Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

h) Schadenersatz (§ 945 ZPO)

§ 945 ZPO Schadenersatz

Erweist sich die Anordnung eines Arrestes oder einer einstweiligen Verfügung als von Anfang an ungerechtfertigt oder wird die angeordnete Maßregel auf Grund des § 926 Abs. 2 oder des § 942 Abs. 3 aufgehoben, so ist die Partei, welche die Anordnung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel oder dadurch entsteht, dass er Sicherheit leistet, um die Vollziehung abzuwenden oder die Aufhebung der Maßregel zu erwirken.

Literatur: Pustalov, Evgeny, Schadenersatzpflicht des Gläubigers einer einstweiligen Verfügung nach § 945 ZPO, WRP 2022, 1463

BGH, Urt. v. 30.7.2015, I ZR 250/12, Tz. 26 - Piadina-Rückruf

Nach § 945 ZPO ist die Partei, welche die Anordnung einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung erwirkt hat, verpflichtet, dem Gegner den Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Vollziehung der angeordneten Maßregel entsteht. Der Schadensersatzanspruch umfasst grundsätzlich den durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung adäquat kausal verursachten unmittelbaren und mittelbaren Schaden. Ein solcher Vollziehungsschaden setzt voraus, dass der Antragsgegner von einer Handlung Abstand nimmt, die durch den gerichtlichen Titel untersagt war. Daran fehlt es, wenn das den Schaden verursachende Verhalten bei objektiver Auslegung des Verbotstitels nicht untersagt war.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12 - Nero

§ 945 ZPO beruht … auf dem Rechtsgedanken, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Vollstreckungstitel auf Gefahr des Gläubigers erfolgt (BGH, Urt. v. 20.7.2006, IX ZR 94/03, Tz. 40).

Ebenso BGH, Urt. v. 30.7.2015, I ZR 250/12, Tz. 36 - Piadina-Rückruf

BGH, Urt. v. 19.11.2015, I ZR 109/14 – Hot Sox

Noch ungeklärt ist, ob die einstweilige Verfügung bereits deshalb als von Anfang an ungerechtfertigt im Sinne des § 945 ZPO anzusehen ist, weil das Ausgangsgericht diese Verfügung durch rechtskräftiges Urteil aufgehoben hat. Von einer entsprechenden Bindungswirkung ist der Bundesgerichtshof in älteren Entscheidungen ausgegangen (vgl. BGH, NJW 1992, 2297). Der Senat hat die umstrittene Frage, ob eine Entscheidung im summarischen Verfahren, durch die eine einstweilige Verfügung (formell rechtskräftig) als unbegründet aufgehoben worden ist, das Gericht im Schadensersatzprozess bindet, bislang offengelassen.

KG Berlin, Urt. v. 8.1.2016, 5 U 97/14, IV.2.a

Ist der Verfügungsbeklagte bereits aus materiellrechtlichen Gründen verpflichtet, das mit der einstweiligen Verfügung verbotene Verhalten zu unterlassen, so hat er durch die Unterlassung keinen nach § 945 ZPO zu ersetzenden Schaden erlitten (BGH NJW 2006, 2767, Tz. 27; BGH GRUR 1994, 849 - Fortsetzungsverbot, Tz. 31).

KG Berlin, Urt. v. 8.1.2016, 5 U 97/14, IV.2.b

Ob der Beklagten ein Verfügungsanspruch zustand, hat das Gericht im  Schadenersatzprozess eigenständig zu beurteilen. Es ist nicht an die Entscheidung des Landgerichts, das die einstweilige Verfügung auf den Widerspruch der Klägerin hin mangels Verfügungsanspruchs aufgehoben hat, gebunden. Der im Verfügungsverfahren ergangenen Entscheidungen kommt keine materielle Rechtskraftwirkung für einen Hauptsacheprozess zu; für den Schadensersatzprozess kann nichts anderes gelten.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 17 - Nero

Nur eine Gläubigerhandlung, die als zwangsweise Durchführung einer angeordneten Maßregel angesehen werden kann, ist eine Vollziehung im Sinne des § 945 ZPO und begründet die scharfe Haftung des Gläubigers.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 17 - Nero

Die Schadensersatzpflicht kann nie allein durch das Erwirken des Titels begründet werden. Vielmehr ist ein darüber hinausgehendes Verhalten erforderlich, das zumindest einen gewissen Vollstreckungsdruck erzeugt.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 17 - Nero

Ein solcher Vollstreckungsdruck geht von reinen Unterlassungstiteln nicht aus. Unterlassungsgebote lassen sich nicht durch unmittelbaren Zwang durchsetzen, sie werden entweder beachtet oder durch Nichtbeachtung verletzt. Ihre Durchsetzung erfolgt durch mittelbaren Zwang in der Weise, dass der Schuldner auf Antrag des Gläubigers zu Ordnungsgeld oder Ordnungshaft nach § 890 Abs. 1 ZPO verurteilt wird. Deshalb setzt der für eine Schadensersatzpflicht nach § 945 ZPO notwendige Vollstreckungsdruck voraus, dass der Schuldner das durch die einstweilige Verfügung verhängte Verbot beachten und im Fall der Zuwiderhandlung mit der Verhängung von Ordnungsmitteln rechnen muss. Dies erfordert neben der Androhung des Ordnungsmittels nach § 890 Abs. 2 ZPO bei der Beschlussverfügung deren Zustellung im Parteibetrieb nach § 922 Abs. 2 ZPO. Die Zustellung begründet zum einen die Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung. Sie leitet zum anderen die Zwangsvollstreckung aus dem Titel ein und dokumentiert den Willen des Gläubigers, von diesem Titel Gebrauch zu machen.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 17 - Nero

Die formlose Übermittlung der gerichtlichen Entscheidung von Partei zu Partei genügt den Anforderungen des § 922 Abs. 2 ZPO an eine Parteizustellung nach §§ 191 bis 195 ZPO nicht. Die einstweilige Verfügung ist vor der förmlichen Zustellung nicht wirksam. Eine nicht wirksame einstweilige Verfügung braucht der Schuldner nicht zu beachten.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 19 - Nero

Dadurch, dass die Beklagten der Klägerin vor einer förmlichen Zustellung im Parteibetrieb mit Schreiben vom 12. Juni 2006 eine Abschrift der einstweiligen Verfügung vom 9. Juni 2006 übermittelt haben, haben sie keinen Vollstreckungsdruck erzeugt, der eine Schadensersatzverpflichtung der Beklagten begründen kann. Die einstweilige Verfügung vom 9. Juni 2006 war mangels Zustellung im Parteibetrieb zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirksam. Eine nicht wirksame einstweilige Verfügung brauchte die Klägerin nicht zu beachten.

Die gleichwohl ... erfolgte Einstellung des Vertriebs … stellt sich danach nicht als eine durch einen Vollstreckungsdruck ausgelöste Befolgung des Verbots dar.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 22 - Nero

Eine durch Urteil erlassene Verbotsverfügung wird mit der Verkündung des Urteils wirksam und ist vom Schuldner ab diesem Zeitpunkt zu beachten, wenn sie eine Ordnungsmittelandrohung enthält. In diesem Fall kann gegen den Schuldner bei einer schuldhaften Zuwiderhandlung nach Verkündung des Urteils ein Ordnungsmittel festgesetzt werden. Der Schuldner hat das Unterlassungsgebot bereits ab Urteilsverkündung zu beachten, auch wenn für den Gläubiger weiterhin die Notwendigkeit besteht, die Urteilsverfügung durch Zustellung zu vollziehen. Grund hierfür ist, dass eine durch Urteil erlassene Verbotsverfügung wie jedes Urteil mit der Verkündung wirksam ist und Grundlage der Zwangsvollstreckung in Form einer Ordnungsmittelfestsetzung sein kann, wenn die Ordnungsmittelandrohung im Urteil enthalten ist.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 24 - Nero

Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 945 ZPO ist für solche Schäden ausgeschlossen ist, die der Antragsgegnerin wegen der Befolgung des Verbots nach der Rücknahme des Verfügungsantrags durch die Antragstellerin entstanden sind. Nach dem dadurch bedingten Wegfall des Titels entfiel auch ein durch ihn erzeugter Vollstreckungsdruck. Schäden, die der Klägerin infolge der Beibehaltung der Vertriebseinstellung … entstanden sind, können nicht kausal auf der Vollziehung der einstweiligen Verfügung beruhen.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 28 - Nero

Die Ursächlichkeit der einstweiligen Verfügung für die Einstellung des Vertriebs ist als haftungsbegründender Umstand von der geschädigten Klägerin zu beweisen. Ihr kommen allerdings die Beweiserleichterungen des § 287 ZPO zugute.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 34 - Nero

Der Geschädigten kommen die Beweiserleichterungen des § 287 Abs. 1 ZPO zugute; bei besonderen Schwierigkeiten des Schadensnachweises ist ein Mindestschaden zu schätzen.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 34 - Nero

Für die Bemessung des Schadens nach § 945 ZPO gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 249 ff. BGB.

Der Schadensersatzanspruch erfasst grundsätzlich den durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung adäquat-kausal verursachten, unmittelbaren oder mittelbaren Schaden einschließlich des infolge des Vollzugs von Verbotsverfügungen entgangenen Gewinns des Schuldners.

Zum Schaden gehören auch die Kosten für Handlungen, die der Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands dienen. (Zu Handlungspflichten aus Unterlassungsgeboten siehe hier).

BGH, Urt. v. 19.11.2015, I ZR 109/14 – Hot Sox

Die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, ist mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig dahin auszulegen, dass sie nicht nur die Unterlassung derartiger Handlungen, sondern auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands umfasst.

BGH, Urt. v. 10.7.2014, I ZR 249/12, Tz. 30 - Nero

Mit der Zustellung der mit Ordnungsmittelandrohung versehenen Beschlussverfügung im Parteibetrieb hatten die Beklagten die Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung geschaffen. Der Schuldner muss bei einer solchen Sachlage damit rechnen, dass der Gläubiger jederzeit von der Vollstreckungsmöglichkeit Gebrauch macht und im Falle einer Zuwiderhandlung gegen die in der Beschlussverfügung ausgesprochene Unterlassungsverpflichtung die Festsetzung von Ordnungsmitteln beantragt. Bei einer solchen Sachlage ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Befolgung des Unterlassungsgebots nicht freiwillig, sondern zur Abwendung von Vollstreckungsmaßnahmen erfolgt (vgl. BGH, GRUR 2011, 364 Rn. 25 - Steroidbeladene Körner). Damit beugt der Schuldner sich einem Vollstreckungsdruck.

BGH, Urt. v. 30.7.2015, I ZR 250/12, Tz. 15 - Piadina-Rückruf

Ein nach § 945 ZPO zu ersetzender Schaden ist nicht entstanden, wenn der durch die Vollziehung einer ungerechtfertigt ergangenen einstweiligen Verfügung Betroffene ohnehin materiell-rechtlich - etwa wegen eines anderweitigen Verstoßes gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen - verpflichtet gewesen wäre, das ihm durch die einstweilige Verfügung untersagte Verhalten zu unterlassen. In einem solchen Fall entfällt zwar nicht die Kausalität zwischen der Vollziehung der einstweiligen Verfügung und der Einstellung des darin untersagten Verhaltens, für die es allein auf die reale Ursache des haftungsbegründenden Ereignisses ohne Berücksichtigung von Ersatzursachen ankommt. Ein Ersatz der durch Vollziehung einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung erlittenen Vermögenseinbuße scheidet aber aus normativen Gründen aus. Ein Betroffener soll im Wege des Schadensersatzes keine Kosten ersetzt bekommen, die ihm auch bei rechtskonformem Verhalten auf jeden Fall entstanden wären.

Ebenso BGH, Urt. v. 11.1.2018, I ZR 187/16, Tz. 62 - Ballerina Schuh; BGH, Urt. v. 19.11.2015, I ZR 109/14 – Hot Sox

BGH, Urt. v. 30.7.2015, I ZR 250/12, Tz. 38 - Piadina-Rückruf

Ein mitwirkendes Verschulden des Antragsgegners (§ 254 BGB) ist im Rahmen des Schadensersatzanspruchs aus § 945 ZPO zu berücksichtigen. Eine Minderung oder ein Ausschluss des Schadensersatzanspruchs kommt in Betracht, wenn ein schuldhaftes Verhalten des Antragsgegners dem Antragsteller Anlass zur Beantragung und Zustellung der einstweiligen Verfügung gegeben hat oder wenn der Antragsgegner nach Zustellung der einstweiligen Verfügung gegen seine Obliegenheit zur Abwendung oder Minderung des Schadens verstoßen hat.

BGH, Urt. v. 30.7.2015, I ZR 250/12, Tz. 44 - Piadina-Rückruf

Ein schuldhaftes Unterlassen im Sinne von § 254 BGB setzt nicht die Verletzung einer besonderen Rechtspflicht voraus, sondern es umfasst jeden Verstoß gegen Treu und Glauben, mithin ein Unterlassen derjenigen Maßnahmen, die ein vernünftiger und wirtschaftlich denkender Mensch nach Lage der Sache ergreifen würde, um Schaden von sich abzuwenden. Dabei ist jedoch die § 945 ZPO zugrundeliegende Interessenbewertung zu beachten, die darin besteht, dass die Vollstreckung aus einem noch nicht endgültigen Titel grundsätzlich im Risikobereich des Gläubigers liegt.

BGH, Urt. v. 30.7.2015, I ZR 250/12, Tz. 46 - Piadina-Rückruf

Derjenige, der einen wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch geltend machen will, muss sich selbst die für einen prozessualen Erfolg erforderliche Kenntnis der tatsächlichen Umstände verschaffen, aus denen er seinen Anspruch herleiten kann. Dies entspricht der von § 945 ZPO bezweckten Risikoverteilung, dass der Antragsteller, der eine einstweilige Verfügung vor der endgültigen Feststellung ihrer Berechtigung vollzieht, die Gefahr der sachlich-rechtlichen Unbegründetheit seines Rechtsschutzbegehrens wegen Unrichtigkeit der zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände trägt. Den Antragsgegner trifft daher grundsätzlich kein Mitverschulden, wenn der Antragsteller das beanstandete Verhalten vor der objektiven Klärung der Sach- und Rechtslage nicht hinnimmt und durch die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung unterbindet. Ebenso kann es dem Antragsgegner grundsätzlich nicht als Mitverschulden angelastet werden, nach Zugang einer Abmahnung dem Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht durch zeitnahes Vorbringen seiner Einwände entgegengewirkt zu haben.

BGH, Urt. v. 30.7.2015, I ZR 250/12, Tz. 47 - Piadina-Rückruf

Allerdings kommt ein Mitverschulden in Betracht, wenn der Antragsgegner eine sich aufdrängende Verteidigungsmöglichkeit unterlässt oder liquide Beweismittel zurückhält, aus denen sich das Fehlen des Verfügungsanspruchs ergibt.

BGH, Urt. v. 30.7.2015, I ZR 250/12, Tz. 43 - Piadina-Rückruf

Wer zu Unrecht abgemahnt wird, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, den Abmahnenden vor Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens über den wirklichen Sachverhalt aufzuklären.

BGH, Urt. v. 19.11.2015, I ZR 109/14 – Hot Sox

Der Beklagten als Schädigerin obliegt die Beweislast dafür, dass der von der Klägerin wegen des Warenrückrufs geltend gemachte Schaden infolge der vom Landgericht ... erlassenen einstweiligen Verfügung auch entstanden wäre, wenn die einstweilige Verfügung ... nicht ergangen wäre. Der Schädiger trägt die Beweislast dafür, dass der Schaden - in vollem Umfang - auch bei rechtmäßigem Verhalten eingetreten wäre.