Diese Seite befasst sich mit Informationspflichten im Zusammenhang mit Umweltwerbung. Zur Irreführung bei diesem Thema siehe hier.
Literatur: Rauer, Nils/Mauritz, Franziska, Umweltbezogene Werbung in der Praxis. Ein Leitfaden zur Vermeidung von Greenwashing, GRUR 2023, 1747
In BGH, Urt. v. 27.6.2024, I ZR 98/23 – klimaneutral stützt der BGH seine Entscheidung nur auf eine Irreführung aus § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG und lässt offen, was aus § 5a UWG folgt:
BGH, Urt. v. 27.6.2024, I ZR 98/23, Tz. 10 – klimaneutral
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts steht der Klägerin ein Unterlassungsanspruch wegen Irreführung aus § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 UWG zu. Es kann daher offenbleiben, ob die Ausführungen des Berufungsgerichts einer rechtlichen Nachprüfung standhalten, mit denen es einen Unterlassungsanspruch wegen Verletzung einer Informationspflicht gemäß § 5a Abs. 2 UWG aF und § 5a Abs. 1 UWG verneint hat.
Berufungsgericht war das OLG Düsseldorf, von dem nachfolgende Zitate aus der Zeit vor dem BGH-Urteil stammen.
Klimaneutralität
OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.7.2023, I-20 U 72/22, Tz. 39 ff
Der Klimaschutz ist für Verbraucher ein zunehmend wichtiges, nicht nur die Nachrichten, sondern auch den Alltag bestimmendes Thema. Die Bewerbung eines Unternehmens oder seiner Produkte mit einer vermeintlichen Klimaneutralität kann daher erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben (OLG Frankfurt, GRUR 2023, 177 Rn. 29 - klimaneutral).
Gerade wenn der Verbraucher – wie dargetan – weiß, dass eine ausgeglichene Klimabilanz auch durch Kompensationszahlungen erreicht werden kann, besteht ein Interesse an einer Aufklärung über grundlegende Umstände der von dem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität. Der Verkehr geht beispielsweise nicht davon aus, dass ein Unternehmen, das sich oder sein Produkt als „klimaneutral“ bezeichnet, allein auf Ausgleichsmaßnahmen Dritter beziehungsweise auf den Kauf von Zertifikaten setzt. Der Zertifikatehandel und andere Kompensationsmöglichkeiten stehen – jedenfalls aus Verbrauchersicht – in dem Verdacht, das betreffende Unternehmen betreibe nur sog. „Greenwashing“, ohne dass der Klimaschutz tatsächlich maßgeblich verbessert Der Verbraucher hat daher – neben der Frage, welche Produktionsvorgänge einberechnet werden - ein erhebliches Interesse an der Information, ob die Klimaneutralität (auch) durch eigene Einsparmaßnahmen erreicht wird oder nur durch den Erwerb von CO2-Zertifikaten beziehungsweise durch die Unterstützung von Klimaprojekten Dritter (wie hier: OLG Frankfurt a.a.O.), darüber hinaus – da bestimmte Ausgleichsmaßnahmen umstritten sind – die Art der Ausgleichsmaßnahmen.
Die Situation ist vergleichbar mit derjenigen eines Warentests. Auch zur Ermittlung der Klimabilanz gibt es unterschiedliche Kriterien, Herangehensweisen und Bewertungsmaßstäbe, auf deren Kenntnis der Verbraucher zur Bewertung der Angabe „klimaneutral“ angewiesen ist. Im Ergebnis ist daher eine Aufklärung darüber erforderlich, ob die in der Werbung behauptete Klimaneutralität ganz oder teilweise durch Einsparungen bzw. durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird. Weiter ist eine Aufklärung darüber erforderlich, ob bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanzierung ausgenommen wurden.
In einer anderen Entscheidung vom gleichen Tage hielt es das OLG Düsseldorf für ausreichend, wenn für die Informationen zur Klimaneutralität auf eine Website verwiesen wird (OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.7.2023, 20 U 152/22). Das hält der BGH aber nicht für ausreichend. In der PM zum Revisionsurteil heißt es:
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.5.b.aa
Der Klimaschutz ist für Verbraucher ein zunehmend wichtiges, nicht nur die Nachrichten, sondern auch den Alltag bestimmendes Thema. Die Bewerbung eines Unternehmens oder seiner Produkte mit einer vermeintlichen Klimaneutralität kann daher erheblichen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben (a.A. wohl OLG Schleswig DB 2022, 2398, 2402).
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.5.b.aa
Der Begriff „klimaneutral“ ist für den verständigen Durchschnittsverbraucher einerseits schon aus sich heraus verständlich und hat - anders als etwa der Begriff „umweltfreundlich“ - einen bestimmten Inhalt. Die gegenteilige Ansicht, wonach der Begriff überhaupt keine klaren Konturen hat oder mit der Angabe „emissionsfrei“ verwechselt werden könnte (vgl. LG Frankfurt, Urt. v. 17.3.2022, 3-10 O 14/22 - klimaneutrale Reinigungsmittel; Münker/Vlah, ZLR 2022, 541, 553), teilt der Senat nicht.
Maßgeblich ist das Verkehrsverständnis. Der Durchschnittsverbraucher wird den Begriff „klimaneutral“ im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen des Unternehmens verstehen, wobei ihm bekannt ist, dass die Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel) erreicht werden kann (vgl. OLG Schleswig DB 2022, 2398, 2401). Gleichwohl besteht ein Interesse an einer Aufklärung, über grundlegende Umstände der von dem Unternehmen beanspruchten Klimaneutralität. Der Verkehr geht z.B. nicht davon aus, dass ein Unternehmen, das sich als „klimaneutral“ bezeichnet, allein auf Ausgleichsmaßnahmen Dritter bzw. auf den Kauf von Zertifikaten setzt. Der Zertifikatehandel und andere Kompensationsmöglichkeiten stehen - jedenfalls aus Verbrauchersicht - in dem Verdacht, das betreffende Unternehmen betreibe nur sog. „Greenwashing“, ohne dass der Klimaschutz tatsächlich maßgeblich verbessert wird (vgl. Münker/Vlah ZLR 2022, 541, 546 f. m.w.N.). Dieses Verkehrsverständnis kann der Senat aus eigener Sachkunde beurteilen. Der Verbraucher hat daher ein erhebliches Interesse an der Information, ob die Klimaneutralität (auch) durch eigene Einsparmaßnahmen erreicht wird oder nur durch den Erwerb von CO2-Zertifikaten bzw. durch die Unterstützung von Klimaprojekten Dritter.
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.5.b.bb
Bei dem vorliegenden Logo „Klimaneutral - Unternehmen - www.(...).com“ handelt es sich der Sache nach um ein Gütesiegel. Jedenfalls wird die logoartige Gestaltung vom maßgeblichen Durchschnittsverbraucher im Kontext der Werbung so aufgefasst. Nach der Lebenserfahrung hat der Hinweis auf ein Gütesiegel oder Prüfzeichen für die geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers über den Erwerb des damit versehenen Produkts erhebliche Bedeutung. Der Verbraucher erwartet, dass ein mit einem Prüfzeichen versehenes Produkt von einer neutralen und fachkundigen Stelle auf die Erfüllung von Mindestanforderungen anhand objektiver Kriterien geprüft worden ist und bestimmte, von ihm für die Güte und Brauchbarkeit der Ware als wesentlich angesehene Eigenschaften aufweist. Die Bestimmung des Verfahrens und der Prüfkriterien liegt dabei grundsätzlich in der autonomen Entscheidung der das Siegel vergebenden Stelle (BGH GRUR 2020, 299 Rn 32 - IVD-Gütesiegel). Gleichwohl besteht - ähnlich wie bei Warentests - regelmäßig ein erhebliches Interesse des Verbrauchers zu erfahren, anhand welcher Kriterien diese Prüfung erfolgt ist (BGH GRUR 2020, 299 Rn 26 - IVD-Gütesiegel; BGH GRUR 2016, 1076 Rn 39 - LGA tested).
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.5.c
Im Ergebnis ist eine Aufklärung darüber erforderlich, ob die in der Werbung behauptete Klimaneutralität ganz oder teilweise durch Einsparungen bzw. durch Kompensationsmaßnahmen erreicht wird. Weiter ist eine Aufklärung darüber erforderlich, ob bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanzierung ausgenommen wurden. Ferner müssen Informationen bereitgestellt werden, anhand welcher Kriterien die Prüfung für das Gütesiegel erfolgt ist. Eine Aufklärung über weitere Details der Klimabilanzierung, etwa über den Umfang von Reduzierungsmaßnahmen im Verhältnis zum ermittelten Ausstoß oder über den Gegenstand des zur Kompensation unterstützten Klimaprojekts, ist hingegen nicht erforderlich. Derart detaillierte Informationen wird der Verbraucher - jedenfalls bei der Anschaffung geringwertiger Alltagsgegenstände - bei seiner Kaufentscheidung nicht berücksichtigen. Er hat in der Regel kein Interesse, den Einzelheiten der Zertifizierungsentscheidung auf den Grund zu gehen.
Allerdings
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.6.b
Der Verbraucher muss, um eine informierte Entscheidung treffen zu können, wissen, ob sich die „Klimaneutralität“ auf das Unternehmen oder auf die angebotenen Produkte oder auf beides bezieht. Grundsätzlich gibt es offenbar zwei verschiedene Bilanzierungsansätze, nämlich den Corporate Carbon Footprint und den Product Carbon Footprint. Ersterer zeigt auf, wie viele Treibhausgase das Unternehmen verursacht. Letzterer dient der Ermittlung der Klimawirkung eines Produkts. In dem angegriffenen Siegel findet sich die Angabe „Unternehmen“. Sie verdeutlicht zunächst in verständlicher Weise, dass Bemessungsgrundlage das Emissionsvolumen des werbenden Unternehmens ist.
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.6.c
Welche konkreten Emissionen der Corporate Carbon Footprint erfasst, weiß der Durchschnittsverbraucher nicht aufgrund eigener Sachkunde. Unstreitig können sich die erfassten Emissionen je nach Zertifizierungsstelle unterscheiden. Der Verbraucher geht bei der streitgegenständlichen Logogestaltung davon aus, dass grundsätzlich alle wesentlichen Emissionen des „Unternehmens“, auch jene der Produktion, einschließlich der verarbeiteten Rohstoffe und Halbfertigprodukte kompensiert werden. Dies erschließt sich aus dem Begriff „klimaneutral“. Von einer Ausklammerung derartiger Emissionen geht der Verbraucher hingegen nicht ohne weiteres aus.
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.6.c.aa/cc
Die Antragstellerin hat substantiiert dargelegt und glaubhaft gemacht, dass bei dem von Y verwendeten „Greenhouse Gas Protokoll“ bestimmte Emissionen von der CO2-Bilanzierung ausgenommen werden können und nicht kompensiert werden müssen. Ihre Bilanzierung ist optional. Es handelt sich um sog. indirekte Emissionen aus dem Bereich „Scope 3“. Der Scope 3 umfasst zum Beispiel eingekaufte Güter und Rohstoffe, Abfälle, Geschäftsreisen von Mitarbeitern und ausgelagerte Aktivitäten, wie z.B. Transporte. Die „Scope 3-Emissionen“ machen bei vielen Unternehmen einen erheblichen Teil des Treibhausgasfußabdrucks aus. Sie sind schwer zu quantifizieren, weshalb bei ihnen die Gefahr des „Greenwashing“ besonders groß ist (Steuer GRUR 2022, 1408, 1411). ...
Die Ausklammerung der Scope 3-Emissionen ist für den Verbraucher in der Werbung nicht erkennbar. Er weiß nicht, dass Emissionen nach dem Scope 3 aus der Bilanz nach dem Greenhouse Gas Protocol ausgeklammert werden können. Die Angabe „Unternehmen“ als Bezugsgröße der Klimaneutralität erscheint vor diesem Hintergrund irreführend. An einem deutlichen Hinweis, dass indirekte Emissionen ganz oder teilweise ausgeklammert wurden, fehlt es.
Ort der Information
OLG Frankfurt, Urt. v. 10.11.2022, 6 U 104/22, II.5.d
Die notwenigen Angaben finden sich zwar nicht unmittelbar auf der Internetseite, die das Siegel „klimaneutral“ trägt. Dies ist indes auch nicht erforderlich. Bei der Beurteilung, ob wesentliche Informationen vorenthalten wurden, sind räumliche Beschränkungen durch das gewählte Kommunikationsmittel zu berücksichtigen (§ 5a Abs. 3 UWG). Im Streitfall befindet sich das Siegel in der Fußzeile der Internetseite neben weiteren Auszeichnungen und Prüfsiegeln. An dieser Stelle sind weitere Ausführungen in lesbarer Größe kaum benutzerfreundlich zu realisieren. Sie werden vom Verkehr an dieser Stelle auch nicht erwartet. Es ist anerkannt, dass es ausreicht, wenn die Werbung hinsichtlich der Prüfkriterien für ein Gütesiegel auf eine Internetseite verweist, auf der für den Verbraucher nähere Informationen in Form von kurzen Zusammenfassungen der bei der Prüfung herangezogenen Kriterien zur Verfügung stehen (BGH GRUR 2016, 1076 Rn 35 - LGA tested).
OLG Schleswig, Urt. v. 30.6.2022, 6 U 46/21, Tz. 45 - klimaneutral
Es muss genügen, auf der Verpackung den Hinweis auf eine Internetseite anzubringen, auf der sich die Erläuterungen finden. Insoweit kann nichts anderes als bei der Werbung mit Testsiegeln gelten, bei denen eine solche Verweisung für zulässig erachtet wird (dazu BGH GRUR 2016, 1076, 1079 Rn. 35 - LGA-tested).