Strengeprinzip bei gesundheitsbezogener Werbung
Alle Aussagen zu Produkten, die am Körper angewendet werden oder in den Körper aufgenommen werden, sowie zu sonstigen Waren oder Dienstleistungen, die Auswirkungen auf den Körper oder Körperfunktionen haben, werden wettbewerbsrechtlich besonders streng beurteilt. Zwar gilt auch hier meist, dass der Kläger nachweisen muss, dass eine Aussage unzutreffend ist. Allerdings obliegt dem Anspruchsgegner häufig eine sekundären Darlegungs- und Beweislast. In Einzelfällen greift auch eine Umkehr der Beweislast ein.
BGH, Urt. v. 9.12.2021, I ZR 146/20, Tz. 62 - Werbung für Fernbehandlung
Bei gesundheitsbezogener Werbung sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können.
Ebenso OLG Hamm, Urt. v. 12.1.2023, 4 U 45/20, Tz. 50
BGH, Urt. v. 6.2.2013, I ZR 62/11, Tz. 16 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil
Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht.
Ebenso BGH, Urt. v. 5.11.2020, I ZR 204/19, Tz. 17 - Sinupret; OLG Hamm, Urt. v. 20.5.2014, 4 U 57/13, Tz. 106; KG, Beschl. v. 30.1.2015, 5 W 11/15, 1. – Salzgrotte (MD 2015, 330); OLG München, Urt. v. 12.2.2015, 6 U 3700/13; KG, Urt. v. 12.6.2015, 5 U 167/12 (MD 15, 1001); KG Berlin, Urt. v. 2.6.2017, 5 U 196/16, Tz. 32 - Coolsculpting; OLG Nürnberg, Hinweisbeschl. v. 22.5.2018, 3 U 1138/18, Tz. 68; OLG München, Urt. v. 5.7.2018, 29 U 1866/17, Tz. 33 – Bye-Bye-Hüftgold; OLG Frankfurt, Urt. v. 12.9.2019, 6 U 114/18, II.3.a; OLG Nürnberg, Urt. v. 29.10.2019, 3 U 559/19; OLG Schleswig, Urt. v. 11.6.2021, 6 U 90/19, II.3.c.aa; OLG Hamm, Beschl. v. 2.9.2021, 4 W 59/21, Tz. 23; OLG Hamm, Urt. v. 21.4.2022, 4 U 39/22. Tz. 55; OLG München, Urt. v. 24.2.2022, 29 U 7517/20, OLG Hamburg, Urt. v. 23.12.2021, 3 U 143/20, Tz. 57 (zu einer Überlegenheitsbehauptung); OLG München, Urt. v. 7.7.2022, 6 U 6410/21, II.3.b.1 (MD 2022, 964); OLG Hamm, Urt. v. 12.1.2023, 4 U 45/20, Tz. 50; OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.1.2023, 6 U 233/22, Tz. 97 - Wissenschaftlicher Dienst für Familienfragen II
BGH, Urt. v. 5.11.2020, I ZR 204/19, Tz. 17 - Sinupret
Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können (BGH, GRUR 2013, 649 Rn. 16 - Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Unzulässig ist es außerdem, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen. Darüber hinaus kann es irreführend sein, wenn eine Werbeaussage auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen.
Ebenso OLG Hamm, Beschl. v. 2.9.2021, 4 W 59/21, Tz. 23; OLG Hamm, Urt. v. 21.4.2022, 4 U 39/22. Tz. 55; OLG Hamm, Urt. v. 12.1.2023, 4 U 45/20, Tz. 50; OLG Karlsruhe, Urt. v. 11.1.2023, 6 U 233/22, Tz. 97 - Wissenschaftlicher Dienst für Familienfragen II
BGH, Urt. v. 5.11.2020, I ZR 204/19, Tz. 34 - Sinupret
Ausgehend davon, dass nach dem "Strengeprinzip" gesundheitsbezogene Aussagen in einer Werbung für Arzneimittel nur dann zulässig sind, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen (dazu Rn. 17), hat das Berufungsgericht zu Recht betont, dass der vom Werbenden in Anspruch genommene Stand der Wissenschaft bereits im Zeitpunkt der Werbung dokumentiert sein muss. Nicht ausreichend ist es hingegen, wenn der Werbende sich erst im Laufe des Prozesses auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens beruft. ... Ein erst nachträglich eingeholtes Gutachten könnte nämlich den Vorwurf nicht entkräften, mit einer im Zeitpunkt der Werbung nicht belegten Aussage geworben zu haben.
OLG Köln, Urt. v. 14.11.2014, 6 U 82/14, Tz. 16
Überall dort, wo in der Werbung die Gesundheit ins Spiel gebracht wird, sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen zu stellen, weil zum einen die eigene Gesundheit in der Wertschätzung des Verbrauchers einen hohen Stellenwert hat, so dass sich daran anknüpfende Werbemaßnahmen erfahrungsgemäß als besonders wirksam erweisen, und weil zum anderen mit irreführenden gesundheitsbezogenen Werbeangaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut der Gesundheit des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können (vgl. BGH, GRUR 1980, 797, 799 – Topfit Boonekamp; GRUR 2013, 649 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
Allgemeine Rechtsprechung; u.a. zuletzt noch OLG München, Urt. v. 12.2.2015, 6 U 2198/14, II.1 = MD 2015, 504; OLG München, Urt. v. 12.2.2015, 6 U 3700/13; OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.2.2015, 15 U 70/14; KG, Urt. v. 12.6.2015, 5 U 167/12 (MD 15, 1001); KG, Urt. v. 11.3.2016, 5 U 151/14 (MD 2016, 631); OLG Hamburg, Beschl. v. 27.9.2017, 3 W 58/17, B.I.1.b.bb; OLG Köln, Urt. v. 1.4.2016, 6 U 108/15, Tz. 41; OLG München, Urt. v. 7.7.2022, 6 U 6410/21, II.3.b.1 (MD 2022, 964)
Das Strengeprinzip gilt auch für den Inhalt von Belegen, auf die in der Werbung verwiesen wird (Zitatwahrheit):
OLG Hamburg, Urt. v. 29.5.2019, 3 U 95/18, Tz. 101
Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann eine Werbung für ein Arzneimittel irreführend sein, wenn sie auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen (BGH, GRUR 2013, 649, Rn. 17 und LS 1 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil; BGH, GRUR 2015, 1244, Rn. 16 – Äquipotenzangabe in Fachinformation). Ein solcher Verstoß gegen den Grundsatz der Zitatwahrheit kommt zum einen in Betracht, wenn die als Beleg angeführte Studie den Anforderungen an einen hinreichenden wissenschaftlichen Beleg nicht entspricht. Eine Irreführung liegt zum anderen regelmäßig dann vor, wenn die Studie selbst abweichende Studienergebnisse nennt, die in der Werbung behaupteten Ergebnisse nicht für bewiesen hält oder lediglich eine vorsichtige Bewertung der Ergebnisse vornimmt und die Werbung diese Einschränkungen der Studienaussage nicht mitteilt (BGH, GRUR 2013, 649, Rn. 17 und LS 1 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
OLG Nürnberg, Urt. v. 29.10.2019, 3 U 559/19, B.III.2.a
Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Zitatwahrheit kommt in Betracht, wenn die als Beleg angeführte Studie den Anforderungen an einen hinreichenden wissenschaftlichen Beleg nicht entspricht. Dabei geht es nicht darum, ob die Werbeaussage für sich genommen inhaltlich richtig ist, weil sie gegebenenfalls auf andere Studien gestützt werden könnte. Die Irreführung ergibt sich vielmehr bereits daraus, dass die durch die uneingeschränkt aufgestellte werbliche Behauptung in Bezug genommene Studie selbst die Aussage nicht oder nicht uneingeschränkt trägt (BGH, Urteil vom 06.02.2013 - I ZR 62/11, Rn. 17 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil).
Es kann unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Zitatwahrheit irreführend sein, wenn eine Werbeaussage auf Studien gestützt wird, die diese Aussage nicht tragen.
Gesundheitsbezogen ist auch Werbung für ästhetische Zwecke, wenn sie mit einem Eingriff in den Körper verbunden sind.
OLG München, Urt. v. 14.1.2016, 29 U 2609/15, II.1.a - Kryolipolyse
Gesundheitsbezogene Werbung liegt nicht nur dann vor, wenn das angestrebte Ziel der Behandlung gesundheitsbezogen ist, sondern auch, wenn ästhetische Ziele durch Maßnahmen erreicht werden sollen, die in die körperliche Integrität eingreifen und dadurch Gesundheitsbezug haben. Die besonderen Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen bei gesundheitsbezogener Werbung rechtfertigen sich aus dem Interesse an dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung (vgl. Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 5 Rn. 4.181; BGH GRUR 2013, 649 Tz. 16 – Basisinsulin mit Gewichtsvorteil). Dieses ist aber bei Maßnahmen zu ästhetischen Zwecken, deren Durchführung einen Gesundheitsbezug aufweisen, genauso berührt wie bei Maßnahmen, die selbst ein gesundheitsbezogenes Ziel haben.
Ebenso OLG München, Urt. v. 5.7.2018, 29 U 1866/17, Tz. 36 – Bye-Bye-Hüftgold
Gesundheitsbezogen ist auch Werbung für eine Diät zum Abnehmen.
OLG Köln, Urt. v. 1.4.2016, 6 U 108/15, Tz. 40
Die Werbung für ein Abnehmkonzept ist gesundheitsbezogen. Diäten und Abnehmprogramme greifen unmittelbar in die körperliche Beschaffenheit ein. Dies gilt hier umso mehr, als es sich nicht um ein reines Diät-Programm, sondern zusätzlich um eine DNA-Analyse handelt, für die ein Wangenabstrich erforderlich ist.
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Omsels, Online-Kommentar zum UWG: