2. Richtlinienkonforme Auslegung
a. Anständige Marktgepflogenheiten
Gesetzeswortlaut
(1) Unlautere geschäftliche Handlungen sind unzulässig.
Geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen, sind unlauter, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen.
Im Sinne dieses Gesetzes bedeutet
„unternehmerische Sorgfalt“ der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten einhält.
§ 3 Abs. 2 UWG betrifft dem Wortlaut nach nur geschäftliche Handlungen im B2C-Bereich (‚die sich an Verbraucher richten oder diese erreichen‘).
Die Definition des Begriffs der unternehmerischen Sorgfalt fand sich bis zum 27.5.2022 in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG. Mit Wirkung zum 28.5.2022 wurde sie nach § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG verschoben.
Richtlinienkonforme Auslegung
Die Auslegung von § 3 Abs. 2 UWG muss der Vorgabe der Richtlinie 2005/29/EG entsprechen. Darin heißt es:
Art. 2 lit. h)
Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
„berufliche Sorgfalt“ der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, bei denen billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Gewerbetreibende sie gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet
Zum besseren Verständnis ist darauf hinzuweisen, dass für den Begriff ‚Fachkenntnisse‘ in der englischen Fassung ‚special skill‘, in der französischen Fassung ‚compétence spécialisée‘ und in der spanischen Fassung ‚ competencia … especiales‘ verwendet wird. Es kommt deshalb nicht allein auf die ‚Kenntnisse‘, sondern auf die Gesamtheit aller Fähigkeiten und Fertigkeiten des Unternehmers in einer bestimmten Branche an.
Art. 5 Abs. 2 UGP-Richtlinie
Eine Geschäftspraxis ist unlauter, wenn
a) sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht
und
b) sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen.
Art. 5 Abs. 4 UGP-Richtlinie
Unlautere Geschäftspraktiken sind insbesondere solche, die
a) irreführend im Sinne der Artikel 6 und 7
oder
b) aggressiv im Sinne der Artikel 8 und 9 sind.
BGH, Urt. v. 12.12.2013, I ZR 192/12, Tz. 23 - Goldbärenbarren
Die Beurteilung, ob eine Geschäftspraxis der beruflichen Sorgfalt im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 UWG und des Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/29/EG widerspricht, ist an der Zielsetzung der Richtlinie auszurichten, dem Verbraucher eine informationsgeleitete und freie, mithin rationale Entscheidung zu ermöglichen (vgl. Art. 2 Buchst. e der Richtlinie).
Ebenso BGH, Urt. v. 20.2.2020, I ZR 5/19, Tz. 27 - Sofort-Bonus II
BGH, Urt. v. 20.2.2020, I ZR 5/19, Tz. 28 - Sofort-Bonus II
Das Begriffspaar "Fachkenntnisse und Sorgfalt" in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG und Art. 2 Buchst. h der Richtlinie 2005/29/EG macht deutlich, dass mit dem Begriff der unternehmerischen bzw. beruflichen Sorgfalt sowohl die fachlichen Voraussetzungen als auch die praktische Ausübung unternehmerischen Handelns gemeint sind (vgl. Büscher/ Maatsch, UWG, 2019, § 2 Abs. 1 Nr. 7 Rn. 3). Der Unternehmer hat bei seiner Tätigkeit die Interessen und die Schutzbedürftigkeit der von ihm angesprochenen Verbraucherkreise einzubeziehen (vgl. MünchKomm.UWG/Bähr, 3. Aufl., § 1 Rn. 334). Er hat auch zu berücksichtigen, ob der Verbraucher aufgrund der unternehmerischen Geschäftspraxis eine geschäftliche Entscheidung trifft, die für diesen wirtschaftlich nachteilige Folgen haben kann.
Konsequenzen
Bei der Auslegung von § 3 Abs. 2 UWG ist zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 2005/29/EG im B2C-Bereich eine abschließende Regelung enthält.
Aus Art. 5 Abs. 2, 4 der UGP-Richtlinie ergibt sich für die Auslegung des § 3 Abs. 2 UWG,
- dass es im B2C-Bereich keine unzulässigen geschäftlichen Handlungen gibt, die nicht von § 3 Abs. 2 S. 1 UWG erfasst werden. Der Wortlaut von § 3 Abs. 2 S. 1 UWG entspricht dem nicht, wenn es dort heißt: ‚jedenfalls dann unzulässig, wenn‘
- die irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken, die in der Richtlinie 2005/29/EG in Art. 6 ff und im Anhang I umschrieben werden, Anwendungsbeispiele des Art. 5 Abs. 2 und damit des § 3 Abs. 2 S. 1 UWG sind,
- über die irreführenden und aggressiven Geschäftspraktiken hinaus weitere unlautere Geschäftspraktiken möglich sind (‚insbesondere‘ in Art. 5 Abs. 4 UGP-Richtlinie).
Aus Art. 2 lit. h) der UGP-Richtlinie ergibt sich für die Auslegung des § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG,
- dass beim Tatbestandsmerkmal der unternehmerischen Sorgfalt nicht allein die Fachkenntnisse und Sorgfalt maßgeblich sind, sondern alle Fertigkeiten und Fähigkeiten, die von einem Unternehmer einer bestimmten Branche erwartet werden können,
- dass es bei dem Kriterium der Marktgepflogenheiten in § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG nicht auf die tatsächlichen Marktgepflogenheiten, sondern auf die anständigen Marktgepflogenheiten ankommt, wie seit der UWG-Reform 2015 ninmehr auch im Wortlaut zum Ausdruck gebracht wird,
- dass das Verhalten des Unternehmers nicht an 'den Marktgepflogenheiten unter Berücksichtigung von Treu und Glauben' gemessen werden muss, sondern an den (anständigen) Marktgepflogenheiten und/oder Treu und Glauben;
- dass der Unternehmer die (negativen) Auswirkungen berücksichtigen muss, die eine geschäftliche Handlung für den Verbraucher mit sich bringt.
Köhler empfiehlt, § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG wie folgt zu lesen:
„‘Unternehmerische Sorgfalt' das Mindestmaß an besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten und an Rücksichtnahme, bei dem billigerweise davon ausgegangen werden kann, dass der Unternehmer es gegenüber dem Verbraucher gemäß den anständigen Marktgepflogenheiten und/oder dem Grundsatz von Treu und Glauben in seinem Tätigkeitsbereich anwendet" (Köhler WRP 2012, 22, 24)
Ein Verstoß gegen die Beispieltatbestände der §§ 4 bis 6 UWG oder gegen § 7 UWG stellt im Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken stets einen Verstoß gegen die fachliche oder berufliche Sorgfalt dar.
EuGH, Urt. v. 19.9.2013, C-435/11, Tz. 45 f - CHS Tour Services/Team4 Travel GmbH
In Anbetracht sowohl des Wortlauts als auch der Struktur der Art. 5 und 6 Abs. 1 der Richtlinie sowie deren allgemeiner Systematik ist eine Geschäftspraxis als im Sinne der letztgenannten Bestimmung „irreführend“ anzusehen, wenn die dort aufgeführten Kriterien erfüllt sind, ohne dass zu prüfen wäre, ob auch die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie aufgestellte Voraussetzung erfüllt ist, dass diese Praxis den Erfordernissen der beruflichen Sorgfalt widerspricht.
Nur die vorstehende Auslegung ist geeignet, die praktische Wirksamkeit der spezielleren Regeln in den Art. 6 bis 9 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken zu wahren. Stimmten nämlich die Voraussetzungen für ihre Anwendung mit den in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie genannten überein, wären diese Artikel praktisch bedeutungslos, obwohl sie dazu dienen, den Verbraucher vor den am häufigsten anzutreffenden unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen.
Ebenso EuGH, Urt. V. 16.4.2015, C-388/13, Tz. 63 - Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság
OLG Köln, Urt. v. 19.10.2012, 6 U 46/12, Tz. 14
Steht der objektive Verstoß des Unternehmers gegen eine solche Informationspflicht fest, entfällt … jede weitere Prüfung einer Verletzung der fachlichen Sorgfalt. Dieser widerspricht eine geschäftliche Handlung nämlich nicht nur, wenn Verantwortungsträger des Unternehmens die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lassen, so dass sie ein persönlicher Fahrlässigkeitsvorwurf trifft (§ 276 Abs. 2 BGB). Anzulegen ist vielmehr ein objektiv-normativer Maßstabes ohne Rücksicht auf Fahrlässigkeit (vgl. Art. 11 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2005/29/EG) oder sonstige subjektive Gesichtspunkte (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rn. 38, 41). Diesen Maßstab, der definiert ist als Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Marktgepflogenheiten einhält (§ 2 Nr. 7 UWG; Art. 2 lit. h der Richtlinie 2005/29/EG), konkretisieren aber (unter anderem) gerade die Informationspflichten, deren Einhaltung das Unionsrecht als wesentlich einstuft (vgl. § 5a Abs. 4 UWG; Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG).
Ebenso OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 , 6 U 183/14, Tz. 24 und im Anschluss daran:
OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 , 6 U 183/14, Tz. 24
Vor diesem Hintergrund widerspricht die objektive Zuwiderhandlung gegen unionsrechtlich begründete verbraucherschützende Marktverhaltensregeln gemäß § 4 Nr. 11 UWG regelmäßig auch der fachlichen Sorgfalt i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 UWG (vgl. BGH, GRUR 2010, 1117, Tz. 17 – Gewährleistungsausschluss im Internet; Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rn. 8e; § 4 Rn. 11.6b; s. auch EuGH GRUR 2013, 1157 Tz. 41 ff., zu irreführenden Geschäftspraktiken).
Anforderungen
OLG Köln, Urt. v. 19.04.2013, 6 U 192/12, II.1.c - Himalaya-Salz
Für einen Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt ist ein objektiv-normativer Maßstab ohne Rücksicht auf Fahrlässigkeit (vgl. Art. 11 Abs. 2 lit. b UGP-Richtlinie) oder sonstige subjektive Gesichtspunkte anzulegen. Definiert wird dieser Maßstab in Art. 2 lit. h) UGP-Richtlinie und § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG als Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Marktgepflogenheiten einhält.
Ebenso OLG Köln, Urt. v. 19.6.2015 , 6 U 183/14, Tz. 24; OLG Köln, Urt. v. 19.10.2012, 6 U 46/12, Tz. 14
Marktgepflogenheiten
Neben Treu und Glauben sind die anständigen Marktgepflogenheiten ein Kriterium, an dem sich das Verhalten eines Unternehmers messen lassen muss. Ob es sich dabei nur um gesetzliche Vorgaben handelt (so wohl Ullmann in juris Praxiskommentar UWG, § 3 Rdn. 20; vgl. auch Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, § 2 Rdn. 83) oder alle üblichen Verhaltensweisen auf einem Markt oder in einer Branche (so Keller in Harte/Henning, UWG § 2 Rdn, 166) ist streitig. Köhler definiert die Marktgepflogenheiten als "eine nicht gesetzlich normierte Marktverhaltensregelung für einen bestimmten Beruf oder Geschäftszweig zu verstehen, die ein bestimmtes Marktverhalten gebietet, verbietet oder erlaubt. Die Regelung muss, um Berücksichtigung finden zu können, in dem betreffenden Beruf oder Geschäftszweig anerkannt sein und auch angewendet werden" (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rdn. 45).
Marktgepflogenheiten können sich aus tatsächlich geübten, nicht kodifizierten Handelsbräuchen und -praktiken, Wettbewerbsregeln oder Verbandsrichtlinien ergeben (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rdn. 45; Keller in Harte/Henning, UWG § 2 Rdn, 166). Da es in § 3 Abs. 2 S. 1 UWG um geschäftliche Handlungen gegenüber Verbrauchern geht, scheiden Verhaltensregeln von vornherein aus der Betrachtung aus, die das Verhalten von Unternehmern untereinander betreffen, bspw. Wettbewerbsverbote in Wettbewerbsrichtlinien.
Die Marktgepflogenheiten müssen als tatsächliche Voraussetzung der rechtlichen Beurteilung konkret festgestellt werden. Wenn es am Markt keine Marktgepflogenheiten gibt, muss das Verhalten an Treu und Glauben gemessen werden.
Anständige Marktgepflogenheiten
Eine Marktgepflogenheit kann nur dann zum Maßstab für das Verhalten eines Unternehmers werden, wenn sie als 'anständig' anzusehen ist.
KG, Beschl. v. 25.3.2021, 5 U 15/20, Tz. 76
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG steht eine geschäftliche Handlung (nur dann) im Einklang mit der unternehmerischen Sorgfalt, wenn sie „anständigen Marktgepflogenheiten“ entspricht. Sollte es zutreffen, dass eine vergleichende Werbung mit nicht auf einer validen Tatsachengrundlage ermittelten Neupreisen im Gebrauchtwarenhandel allgemein üblich ist, handelte es sich nicht um „anständige Markgepflogenheiten“, sondern um eine rechtlich nicht zu berücksichtigende Unsitte, die nicht zur Entlastung der Beklagten führt.
Daraus folgt zunächst, dass nicht jede Marktgepflogenheit zur Grundlage der lauterkeitsrechtlichen Beurteilung gemacht werden kann. Daraus folgt weiterhin, dass ein Verstoß gegen eine Marktgepflogenheit, bspw. eine Wettbewerbsrichtlinie einer bestimmten Branche, nicht gleich ein Verstoß gegen die fachliche Sorgfalt darstellt. Allerdings soll vermutet werden, dass eine bestehende Marktgepflogenheit auch anständig ist (Keller in Harte/Henning, UWG § 2 Rdn, 166).
Allerdings ist noch unklar, unter welchen Voraussetzungen eine Marktgepflogenheit anständig ist. Nach Köhler hat "das Kriterium der Anständigkeit ... die Aufgabe, eine bestehende Marktgepflogenheit darauf zu überprüfen, ob sie mit den derzeitigen grundlegenden rechtlichen Wertungen, insbes mit den Zielsetzungen des Unionsrechts, des GWB und des UWG, in Einklang steht und einen angemessenen Interessenausgleich zwischen allen beteiligten Marktteilnehmern gewährleistet" (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rdn. 46). Damit ginge es bei der Anständigkeit weniger um Anstand als darum, die Freiheit des Wettbewerbs mit den Interessen der Verbraucher in Einklang zu bringen.
Treu und Glauben
Wenn es keine anständigen Marktgepflogenheiten gibt, beurteilt sich das Verhalten des Unternehmers nach Treu und Glauben (engl.: "general principle of good faith"; franz.: "principe général de bonne foi"; span.: "el principio general de buena fe").
Auch dabei geht es um einen angemessenen Interessensausgleich zwischen dem Unternehmer und dem Verbraucher. Die rechtliche Bewertung hat von den Wertungskriterien und Zielen auszugehen, die objektiv in der Richtlinie 2005/29/EG angelegt sind. Sie bezweckt - u.a. durch das Verbot irreführender und aggressiver Geschäftspraktiken als besondere Ausprägungen von Verstößen gegen die fachliche Sorgfalt -, dass der Verbraucher in der Lage sein muss, eine freie, rationale und informierte geschäftliche Entscheidung zu treffen. Dazu müssen ihm diejenigen Informationen zur Verfügung gestellt werden, die ein Verbraucher in seiner konkreten Lage dafür benötigt. Er muss von allen Einflüssen freigehalten werden, die seine Entscheidungsfähigkeit übermäßig beeinträchtigen. ). Maßgebend ist, welches Verhalten der Verbraucher vom Unternehmer in der konkreten Situation, in der er mit der zu beurteilenden geschäftlichen Handlung konfrontiert wird, vernünftigerweise erwarten darf (Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 3 Rdn. 47).
Beispiele
BGH, Urt. v. 5.11.2020, I ZR 234/19, Tz. 55 f - Zweitmarkt für Lebensversicherungen
Eine Geschäftspraxis, die den Verbraucher zur Verletzung seiner Pflichten gegenüber Dritten verleitet, berücksichtigt dessen Schutzbedürftigkeit unzureichend und entspricht folglich nicht der unternehmerischen Sorgfalt.
Ob diese Wertung auf die Generalklausel in § 3 Abs. 1 UWG übertragbar ist und auch eine Geschäftspraxis unlauter ist, die nicht Verbraucher, sondern sonstige Marktteilnehmer - wie im Streitfall die Finanzanlagenvermittler - zur Verletzung ihrer Pflichten gegenüber Dritten verleitet, bedarf keiner Entscheidung.
OLG Naumburg, Urt. v. 14.11.2019, 9 U 24/19, Tz. 51 ff
Als „unternehmerische Sorgfalt" gilt der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmen ihn in seinem Tätigkeitsbereich gegenüber Verbrauchern nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der anständigen Marktgepflogenheiten einhält (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG, Art. 2 UGP-Richtlinie). Selbst bei einer ... Zulässigkeit von Rabatten auf Arzneimitteln unterliegen entsprechende Angebote der Missbrauchskontrolle wenn der angesprochene Verkehr bei Entscheidung, die er zu treffen hat, auch die Interessen Dritter Personen zu wahren hat (BGH, Vers-Urt. v. 8.11.2007, I ZR 121/06, Tz. 14; OLG Hamm, Urt. v. 12.11.2013, I-4 31/13, Tz. 57; vgl. auch OLG Stuttgart, Urt. v. 23.5.2017, 2 U 113/16, Tz. 38).
Die Interessen Dritter, nämlich der privaten Krankenversicherung, werden hier durch die Art der Ausstellung der Rezepte nicht gewahrt.
Bei hundertprozentigem Versicherungsschutz kann einem Privatversicherten - soweit bereits alle Zuzahlungen geleistet sind - über den Preis des Medikaments wirtschaftlich kein Bonus gewährt werden. Denn ein niedrigerer Preis führt zu einer niedrigeren Erstattung. In diesem Fall ist der Preis nur ein Rechnungsposten. Einen Vorteil erhält der Kunde nur, wenn er das Rezept mit dem Listenpreis ohne Offenlegung des Bonus einreicht. In diesem Fall übersteigt die Erstattung der privaten Krankenversicherung die Aufwendungen des Kunden.
Dieser Vorteil des Kunden geht jedoch zulasten der privaten Krankenversicherung. Dies verstößt gegen das versicherungsrechtliche Prinzip der konkreten Bedarfsdeckung.
Literatur
Köhler, "Fachliche Sorgfalt" - Der weiße Fleck auf der Landkarte des UWG, WRP 2012, 22
Zitiervorschlag zur aktuellen Seite
Omsels, Online-Kommentar zum UWG: