Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

 

 

Erlaubte Handlungen

1. Gesetzestext

2. Richtlinie (EU) 2016/943

3. unabhängige Entdeckung oder Schöpfung

4. Reverse Engineering

5. Arbeitnehmerrechte

6. Seriöse Geschäftspraxis

7. Offenlegung vorgeschrieben oder erlaubt

Gesetzestext

§ 3 Erlaubte Handlungen

(1) Ein Geschäftsgeheimnis darf insbesondere erlangt werden durch

1. eine eigenständige Entdeckung oder Schöpfung;

2. ein Beobachten, Untersuchen, Rückbauen oder Testen eines Produkts oder Gegenstands, das oder der

a) öffentlich verfügbar gemacht wurde oder

b) sich im rechtmäßigen Besitz des Beobachtenden, Untersuchenden, Rückbauenden oder Testenden befindet und dieser keiner Pflicht zur Beschränkung der Erlangung des Geschäftsgeheimnisses unterliegt;

3. ein Ausüben von Informations- und Anhörungsrechten der Arbeitnehmer oder Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmervertretung.

(2) Ein Geschäftsgeheimnis darf erlangt, genutzt oder offengelegt werden, wenn dies durch Gesetz, aufgrund eines Gesetzes oder durch Rechtsgeschäft gestattet ist.

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Richtlinie

Artikel 3

Rechtmäßiger Erwerb, rechtmäßige Nutzung und rechtmäßige Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen

(1) Der Erwerb eines Geschäftsgeheimnisses gilt als rechtmäßig, wenn das Geschäftsgeheimnis auf eine der folgenden Weisen erlangt wird:

a) unabhängige Entdeckung oder Schöpfung;

b) Beobachtung, Untersuchung, Rückbau oder Testen eines Produkts oder Gegenstands, das bzw. der öffentlich verfügbar gemacht wurde oder sich im rechtmäßigen Besitz des Erwerbers der Information befindet, der keiner rechtsgültigen Pflicht zur Beschränkung des Erwerbs des Geschäftsgeheimnisses unterliegt;

c) Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmer oder Arbeitnehmervertreter auf Information und Anhörung gemäß dem Unionsrecht sowie gemäß den Rechtsvorschriften und den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten;

d) jede andere Vorgehensweise, die unter den gegebenen Umständen mit einer seriösen Geschäftspraxis vereinbar ist.

(2) Der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses gilt insofern als rechtmäßig, als der Erwerb, die Nutzung oder die Offenlegung durch Unionsrecht oder nationales Recht vorgeschrieben oder erlaubt ist.

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unabhängige Entdeckung oder Schöpfung

Geschäftsgeheimnisse sind nicht - wie Schutzrechte - absolut gegenüber Wettbewerbern und Dritten geschützt. Es ist möglich und zulässig, dass jemand bestimmte Kenntnisse wie etwa ein bestimmtes Know-how selber entdeckt oder erarbeitet, die - auch - das Geschäftsgeheimnis eines anderen sind. Mit diesem selbst geschaffenen oder entdeckten Wissen darf der andere umgehen wie er will. Er darf es u.a. auch zu einem Schutzrecht (Patent oder Gebrauchsmuster) anmelden oder es veröffentlichen und dadurch das Geschäftsgeheimnis mit Wirkung gegenüber jedermann vernichten (Büscher/McGuire UWG, § 3 GeschGehG, Rn. 14).

Eine eigene Entdeckung oder Schöpfung liegt nur vor, wenn ein Unternehmer die Information(en) tatsächlich selbst (oder mithilfe Dritter) erlangt hat. Es reicht nicht aus, dass er sie hätte erlangen können, aber der Einfachheit halber auf das Geschäftsgeheimnis eines anderen zurückgegriffen hat (Büscher/McGuire UWG, § 3 GeschGehG, Rn. 15).

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Reverse Engineering

Literatur: Triebe, Christian, Reverse Engineering im Lichte des Urheber- und Geschäftsgeheimnisschutzes, WRP 2018, 795

Es ist - unbeschadet sonstiger Gesetze wie § 69d und 69e UrhG und rechtlich wirksamer vertraglicher Verpflichtungen - zulässig, Produkte oder Gegenstände, die vom Geheimnisinhaber öffentlich verfügbar gemacht wurden oder sich im rechtmäßigen Besitz des Erwerbers befinden, eingehend zu untersuchen, um ihnen bestimmte Eigenschaften zu entnehmen, die bis dato ein Geschäftsgeheimnis des anderen waren. Gesetz und Richtlinie nennen das Beobachten, Untersuchen, Testen oder den Rückbau des Gegenstands, ohne das das Reverse Engineering auf diese Handlungen beschränkt wäre (Büscher/McGuire UWG, § 3 GeschGehG, Rn. 19).

Durch das Reverse Engineering tritt keine Offenkundigkeit des Geschäftsgeheimnisses ein. Dritte müssen es weiterhin respektieren. Allerdings ist derjenige, der das Geschäftsgeheimnis durch Reverse Engineering erlangt hat, in der Nutzung seiner Erkenntnisse in keiner Weise beschränkt. Er darf die Erkenntnisse ohne Rücksicht auf das Geschäftsgeheimnis des Dritten auch einzelnen oder der Öffentlichkeit bekannt machen (Büscher/McGuire UWG, § 3 GeschGehG, Rn. 18). Sie können auch keine unlautere Nachahmung nach § 4 Nr. 3 c) UWG begründen.

Der Erwerb oder die Nutzung oder Offenbarung eines Geschäftsgeheimnisses werden aber noch nicht allein dadurch zulässig, dass die Erlangung der Information durch ein Reverse Engineering möglich gewesen wäre. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Erkenntnisse tatsächlich durch ein Reverse Engineering gewonnen wurden, liegt bei derjenigen Partei, die sich darauf beruft.

OLG Hamm, Urt. v. 15.9.2020, 4 U 177/19, Tz. 424

Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Beklagte die Kenntnis von den entsprechenden Maßen, Toleranzen und sonstigen Werten ggf. durch „Reverse Engineering“ hätte erlangen können, erübrigt sich. Zwar würde ein unredliches Erlangen im Sinne des § 4 Nr. 3 UWG nicht vorliegen, wenn die Entwicklung durch das „Reverse Engineering“ erlangt worden wäre, die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte beruft sich jedoch gar nicht darauf. Maßgeblich ist nicht, wie die Kenntnisse zu erlangen gewesen wären, sondern allein, wie die Beklagte tatsächlich die Kenntnisse erlangt hat.

Das Reverse Engineering kann vertraglich, z.B. in Geheimhaltungsvereinbarungen ausgeschlossen werden. Das Verbot des Reverse Engineering kann sich auch aus dem Zweck eines Vertrags ergeben, ohne das er eine Geheimhaltungsklausel enthalten muss.

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Arbeitnehmerrechte

Dazu Erwägungsgrund 18 der Richtlinie EU (nr. 2016/943:

Ferner sollten Erwerb, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen immer dann, wenn sie rechtlich vorgeschrieben oder zulässig sind, als rechtmäßig im Sinne dieser Richtlinie gelten. Das betrifft insbesondere den Erwerb und die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen der Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmervertreter auf Information, Anhörung und Mitwirkung gemäß dem Unionsrecht und dem Recht oder den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten sowie im Rahmen der kollektiven Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber einschließlich der Mitbestimmung und den Erwerb oder die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen von Pflichtprüfungen, die gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht durchgeführt werden. Allerdings sollte diese Einstufung des Erwerbs eines Geschäftsgeheimnisses als rechtmäßig die Geheimhaltungspflicht in Bezug auf das Geschäftsgeheimnis oder jegliche Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses, die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten dem Empfänger der Information auferlegen, unberührt lassen. Insbesondere sollte diese Richtlinie die Behörden nicht von ihrer Pflicht zur Geheimhaltung von Informationen, die ihnen von Inhabern von Geschäftsgeheimnissen übermittelt werden, entbinden, und zwar unabhängig davon, ob diese Pflichten in Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten festgelegt sind. Diese Geheimhaltungspflicht umfasst unter anderem die Pflichten im Zusammenhang mit Informationen, die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge übermittelt werden, wie sie beispielsweise in der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates festgelegt sind.

Soweit es für die Interessenvertretung oder Mitbestimmung der Arbeitnehmer erforderlich, dürfen Geschäftsgeheimnisse gegenüber einer Arbeitnehmervertretung offenbart werden. Eine weitergehende Offenbarung oder Nutzung ist demgegenüber unzulässig (Büscher/McGuire UWG, § 3 GeschGehG, Rn. 26).

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Seriöse Geschäftspraxis

Jeder Erwerb und jede Nutzung eines Geschäftsgeheimnis, dessen Erlangung mit lauteren Mitteln erfolgt ist, ist zulässig. Art. 39 Abs. 2 des TRIPS-Abkommens spricht von den 'anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel'. In der Begründung dazu heißt es:

„Im Sinne dieser Bestimmung bedeutet ‚eine Weise, die den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe und Handel zuwiderläuft‘ zumindest Handlungen wie Vertragsbruch, Vertrauensbruch und Verleitung dazu und schließt den Erwerb nicht offenbarter Informationen durch Dritte ein, die wussten oder grob fahrlässig nicht wussten, dass solche Handlungen beim Erwerb eine Rolle spielten“. (nach Alexander, WRP 2017, 1034, Tz. 85).

Zum Erwerb mit lauteren Mitteln gehört auch die Nutzung von Geschäftsgeheimnissen durch einen ehemaligen Arbeitnehmer oder Geschäftspartners, soweit sie zu dessen erworbenen Kenntnissen gehören und keine wirksame Verschwiegenheitspflicht besteht.

Aus den Zeiten von § 17 UWG:

BGH, Urt. v. 26. 2. 2009, I ZR 28/06 - Versicherungsuntervertreter

Ein Versicherungsvertreter darf Kundendaten, die ein Geschäftsgeheimnis seines früheren Dienstherrn darstellen, nach der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses nicht schon deshalb für eigene Zwecke verwenden, weil er die Kunden während des Bestehens des Handelsvertreterverhältnisses selbst geworben hat (im Anschluss an BGH, Urt. v. 28.1.1993 – I ZR 294/90, NJW 1993, 1786).

BGH, Urt. v. 19. 12. 2002, I ZR 119/00, II.2.b) – Verwertung von Kundendaten

Eine unzulässige Verwertung der Kundenliste als Geschäftsgeheimnis eines Unternehmens ist auch dann gegeben, wenn die Namen der Kunden im Rahmen der geschäftlichen Tätigkeit in die persönlichen Unterlagen des Handelsvertreters gelangt sind und von diesem bei der Ausübung seiner Geschäftstätigkeit außerhalb des Unternehmens verwertet werden.

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Offenlegung vorgeschrieben oder erlaubt

Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie (EU) Nr. 2016/943 erklärt den Erwerb, die Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses für rechtmäßig, soweit diese Handlungen gesetzlich vorgeschrieben sind.  Darunter können beispielsweise gerichtliche oder behördliche Anordnungen auf entsprechender gesetzlicher Grundlage gehören. Als Rechtsgrundlage kommen außerdem §§ 809, 810 BGB oder § 140c PatG in Betracht (Büscher/McGuire UWG, § 3 GeschGehG, Rn. 27. Außerhalb der Reichweite dieser gesetzliche Gebote bleibt die Nutzung jedoch unzulässig.

In diesem Zusammenhang ist auf das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 3 ZPO zu verweisen. Das Gericht kann die Öffentlichkeit nach § 174 GVG von der Verhandlung ausschließen. Die Mitteilung vom Inhalt einer Gerichtsverhandlung kann nach § 353 d StGB strafbar sein.

Als 'Erlaubnis' zur Nutzung und Offenbarung des Geschäftsgeheimnisses kommt natürlich auch eine Zustimmung des Geheimnisinhabers in Betracht.

Ergänzend müssen die Mitgliedstaaten nach Art. 9 der Richtlinie (EU) Nr. 2016/943 dafür Sorge tragen, dass Geschäftsgeheimnisse im Verlaufe von Gerichtsverhandlungen vertraulich bleiben.

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