attraktivität für Anzeigenkunden völlig anders zu bewerten ist als eine Auflage von 17.000 Stück, die kostenfrei in allen Haushalten verteilt wird. Die Verletzungshandlung bekommt hier eine derart geänderte Qualität und Intensität, dass insoweit nicht von einem früheren kerngleichen Verstoß ausgegangen werden kann, der ansonsten die Dringlichkeit widerlegen könnte (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2014, 273, 275 – Unzulässige Kostenpauschale - Rücklastschriftkosten).

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4.6.2024, 6 U 5/24, Tz. 48

Die bloße Fortsetzung der beanstandeten Handlung ist nicht geeignet, den einmal entfallenen Verfügungsgrund wiederaufleben zu lassen (vgl. Senat, Urteil vom 25. April 2007 - 6 U 43/07, WRP 2007, 822, 823 mwN). An der Dringlichkeit des Vorgehens gegen einen zuletzt begangenen Verstoß fehlt es grundsätzlich auch dann, wenn damit zwar nicht identische, aber kerngleiche Verstöße desselben Verletzers zu lange toleriert worden sind (vgl. OLG Düsseldorf, GRUR-RR 2014, 273, 275; jurisPK-UWG/Spoenle, 5. Aufl., § 12 UWG Rn. 29, jeweils mwN).