Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

(5) Abgrenzung Arzneimittel/Medizinprodukte

Vorrang des AMG

BGH, Beschl. v. 18.10.2012, I ZR 38/12, Tz. 7

Die Vorrangregelung für das Arzneimittelrecht kommt nur dann zur Anwendung, wenn die Arzneimitteleigenschaft des Produkts festgestellt ist. Andernfalls würden die strengeren Vorschriften des Arzneimittelregimes auf Sachverhalte erstreckt und der freie Warenverkehr damit behindert, ohne dass hierfür eine ausreichende Rechtfertigung aus Gründen des Gesundheitsschutzes vorläge (vgl. EuGH, Urt. v. 15.1.2009, C-140/07, Slg. 2009, I41 = GRUR 2009, 511 Rn. 23 ff. - Hecht Pharma). Die Prüfung, ob das in Rede stehende konkrete Produkt unter die Definition des Funktionsarzneimittels fällt, ist Aufgabe der Gerichte der Mitgliedstaaten (vgl. EuGH, GRUR 2012, 1167, Rn. 35 - Chemische Fabrik Kreussler).

Ebenso OLG Köln, Urt, v. 23.12.2020, 6 U 18/20 (MD 2021, 161)

Abgrenzung vom Funktionsarzneimittel

BGH, Beschl. v. 18.10.2012, I ZR 38/12, Tz. 6

Nach Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG sind Arzneimittel alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen. Zu den Medizinprodukten zählen nach Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG dagegen Stoffe, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen zum Zwecke der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann. Nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG in der durch die Richtlinie 2004/27/EG geänderten Fassung gilt die Richtlinie 2001/83/EG in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von "Arzneimittel" als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere unionsrechtliche Vorschriften geregelt ist. Diese unionsrechtlichen Bestimmungen werden durch § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a und b, § 2 Abs. 3a AMG und § 3 Nr. 1 Buchst. a MPG umgesetzt.

Ebenso OLG Köln, Urt, v. 23.12.2020, 6 U 18/20 (MD 2021, 161)

BGH, Urt. v. 24.11.2010, I ZR 204/09, Tz. 7 f

Für die im Grenzbereich zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten vorzunehmende Einordnung eines Produkts als Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 2 AMG aF und § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG nF oder aber als Medizinprodukt im Sinne von § 3 Nr. 1 Buchst. a MPG kommt es auf die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Produkts an: Wirkt das Präparat vor allem auf pharmakologischem oder immunologischem Weg oder durch Metabolismus, handelt es sich um ein Arzneimittel (vgl. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b RL 2001/83/EG; Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte; BGH, Urteil vom 9. Juli 2009 - I ZR 193/06, GRUR 2010, 169 Rn. 14 = WRP 2010, 247 - CE-Kennzeichnung). Erreicht das Produkt seine Hauptwirkung dagegen auf physikalischem Weg, liegt grundsätzlich ein Medizinprodukt vor. Abweichendes gilt für Mittel, die zwar die begrifflichen Voraussetzungen von Medizinprodukten erfüllen, die jedoch dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im Körper dessen Beschaffenheit, Zustand oder Funktionen oder seelische Zustände erkennen zu lassen; sie sind diagnostische Arzneimittel.

Bei der jeweils im Einzelfall zu treffenden Entscheidung, ob ein Erzeugnis ein Funktionsarzneimittel oder ein Medizinprodukt ist, sind im Übrigen alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen und metabolischen Eigenschaften - wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann.

Zu einem Stent, der mit einem Wirkstoff versehen ist, der übermäßigem Gewebewachstum vorbeugt und den Stent nach und nach auflöst:

BGH, Urt. v. 1.2.2018, I ZR 82/17, Tz. 19 ff – Gefäßgerüst

Der Umstand, dass bei dem Stent ein Wirkstoff ausgebracht wird, um einem übermäßigen Gewebewachstum vorzubeugen, führt ebenso wenig aus dem Anwendungsbereich des § 3 Nr. 1 Buchst. a MPG heraus wie der Umstand, dass das Gefäßgerüst bioresorbierbar ist, also nach einiger Zeit zerfällt.

Mit der Wirkstoffbeschichtung wird lediglich die Wirkungsweise der Vorrichtung durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel im Sinne von § 3 Nr. 1 Buchst. a MPG unterstützt. Die Beschichtung mit dem Wirkstoff stellt nicht die primäre Zweckbestimmung dar. Indem sie das Gewebewachstum kontrolliert und so übermäßigem Wachstum vorbeugt, erfüllt sie eine nur ergänzende Funktion. Die Hauptwirkung bleibt die physikalische Funktion zur Aufrechterhaltung des Durchflussvolumens in der Arterie. Dass der arzneiliche Wirkstoff einer Einordnung als Medizinprodukt nicht entgegensteht, solange die Hauptwirkung dadurch nicht auf pharmakologische, immunologische oder metabolische Weise erzeugt wird, zeigt ferner die Regelung in § 3 Nr. 2 MPG. Danach sind Medizinprodukte auch Produkte, die einen Stoff oder eine Zubereitung aus Stoffen enthalten oder auf die solche aufgetragen sind, die bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG angesehen werden können und die in Ergänzung zu den Funktionen des Produkts eine Wirkung auf den menschlichen Körper entfalten können. ...

Der Umstand, dass das Gefäßgerüst im Laufe der Zeit zerfällt und damit letztendlich verstoffwechselt wird, hindert die Einordnung als Medizinprodukt ebenfalls nicht. Dieser Vorgang entspricht nicht der vorrangigen Zweckbestimmung der Einbringung in die Arterie, sondern stellt eine - wenn auch erwünschte - Folge des Zeitablaufs dar (vgl. BGH, Urt. v. 9.7.2009, I ZR 193/06, Tz. 14 CE-Kennzeichnung).

BGH, Urt. v. 24.6.2010, I ZR 166/08, Tz. 14 – Photodynamische Therapie

Stoffe sowie Stoffzubereitungen sind dann Funktionsarzneimittel, wenn sie im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder aber eine medizinische Diagnose zu erstellen. Medizinprodukte und damit keine Arzneimittel sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten zu dienen bestimmt sind und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismus erreicht wird. Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen sind daher Medizinprodukte, wenn ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung nicht auf pharmakologischem, sondern auf physikalischem Gebiet liegt. Dies gilt auch dann, wenn ihre Wirkungsweise durch pharmakologisch oder immunologisch oder metabolisch wirkende Mittel unterstützt wird (§ 3 Nr. 1 a.E. MPG).

BGH, Urt. v. 24.6.2010, I ZR 166/08, Tz. 18 – Photodynamische Therapie

Die Regelung des Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG stellt klar, dass bei der im jeweiligen Einzelfall zu treffenden Entscheidung, ob ein Erzeugnis ein Funktionsarzneimittel ist, alle seine Eigenschaften zu berücksichtigen sind. Aus diesem Grund sind in Grenzfällen insbesondere auch seine Neben- und Folgewirkungen in Rechnung zu stellen und führen diese, soweit sie auf immunologischem oder metabolischem oder pharmakologischem Gebiet liegen, zu seiner Einordnung als Funktionsarzneimittel (vgl. Gröning, Heilmittelwerberecht, 2. Ergänzungslieferung 10. 2005, RL 2001/83/EG Art. 2 Rdn. 6).

BGH, Urt. v. 24.6.2010, I ZR 166/08, Tz. 17 – Photodynamische Therapie

Die MEDDEV-Borderline-Leitlinie, die zur Konkretisierung des Begriffs der pharmakologischen Wirkung mit heranzuziehen ist, versteht hierunter eine Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und einem zellulären Bestandteil (Rezeptor), die entweder in einer direkten Reaktion (Antwort) resultiert oder die Reaktion (Antwort) eines anderen Agens blockiert. Die Leitlinie setzt keine unmittelbare Wechselwirkung mit "zellulären Bestandteilen des Anwenders" voraus, sondern lässt jegliche Wechselwirkung zwischen den Molekülen der in Frage stehenden Substanz und "einem zellulären Bestandteil" genügen.

Zitiervorschlag zur aktuellen Seite

Omsels, Online-Kommentar zum UWG,

http://www.webcitation.org/6EjmZowDR