Auslegungsbedürftige Begriffe im Verbotsantrag können zulässig sein. Es sind zwei Konstellationen zu unterscheiden:
1. Keine Unklarheiten zwischen den Beteiligten
2. Auslegung im Lichte der Antragsbegründung
3. Keine präzisere Formulierung möglich
"ohne angemessene Gegenleistung"
"im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Verbraucher zu Werbezwecken"
"mittelbar oder unmittelbar zu fördern"
'eindeutig', 'unübersehbar', 'leicht erkennbar'
Keine Unklarheiten zwischen den Beteiligten
Auslegungsbedürftige Begriffe im Verbotsantrag sind zulässig, wenn im Einzelfall über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe kein Zweifel und zwischen den Parteien kein Streit über deren Bedeutung besteht.
BVerfG, Beschl. v. 13.04.2022, 1 BvR 1021/17, Tz. 26
Die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe zur Bezeichnung der zu untersagenden Handlung ist hinnehmbar oder im Interesse einer sachgerechten Verurteilung zweckmäßig oder sogar geboten, wenn über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe kein Zweifel besteht, so dass die Reichweite von Antrag und Urteil feststeht. Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Unterlassungsantrag – und in der Folge eine darauf beruhende Verurteilung – indes nicht derart undeutlich gefasst sein, dass der Streitgegenstand und der Umfang der Prüfung und Entscheidung des Gerichts auch unter Berücksichtigung gewisser im Interesse eines hinreichenden Rechtsschutzes zulässiger Verallgemeinerungen, in denen das Charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt, nicht erkennbar abgegrenzt ist, sich die beklagte Partei deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und die Entscheidung darüber, was ihr verboten ist, letztlich dem Vollstreckungsgericht überlassen bliebe.
BGH, Urt. v. 5.10.2010, I ZR 46/09, Tz. 11 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung
Die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe, deren Bedeutung nicht immer gleich sein muss, in Antrags- und Urteilsformel ist nicht grundsätzlich und generell unzulässig. Der Gebrauch solcher Begriffe kann hinnehmbar oder im Interesse einer sachgerechten Titulierung zweckmäßig oder geboten sein, wenn im Einzelfall über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe kein Zweifel besteht. Anders liegt es, wenn die Bedeutung von Begriffen und Bezeichnungen zwischen den Parteien streitig ist (vgl. BGH, Urt. v. 4. 7. 2002, I ZR 38/00, GRUR 2002, 1088, 1089 = WRP 2002, 1269 - Zugabenbündel; Urt. v. 4. 9. 2003, I ZR 23/01, BGHZ 156, 126, 131 - Farbmarkenverletzung I).
Ebenso BGH, Urt. v. 29.5.2024, I ZR 145/23, Tz. 18 - Verwarnung aus Kennzeichenrecht III; BGH, Urt. v. 11.2.2021, I ZR 227/19, Tz. 16 - Rechtsberatung durch Architektin
BGH, Urt. v. 4.11.2010, I ZR 118/09, Tz. 13 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker
Die Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe im Klageantrag zur Bezeichnung der zu untersagenden Handlung ist hinnehmbar oder im Interesse einer sachgerechten Verurteilung zweckmäßig oder sogar geboten, wenn über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe kein Zweifel besteht, so dass die Reichweite von Antrag und Urteil feststeht. Davon ist im Regelfall auszugehen,
- wenn über die Bedeutung des an sich auslegungsbedürftigen Begriffs zwischen den Parteien kein Streit besteht und objektive Maßstäbe zur Abgrenzung vorliegen oder
- wenn zum Verständnis des Begriffs auf die konkrete Verletzungshandlung und die gegebene Klagebegründung zurückgegriffen werden kann.
ebenso BGH, Urt. v. 9.9.2021, I ZR 113/20, Tz. 12 - Vertragsdokumentengenerator; BGH, Urt. v. 4.5.2016, I ZR 58/16, Tz. 20 - Segmentsruktur; BGH, Urt. v. 6.10.2011, I ZR 54/10, Tz. 11 – Kreditkontrolle; BGH, Urt. v. 28.11.2013, I ZR 7/12, Tz. 15 – Online-Versicherungsvermittlung; OLG Nürnberg, Urt. v. 17.4.2018, 3 U 2083/17, B.I.2; OLG Hamm, Urt. v. 29.8.2024, 4 UKl 2/24, Tz. 28
Auslegung im Lichte der Antragsbegründung
OLG Stuttgart, Urt. v. 12.12.2013, 2 U 12/13, Tz. 48
Ein Klageantrag genügt den gesetzlichen Bestimmtheitsanforderungen, wenn er zwar auslegungsbedürftig ist, der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts und damit auch der Unterlassungspflicht des Beklagten hinreichend deutlich wird. Schon aus dem Streitgegenstandsbegriff folgt, dass neben dem Wortlaut des Antrages zur Klärung auch auf die Anspruchsbegründung zurückzugreifen ist. Der Kern der Unlauterkeit braucht nicht zwingend schon im Antrag hinreichend konkretisiert zum Ausdruck zu kommen. Es kann genügen, wenn er mit ausreichender Deutlichkeit aus der Klagebegründung hervorgeht, sofern sich die Begründung als Konkretisierung und nicht als Verschiebung des Antrages darstellt (vgl. BGH, Urt. v. 16.5.2013, I ZR 216/11, Tz. 24 f. – Kinderhochstühle im Internet II).
Keine präzisere Formulierung möglich
Eine weitere Ausnahme besteht außerdem, wenn ein effektives Verbot andernfalls nicht ausgesprochen werden kann.
BGH, Urt. v. 4.11.2010, I ZR 118/09, Tz. 17 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker
Eine auslegungsbedürftige Antragsformulierung kann hinzunehmen sein, wenn eine weitere Konkretisierung nicht möglich ist und die Antragsformulierung zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes im Hinblick auf eine bestimmte Geschäftspraxis erforderlich erscheint.
BGH, Urt. v. 9. 9. 2004, I ZR 93/02, II.4.a) - Ansprechen in der Öffentlichkeit II
In besonders gelagerten Fällen können bei der Bemessung der Anforderungen, die zur Sicherung der Bestimmtheit des Unterlassungsantrags und des entsprechenden Urteilsausspruchs aufzustellen sind, die Erfordernisse der Gewährung eines wirksamen Rechtsschutzes mit abzuwägen sein. Die Anforderungen an die Konkretisierung des Streitgegenstands in einem Unterlassungsantrag sind demgemäß auch abhängig von den Besonderheiten des jeweiligen Sachgebiets.
Müsste in bestimmten Fällen ein auf § 8 Abs. 1 i.V. mit §§ 3, 7 Abs. 1 UWG gestützter Unterlassungsantrag entsprechend den Besonderheiten des festgestellten Einzelfalls gefasst werden, wäre für den Anspruchsberechtigten eine antragsgemäße Verurteilung in aller Regel nutzlos, weil der konkrete Wettbewerbsverstoß kaum jemals in gleicher Weise wiederholt werden wird. Dies würde auch die Wirksamkeit des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb ... entscheidend beeinträchtigen. Es ist deshalb bei der Fassung des Klageantrags und des entsprechenden Urteilsausspruchs hinzunehmen, dass das Vollstreckungsgericht bei der Beurteilung behaupteter Verstöße gegen ein in der dargelegten Weise gefasstes Unterlassungsgebot auch Wertungen vornehmen muss. Die Rechtsverteidigung des Anspruchsgegners und sein schützenswertes Interesse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit hinsichtlich der Entscheidungswirkungen werden dadurch nicht unzumutbar beeinträchtigt.
Beispiele
den Eindruck erwecken
BGH, Urt. v. 17.3.2011, I ZR 170/08, Tz. 20 – Ford-Vertragshändler
… Der Unterlassungsantrag umschreibt keine konkreten Verletzungsformen, deren Verbot begehrt wird. Nach seinem Wortlaut soll der Beklagten mit dem Hauptantrag zu 2 die Verwendung der Bezeichnung „Ford-Vertragspartner“ nicht schlechthin verboten werden. Ihr soll die Behauptung, „Ford-Vertragspartner“ zu sein, nur dann nicht erlaubt sein, „wenn dadurch der Eindruck erweckt wird, Ford-Vertragshändler zu sein“. Unter welchen konkreten Umständen der nach Ansicht des Klägers unzutreffende Eindruck entsteht, ist dem Antrag selbst nicht zu entnehmen. Es ist auch nicht möglich, den Gegenstand des Verbotsantrags anhand seiner Begründung im Wege der Auslegung zu konkretisieren. Damit bleibt für die Beklagte unklar, unter welchen Umständen es ihr gestattet ist, die Bezeichnung „Ford-Vertragspartner“ zu verwenden, und wann sie dies zu unterlassen hat.
ohne angemessene Gegenleistung
BGH, Urt. v. 21.7.2011, I ZR 209/10, Tz. 12
Der Gebrauch eines allgemeinen Begriffs kann zwar genügen, wenn im Einzelfall über den Sinngehalt kein Zweifel besteht. Anders liegt es aber dann, wenn die Bedeutung von Begriffen oder Bezeichnungen zwischen den Parteien streitig ist; in solchen Fällen würden, wenn Sinngehalt und Bedeutung der verwendeten Begriffe offenbleiben, Inhalt und Umfang des begehrten bzw. erkannten Verbots nicht eindeutig feststehen. Das ist vorliegend im Hinblick auf den unbestimmten Begriff "angemessene Gegenleistung" der Fall. Die Beklagte macht geltend, dass den behaupteten Vorteilen zugunsten von Ryanair marktgerechte Gegenleistungen gegenüberstehen.
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Verbraucher zu Werbezwecken
BGH, Urt. v. 5.10.2010, I ZR 46/09, Tz. 11 – Verbotsantrag bei Telefonwerbung
Der Bestimmtheit des Hauptantrags steht nicht entgegen, dass er mit den Wendungen "im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Verbraucher zu Werbezwecken anzurufen oder anrufen zu lassen" auslegungsbedürftige Begriffe aufgreift. Die Verwendung derartiger Begriffe, deren Bedeutung nicht immer gleich sein muss, in Antrags- und Urteilsformel ist nicht grundsätzlich und generell unzulässig. Der Gebrauch solcher Begriffe kann hinnehmbar oder im Interesse einer sachgerechten Titulierung zweckmäßig oder geboten sein, wenn im Einzelfall über den Sinngehalt der verwendeten Begriffe kein Zweifel besteht. Anders liegt es, wenn die Bedeutung von Begriffen und Bezeichnungen zwischen den Parteien streitig ist (vgl. BGH, Urt. v. 4. 7. 2002, I ZR 38/00, GRUR 2002, 1088, 1089 = WRP 2002, 1269 - Zugaben-bündel; Urt. v. 4. 9. 2003, I ZR 23/01, BGHZ 156, 126, 131 - Farbmarkenverletzung I). Dementsprechend sind Begriffe wie "im geschäftlichen Verkehr", "zu werben", "Werbung zu betreiben" oder "gegenüber Gewerbetreibenden" unbeanstandet geblieben, wenn sie im Streitfall nicht umstritten waren (vgl. BGH, Urt. v. 24. 11. 1999, I ZR 189/97, GRUR 2000, 438, 441 = WRP 2000, 389 - Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge; Urt. v. 11. 3. 2010, I ZR 27/08, Tz. 8, 35 - Telefonwerbung nach Unternehmenswechsel).
rechtliche Beratung
BGH, Urt. v. 6.10.2011, I ZR 54/10, Tz. 11 – Kreditkontrolle
Mit der Verwendung des Begriffs "rechtliche Beratung" bleibt unklar, was der Beklagten … konkret verboten werden soll.
"mittelbar oder unmittelbar zu fördern"
BGH, Urt. v. 30.1.2014, I ZR 19/13, Tz. 12 - Gebundener Versicherungsvermittler
Die Verwendung der Formulierung "mittelbar oder unmittelbar zu fördern" in den Klageanträgen zu 1b und 2a begegnet keinen durchgreifenden Bedenken, weil der Beklagte und gegebenenfalls auch das Vollstreckungsgericht durch Auslegung ermitteln kann, welche Verhaltensweisen hiervon erfasst sind (vgl. BGH, Urt. v. 17.8.2011, I ZR 148/10, Tz. 27 - Glücksspielverband, zur Formulierung "zu ermöglichen und/oder … ermöglichen zu lassen"). Die Klägerin hat zudem durch den Zusatz "insbesondere mündliche oder schriftliche Angebote oder Anfragen an die I. GmbH weiterzuleiten" verdeutlicht, worin sie das Charakteristische der von ihr gesehenen wettbewerbswidrigen Verhaltensweise des Beklagten sieht (vgl. BGH, Urt. v. 30.4.2008, I ZR 73/05, Tz. 26 - Internet-Versteigerung III; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, § 12 Rn. 2.46 mwN).
'eindeutig', 'unübersehbar', 'leicht erkennbar'
BGH, Versäumnisurt. v. 21.9.2017, I ZR 53/16, Tz. 12 - Festzins Plus
Enthalten Unterlassungsanträge auslegungsbedürftige Formulierungen wie "eindeutig", "unübersehbar" oder "leicht erkennbar", ohne die Charakteristik des gerügten Verstoßes durch eine Bezugnahme auf die konkrete Verletzungsform klarzustellen, sind sie regelmäßig unbestimmt, weil der gesamte Streit über die Reichweite des Verbots in das
Vollstreckungsverfahren verlagert wird
'sinngemäß', 'ähnlich', 'Eindruck erwecken'
BGH, Urt. v. 29.5.2024, I ZR 145/23, Tz. 18 f - Verwarnung aus Kennzeichenrecht III
Bei der Fassung von Antrag und Urteilsausspruch können Formulierungen wie "Behauptungen ähnlichen Inhalts", "im geschäftlichen Verkehr" oder "markenmäßig" zulässig sein, wenn die dabei verwendeten Begriffe, obwohl sie auslegungsfähig sein können, im konkreten Fall nach Inhalt und Bedeutung nicht umstritten sind und ihr Sinngehalt und damit die Reichweite von Antrag und Urteil feststehen (vgl. BGH, GRUR 1991, 254 [juris Rn. 18] - Unbestimmter Unterlassungsantrag I, mwN). Anders liegt es aber dann, wenn die Bedeutung von Begriffen oder Bezeichnungen zwischen den Parteien streitig ist. In solchen Fällen würden, wenn Sinngehalt und Bedeutung der verwendeten Begriffe dahingestellt blieben, Inhalt und Umfang des begehrten beziehungsweise des erkannten Verbots nicht eindeutig feststehen. So hat die höchstrichterliche Rechtsprechung in derartigen Fällen Formulierungen wie "ähnliche Behauptungen", "Eindruck erwecken", "eindeutig", "unübersehbar" und "ähnlich wie" für zu unbestimmt und damit für unzulässig gehalten.
Die Verwendung der Formulierung in einem Verbot, bestimmte Behauptungen wörtlich oder "sinngemäß" aufzustellen, mag zwar im Einzelfall, wenn der Inhalt beziehungsweise die Auslegung des Begriffs "sinngemäß" zwischen den Parteien nicht in Streit steht, nicht zur Annahme der fehlenden Bestimmtheit von Klageantrag und Urteilsformel führen (vgl. BGH, Urt. v. 3.2.1976, VI ZR 23/72, GRUR 1977, 114 [juris Rn. 17]).