Dazu Art. 14 MDR
OLG Celle, Urt. v. 19.1.2023, 13 U 79/21, II.1.a.bb.1.a
Bei Art. 14 MDR handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne des § 3a UWG. ...
Das Verbot, Medizinprodukte oder deren Zubehör als Händler auf dem Markt bereitzustellen, wenn die in Art. 14 Abs. 2 MDR genannten Anforderungen nicht erfüllt sind oder wenn der Händler Grund zu der Annahme hat, das ein Produkt nicht den Anforderungen der Verordnung entspricht, stellt eine Marktverhaltensregelung dar, weil die Durchführung eines medizinprodukterechtlichen Konformitätsbewertungsverfahrens mit anschließender CE-Kennzeichnung des Zubehörs zu Medizinprodukten der Sicherheit, Eignung und Leistung der Medizinprodukte und damit der Gesundheit und dem Schutz der mit ihnen in Kontakt kommenden Personen, hier namentlich der Zahnärzte und ihrer Patienten dient (vgl. zu § 6 MPG: BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 - I ZR 193/06 - CE-Kennzeichnung, juris Rn. 16). Sie dient zugleich dazu, für die Wirtschaftsakteure (auch die Händler) im Binnenmarkt gleiche Bedingungen herzustellen. Dies ergibt sich aus den Erwägungsgründen 2, 27 und 40 der MDR sowie aus dem Zusammenspiel der Art. 10 Abs. 6, Art. 19 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, Art. 20 Abs. 1, Abs. 4, Abs. 5, Abs. 6 MDR, für die Händler insbesondere aus Art. 14 Abs. 2 lit. a MDR.
OLG Celle, Urt. v. 19.1.2023, 13 U 79/21, II.1.a.bb.3
Nach Art. 14 Abs. 2 Satz 1 lit. a MDR hat die Beklagte als Händlerin vor dem Bereitstellen zu überprüfen, ob die Kompressoren die CE-Kennzeichnung tragen und eine EU-Konformitätserklärung für die Kompressoren ausgestellt wurde. Nach Satz 3 darf sie, wenn sie Grund zu der Annahme hat, dass die Kompressoren nicht den Anforderungen der MDR entsprechen, die Kompressoren nicht auf dem Markt bereitstellen, bevor die Konformität der Kompressoren hergestellt ist. Dabei hat die Beklagte als Händlerin nach Art. 14 Abs. 1 MDR im Rahmen ihrer Tätigkeiten die geltenden Anforderungen mit der gebührenden Sorgfalt zu berücksichtigen.
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Der Begriff der gebührenden Sorgfalt bezieht sich auf die Anstrengungen, die eine mit normaler Umsicht handelnde oder vernünftige Person unternimmt, um unter Berücksichtigung der Umstände Schaden von anderen abzuwenden. Beim Händler gehört dazu das Wissen, welche Produkte mit der CE-Kennzeichnung zu versehen sind, welche Unterlagen (z. B. EU-Konformitätserklärung) das Produkt begleiten müssen, welche sprachlichen Anforderungen an die Etikettierung, Gebrauchsanweisungen bzw. andere Begleitunterlagen bestehen und welche Umstände eindeutig für die Nichtkonformität des Produkts sprechen. Er muss vor der Bereitstellung formell prüfen, dass das Produkt mit der/den erforderliche/-n Konformitätskennzeichnung/-en versehen ist (z. B. der CE-Kennzeichnung) (Leitfaden der Europäischen Kommission für die Umsetzung der Produktevorschriften der EU 2016 [im Folgenden: Blue Guide], S. 35 unter "3.4. Händler"). Die Händler müssen auch über ein Grundwissen bezüglich der gesetzlichen Anforderungen verfügen - einschließlich der Kenntnis darüber, für welche Produkte die CE-Kennzeichnung und die Begleitunterlagen vorgeschrieben sind - und sollen in der Lage sein zu erkennen, welche Produkte eindeutig nicht konform sind (Blue Guide, S. 148 unter Anhang VII).
Die formelle Prüfung, ob ein Produkt mit der erforderlichen Konformitätskennzeichnung versehen ist, setzt Grundkenntnisse darüber voraus, welche Produktarten eine solche Konformitätskennzeichnung nebst Konformitätserklärung benötigen und ob das Produkt dazu gehört.
Als Händlerin muss die Beklagte daher bei Anwendung der gebührenden Sorgfalt wissen, welche Produkte mit der CE-Kennzeichnung zu versehen sind und einer medizinprodukterechtlichen Konformitätserklärung bedürfen. Sie muss insoweit in der Lage sein, Medizinprodukte und deren Zubehör anhand ihrer Gebrauchsanweisung zu erkennen. Sie muss sich dann vor dem Bereitstellen vom Hersteller eine EU-Konformitätserklärung nach der MDR vorlegen lassen. Diesen Maßstäben ist die Beklagte nicht gerecht geworden.
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Eine inhaltliche Bewertung einer vom Hersteller beigebrachten EU-Konformitätserklärung einschließlich der Klassifizierung solcher Kompressoren in eine der Risikoklassen gehört hingegen nicht zu dieser von der Beklagten vorzunehmenden formellen Prüfung. Indem der Hersteller die EU-Konformitätserklärung erstellt, übernimmt er die Verantwortung dafür, dass das Produkt allen geltenden Rechtsvorschriften der Union entspricht (Art. 19 Abs. 3 MDR).
Zwar haben neben dem Hersteller auch die Händler eine wichtige Funktion bei der Gewährleistung MDR-konformer Produkte. Sie haben gemäß Art. 14 Abs. 1 MDR im Rahmen ihrer Tätigkeiten die "geltenden Anforderungen" zu berücksichtigen. Damit können angesichts des begrenzten Pflichtenkatalogs der Händler jedoch nicht generell sämtliche produktbezogenen Anforderungen der MDR gemeint sein. Der Händler muss nur diejenigen Bestimmungen der MDR kennen, die zur Erfüllung seiner Pflichten nach Art. 14 Abs. 2 - 6 MDR zu beachten sind (vgl. Handorn, Die Medizinprodukte-Verordnung (EU) 2017/745, Ein Leitfaden für Wirtschaftsakteure zur MDR, 1. Auflage 2021, S. 141). Die Klassifizierungsregeln selbst gehören nicht dazu. Den Händlern sind die technischen Dokumentationen, die einer Klassifizierung zugrunde liegen, nicht zugänglich (vgl. Ulmer, MPR 2019, 184, 187). Sie können sie folglich auch nicht selbst prüfen.
OLG Celle, Urt. v. 19.1.2023, 13 U 79/21, II.2.b.bb
Im Lauterkeitsrecht ist an die Sorgfaltspflicht grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen. Schuldhaft handelt, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt und deshalb mit einer von seiner Einschätzung abweichenden Beurteilung der Zulässigkeit seines Verhaltens rechnen muss. Beim Wettbewerbsverstoß durch Rechtsbruch (§ 3a) muss sich das Verschulden auf den Gesetzesverstoß beziehen. Der Handelnde muss also wissen, dass er gegen das Gesetz verstößt, oder darüber fahrlässig in Unkenntnis sein. Fahrlässigkeit ist dann anzunehmen, wenn er es unterlässt, sich über die geltenden Bestimmungen zu unterrichten und in Zweifelsfällen Rechtsrat einzuholen (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 40. Aufl. 2022, UWG § 9 Rn. 1.18, 1,19). Das ist hier von Anfang an der Fall gewesen sein.
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Die Regelungen der MDR zur Marktüberwachung durch staatliche Stellen schließen die wettbewerbsrechtliche Verfolgung von Verstößen durch Mitbewerber nicht aus. Ein auf §§ 3, 3a UWG gestütztes lauterkeitsrechtliches Vorgehen ist grundsätzlich auch dann möglich, wenn die gesetzliche Vorschrift - hier die Regelungen der MDR - spezifische Durchsetzungsmöglichkeiten durch die Behörden vorsehen. Eine andere Beurteilung kann dann angezeigt sein, wenn sich aus der gesetzlichen Vorschrift durch Auslegung entnehmen lässt, dass die Rechtsfolgenregelung abschließend sein soll (vgl. Köhler/Bornkamm/Feddersen/Köhler, 41. Aufl. 2023, UWG § 3a Rn. 1.33 f.). Das ist hier aber nicht der Fall. Insbesondere sieht Art. 24 MDR ("freier Verkehr") nur vor, dass die Mitgliedsstaaten die Bereitstellung auf dem Markt oder die Inbetriebnahme von Produkten, die den Anforderungen der MDR entsprechen, nicht ablehnen, untersagen oder beschränken dürfen, was im Umkehrschluss nahelegt, dass Einschränkungen bei nicht MDR-konformen Produkten möglich sein sollen (vgl. Schmidt, WRP 2020, 700, 705). Die MDR enthält Vorgaben für die Tätigkeit der nationalen Überwachungsbehörden, um insoweit einen bestimmten Mindeststandard zu gewährleisten und einem Vollzugsdefizit entgegenzuwirken (vgl. Erwägungsgrund 80). Es ist nicht ersichtlich, dass damit zivilrechtliche Ansprüche von Mitbewerbern ausgeschlossen sein sollen. Im Gegenteil trägt die Verfolgung von Rechtsverstößen durch die Mitbewerber zur Einhaltung der Vorgaben der MDR bei.