Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

8. Verwirkung

Verwirkung kommt bei Unterlassungsansprüchen aus dem UWG nur ausnahmsweise in Betracht.

BGH, Urt. v. 27.2.2003, I ZR 25/01 - Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft

Von der Verwirkung eines Rechts ist auszugehen, wenn es illoyal verspätet geltend gemacht wird und wenn zu dem Zeitablauf besondere auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde den Anspruch nicht mehr geltend machen.

Keine Verwirkung bei Verletzung von Interessen der Allgemeinheit

 

BGH, Urt. v. 27.2.2003, I ZR 25/01 - Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft

In den Fällen des § 5 UWG kommt die Annahme einer Verwirkung nur ausnahmsweise in Betracht, weil das Interesse der Allgemeinheit, vor Irreführung bewahrt zu werden, grundsätzlich vorrangig vor den Individualinteressen des Betroffenen ist (vgl. BGH, GRUR 1983, 34 - Stangenglas; GRUR 1997, 537, 539 = NJW-RR 1997, 931 - Lifting-Creme).

BGH, Urt. v. 15.10.1976, I ZR 23/75 - Ostfriesische Tee Gesellschaft (= GRUR 1977, 159)

In den Fällen des § 3 UWG (a.F., heute § 5 UWG) scheidet eine Verwirkung des Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs im allgemeinen aus, weil das Interesse der Allgemeinheit, vor Irreführung bewahrt zu werden, grundsätzlich als vorrangig vor den Individualinteressen des Inhabers des Kennzeichnungsrechts anzusehen ist. Es kann gleichwohl in besonderen Ausnahmefällen aus Billigkeitsgründen eine Irreführungsgefahr hinzunehmen sein, nämlich u. a. dann, wenn die Belange der Allgemeinheit nicht in erheblichem Maß und ernstlich in Mitleidenschaft gezogen werden, weil nur eine geringe Irreführungsgefahr vorliegt, während auf der anderen Seite die Vernichtung eines wertvollen Besitzstands an einer Individualkennzeichnung in Frage steht.

Diese Grundsätze lassen sich auch auf andere Unlauterkeitstatbestände übertragen.

Verwirkung beim Schutz von lediglich individuellen Interessen möglich

 

Eine Verwirkung scheidet umso eher aus, je mehr Belange der Allgemeinheit betroffen sind, während sie - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen wie Zeit- und Umstandsmoment - um so eher in Betracht kommen kann, wenn es nur um die Individualinteressen der beteiligten Wettbewerber geht.

OLG Köln, Urt. v. 10.2.2012, 6 U 187/11, Tz. 16

Die Verwirkung setzt neben einem Zeit- auch ein Duldungsmoment voraus, das dem Beklagten Anlass für die Annahme hätte geben können, die Ansprüche würden nicht weiter verfolgt. Die insoweit zu stellenden Anforderungen sind, weil den Beklagten der Vorwurf des vorsätzlich Handelns trifft, hoch und nicht erfüllt. Der Beklagte ist allerdings schon im Jahr 2004 umfassend abgemahnt worden und hat damals die aus der Anlage 2 zum Schriftsatz vom 18.5.2011 ersichtliche, auf meteorologische Dienstleistungen und Informationen beschränkte Unterlassungserklärung abgegeben und sich an diese gehalten. Daraus, dass die Klägerin anschließend wegen der Nutzung außerhalb des Bereiches der Meteorologie zunächst keine Ansprüche geltend gemacht hat, konnte er aber nicht den Schluss ziehen, sie werde das auch weiterhin nicht tun und die offensichtlich wettbewerbswidrige Vorgehensweise unbegrenzt hinnehmen. Das gilt insbesondere deswegen, weil nicht feststeht, wann der Beklagte die nunmehr in Rede stehende Nutzung der Seite aufgenommen und wann die Klägerin hiervon Kenntnis erlangt hat. Für den Unterlassungs­anspruch kommt hinzu, dass nicht ersichtlich ist, worin der schützenswerte Besitzstand liegen sollte, den der Beklagte durch die Fehlleitung der Nutzer erworben hätte (vgl. zu diesem Erfordernis Köhler a.a.O., Rz 2.24 ff).

Allerdings verwirkt auch nur der Unterlassungsanspruch hinsichtlich der konkreten Verletzungshandlung, nicht hinsichtlich der Art der Verletzungshandlung oder gar hinsichtlich kerngleicher Verletzungshandlungen. Zum Markenrecht:

BGH, Urt. v. 18.1.2012, I ZR 17/11, Tz. 22 – Honda-Grauimport

Verwirkung ist ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung wegen widersprüchlichen Verhaltens, bei dem der Verstoß gegen Treu und Glauben in der Illoyalität der verspäteten Rechtsausübung liegt. Dabei ist indes zu beachten, dass bei wiederholten, gleichartigen Verletzungshandlungen jede Verletzungshandlung einen neuen Unterlassungsanspruch entstehen lässt. So ist im Nachbarrecht anerkannt, dass wiederholte gleichartige Störungen, die zeitlich unterbrochen auftreten, jeweils einen neuen Unterlassungsanspruch auslösen und die für die Beurteilung des Zeitmoments bei der Verwirkung maßgebliche Frist jeweils neu beginnen lassen. Dieser nachbarrechtliche Grundsatz kann auf die Verwirkung des markenrechtlichen Unterlassungsanspruchs übertragen werden (ebenso für das Wettbewerbsrecht Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 30. Aufl., § 11 Rn. 2.14).

Wegfall wettbewerbsrechtlicher Ansprüche bei Unverhältnismäßigkeit

 

Neben der Verwirkung kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dazu führen, dass ein Unterlassungsanspruch im Einzelfall ausscheidet.

BGH, Urt. v. 7.11.2002, I ZR 276/99 - Klosterbrauerei

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass auch unabhängig von einer Verwirkung eine Irreführungsgefahr in besonderen Ausnahmefällen hinzunehmen ist, wenn die Belange der Allgemeinheit nicht in erheblichem Maße und ernstlich in Mitleidenschaft gezogen werden, weil nur eine geringe Irreführungsgefahr vorliegt. Eine solche Ausnahme kommt insbesondere dann in Betracht, wenn durch das Verbot ein wertvoller Besitzstand an einer Individualkennzeichnung zerstört würde.

Diese Ausnahme ist Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, unter dessen Vorbehalt das Irreführungsverbot steht. Auch wenn im Allgemeinen das Interesse des Werbetreibenden an der Weiterverwendung einer irreführenden Angabe nicht schutzwürdig ist, kann es doch im Einzelfall das Schutzbedürfnis der Allgemeinheit und das individuelle Interesse eines Mitbewerbers überwiegen. So ist in der Rechtsprechung seit jeher anerkannt, dass die Anwendung des Irreführungsverbots auf Grund einer Interessenabwägung ausgeschlossen sein kann, wenn eine Werbeangabe zwar objektiv zutreffend ist, vom Verkehr aber in einer vom objektiven Aussagegehalt abweichenden, irreführenden Weise verstanden wird. … Auch der EuGH zieht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Korrektiv für das Irreführungsverbot heran, wenn das Verbot eine Beeinträchtigung des Handelsverkehrs nicht zu rechtfertigen vermag.