Telekommunikationsrecht
BGH, Urt. v. 18.11.2021, I ZR 106/20, Tz. 23 – Kabel-TV-Anschluss
Bei § 43b Satz 1 und 2 TKG (a.F.; § 56 Abs. 1 TKG n.F.) handelt es sich um Regelungen, die im Sinne von § 3a UWG auch dazu bestimmt sind, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.
Ebenso OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.1.2022, 20 U 71/21, Tz. 46
OLG Düsseldorf, Urt. v. 31.1.2022, 20 U 71/21, Tz. 47 f
Unter „anfänglicher Mindestvertragslaufzeit“ iSd des § 56 Abs. 1 S. 1 TKG n.F. ist nicht nur die im Erstvertrag festgesetzte Mindestvertragslaufzeit zu verstehen, sondern jeglicher Vertragsschluss, der durch aktuelle Willenserklärung zustande kommt.
Dies ergibt sich aus der systematischen Auslegung vor dem Hintergrund von Sinn und Zweck der Regelung. Diese Vorschrift entspricht nach der Vorstellung des Gesetzgebers (BT-Drs. 17/5707 S. 65) der Vorschrift des § 309 Nr. 9 lit.a) BGB, jedoch mit der Besonderheit, dass sie auch für Individualvereinbarungen gilt. § 309 Nr. 9 lit. a) BGB bezieht sich jedoch auf sämtliche Verträge, die durch aktuelle Willenserklärungen zustande kommen. Die Regelung des § 309 Nr. 9 lit. b) BGB – auf die das Landgericht und das OLG Köln als Gegenstück abstellen – betrifft nur „automatische Vertragsverlängerungen“, also auf fingierte Vertragsschlüsse bzw. bereits bei Abschluss des Erstvertrags für den Fall des Schweigens des Kunden getroffene Vereinbarungen (vgl. in anderem Zusammenhang Wals NJW 2021, 2833 Rn. 16). Die Abgrenzung zwischen § 309 Nr. 9 lit. a) BGB einerseits und lit. b) andererseits hat dementsprechend nicht zwischen Erst- (dieser lit. a)) und Folgevertrag (dieser lit. b)), sondern zwischen durch aktuelle Willenserklärung zustande gekommene (lit. a)) und durch fiktive bzw. vorweggenommene Willenserklärung zustande gekommene (lit. b)) Verträge zu erfolgen. Die Regelungen unterscheiden je nach Schutzbedürftigkeit des Kunden, die bei fiktiven/vorweggenommenen Willenserklärungen größer ist als bei aktuellen Willenserklärungen. Die Auslegung des Landgerichts führt dazu, dass bei durch aktuelle Willenserklärungen zustande gekommenen Verlängerungsverträge weder lit. a) (kein Erstvertrag) noch lit. b) (keine fiktiven Erklärungen) gilt und sich dadurch eine Lücke auftut. In der Literatur finden sich jedoch keine Anhaltspunkte für eine derartige Lücke, geschweige denn, wie diese Lücke zu schließen wäre. Es ist auch – was das Landgericht selbst anspricht – kein Grund dafür ersichtlich, Erst- und Verlängerungsverträge unterschiedlich zu behandeln. § 309 Nr. 9 lit. a) soll den Kunden allgemein vor überlanger Vertragsbindung bewahren. Auch die Bemerkung von Wurmnest (in Münchener Kommentar, 8. Aufl., § 309 Nr. 9 Rn. 12), die Vorschrift „bezieh[e] sich auf die erste Laufzeit“ (ebenso Christensen, in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl., § 309 Nr. 9 BGB Rn. 13; Coester-Waltjen, in Staudinger, § 309 Nr. 9 Rn. 17: „Erstlaufzeit“) betrifft nicht die Frage, ob es sich um einen Erst- oder um einen Fortsetzungsvertrag handelt.
Auch der Wortlaut des § 43b S. 1 TKG a.F. spricht nicht dagegen (anders wohl ohne nähere Erörterung: Rugullis, in Säcker, TKG § 43b Rn. 4, Schadow, in Scheurle/Mayen, TKG, 3. Aufl., § 43b Rn. 3). Zwar ist dort – im Gegensatz zu § 309 Nr. 9 lit. a) BGB – von „anfängliche[r] Mindestvertragslaufzeit“ die Rede. Dies führt aber nicht zu einem anderen Auslegungsergebnis. Die Gesetzesbegründung (BT-DRs. 17/5707 S. 65) spricht eine Beschränkung auf Erstverträge nicht an. Der Begriff ist zudem vor dem Hintergrund der zugrundeliegenden Richtlinien auszulegen. § 43b S. 1 TKG a.F. diente der Umsetzung von Art. 30 Abs. 5 S. 1 RL 2002/22/EG i.d.F. von Art. 1 Nr. 21 RL 2009/136/EG. Soweit dort von „anfängliche Mindestvertragslaufzeiten“ die Rede ist, ist dies vor dem Hintergrund zu sehen, dass Verlängerungsklauseln typischerweise durch AGB vereinbart wurden, die bereits durch Anhang lit. h) RL 93/13/EWG reguliert wurden, während durch aktuelle Willenserklärungen zustande gekommene Laufzeitklauseln nicht reguliert wurden und insoweit unionsrechtlich weitergehender Regulierungsbedarf bestand. Auch insoweit ist nicht zwischen Erst- und Folgevertrag, sondern zwischen durch aktuelle Willenserklärungen zustande gekommene Vertrag einerseits und durch fiktive/vorweggenommene Willenserklärung zustande gekommenen Vertrag andererseits zu unterscheiden. Die Klausel wird in Erwägungsgrund 47 mit der Schaffung eines wettbewerbsorientierten Umfeldes gerechtfertigt, dem die Festlegung zumutbarer Mindestlaufzeiten in Verbraucherverträgen nicht entgegen stünden. Diese Begründung für die Einschränkung der Vertragsfreiheit gilt aber unabhängig davon, ob es sich um einen Erst- oder um einen Folgevertrag handelt. Soweit die Beklagte im Termin gemeint hat, bei einem bloßen Fortsetzungsbedarf sei der Verbraucher weniger schutzwürdig, weil er das Produkt bereits kenne, trifft dies für die vorliegenden Fallgestaltungen (vgl. oben unter 1.) nicht zu (durch den „Verlängerungsvertrag“ werden Produkt und Rate geändert); zudem trifft diese Erwägung nicht den Grund für die Beschränkung der Vertragsfreiheit, nämlich wettbewerbliche Gründe. Das Wort „anfänglich“ (im Englischen: „initial“) bezieht sich nicht auf den Vertragsschluss, sondern auf die Vertragslaufzeit.
Die Folgeregelung des Art. 105 RL (EU) 2018/1972 regelt dies klarer. Sie regelt in Abs. 1 UA 1 S. 1 die vereinbarte Mindestvertragslaufzeit und in Abs. 3 die Möglichkeit jederzeitiger und kurzfristiger Kündigungsmöglichkeit bei „automatischer Verlängerung“. Sie regelt nunmehr selbst den Fall stillschweigender Verlängerung. Das Wort „anfänglich“ ist in Abs. 1 UA 1 S. 1 nicht mehr enthalten. Als erhebliche Änderung wird dies nicht angesehen, da die Erwägungsgründe (259) darauf nicht eingehen. Von daher ist aus der fehlenden Erwähnung der Änderung in den Erwägungsgründen sowie dem Übersehen der Textänderung der Richtlinie bei der Umsetzung in § 56 TKG n.F. zu schlussfolgern, dass sich Wesentliches nicht geändert hat. Auch § 56 Abs. 1 TKG n.F. ist folglich im gleichen Sinne auszulegen.