Besondere rechtliche Prüfung
OLG Köln, Urt. v. 19.6.2020, 6 U 263/19, Tz. 58 ff - SmartLaw
Im Mittelpunkt der Begriffsdefinition der Rechtsdienstleistung steht das Erfordernis der besonderen rechtlichen Prüfung. Eine solche rechtliche Prüfung, die über die bloße Anwendung von Rechtsnormen auf einen Sachverhalt hinausgeht, muss entweder objektiv, nämlich nach der maßgeblichen Verkehrsanschauung, oder subjektiv, also aufgrund eines vom Rechtsuchenden zum Ausdruck gebrachten Wunsches, Bestandteil der Dienstleistung sein.
Damit scheiden zunächst alle Lebensvorgänge aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes aus, die ohne jede rechtliche Prüfung auskommen, weil sie nach Inhalt, Formen und Rechtsfolgen jedermann derart vertraut sind, dass sie nicht als „rechtliche“ Lebensvorgänge empfunden werden. Diese Geschäfte werden nicht allein dadurch zur Rechtsdienstleistung, dass ein Dritter mit ihrer Durchführung beauftragt wird.
Tätigkeiten, die objektiv nicht über die bloß schematische Anwendung des Rechts hinausgehen, also insbesondere alle Fälle bloßer Stellvertretung im Rechtsverkehr, fallen damit künftig nur in den Verbotsbereich des Gesetzes, wenn der Rechtsuchende eine besondere rechtliche Betreuung oder Aufklärung erkennbar erwartet. Allein die mit einem solchen Vertreterhandeln unvermeidlich verbundenen, möglicherweise weit reichenden rechtlichen Folgen machen die Tätigkeit dagegen nicht zu einer erlaubnispflichten Rechtsberatung.
An einer Rechtsdienstleistung … fehlt es darüber hinaus auch, wenn eine Handlung – wie letztlich jeder wirtschaftliche Vorgang – zwar die Kenntnis und Anwendung von Rechtsnormen erfordert, die Subsumtion unter juristische Begriffe und Tatbestände aber auch für juristische Laien so selbstverständlich ist, dass die Rechtsanwendung kein besonderes rechtliches Wissen voraussetzt. Erforderlich für die Anwendung des Gesetzes ist somit stets die Notwendigkeit eines spezifisch juristischen Subsumtionsvorgangs auf Seiten des Dienstleistenden. Dabei dient der im Entwurf verwendete Begriff der „besonderen“ Prüfung der Abgrenzung von einfacher Rechtsanwendung, die nicht den Beschränkungen des Gesetzes unterliegt, zu substanzieller Rechtsprüfung. Er soll verhindern, dass letztlich doch wieder jede Tätigkeit, die sich im Auffinden, der Lektüre, der Wiedergabe und der bloßen Anwendung von Rechtsnormen erschöpft, als Ergebnis einer vorausgegangenen „Rechtsprüfung“ und damit als Rechtsdienstleistung eingestuft wird.
Nicht Rechtsdienstleistung nach § 2 Abs. 1 ist deshalb etwa die bloße Mitwirkung bei einer Vertragskündigung durch formularmäßige Erklärungen, die nach geltendem Recht teilweise als erlaubnispflichtig angesehen wurde. So wird künftig etwa die bloße Kündigung eines Energieversorgungsvertrages und die Vertretung beim Abschluss eines neuen Standardvertrages durch einen Energieberater nicht als Rechtsdienstleistung im Sinn des RDG anzusehen sein, so dass es insoweit nicht darauf ankommt, in welchem Umfang Tätigkeiten von Energieberatern nach § 5 zulässig sind.
Die Grenze von der allgemeinen Dienstleistung zur Rechtsdienstleistung ist auch im Bereich des so genannten Schadenmanagements, also der Abwicklung von Verkehrsunfallschäden für den Unfallgeschädigten, stets dort zu ziehen, wo eine besondere rechtliche Prüfung erforderlich wird. Dies ist, wenn die Unfallschadenregulierung von der Ermittlung von Haftungs- oder Mitverschuldensquoten abhängen kann, stets der Fall. Deshalb sind insoweit nur allgemeine Auskünfte darüber, dass die Erstattungsfähigkeit des Schadens von der Haftungslage abhängt und aufgrund Mitverschuldens oder der von dem Fahrzeug des unfallbeteiligten Kunden ausgehenden Betriebsgefahr eingeschränkt sein kann, zulässig.
OLG Köln, Urt. v. 19.6.2020, 6 U 263/19, Tz. 71 - SmartLaw
Im Ergebnis liegt damit eine besondere Rechtsprüfung nach der Systematik des RDG nicht etwa erst dann vor, wenn eine Tätigkeit das gesamte Kenntnisspektrum der Rechtsanwältin oder des Rechtsanwalts erfordert. Jede spezifische Einzelfrage, deren Beantwortung eine juristische Subsumtion und besondere Rechtskenntnisse – wenn auch nur in einem kleinen Teilbereich – erfordert, enthält eine solche Rechtsprüfung, die den Anwendungsbereich des RDG eröffnet. … Ob diese Tätigkeit, sofern es sich um eine Rechtsdienstleistung handelt, zulässig ist, entscheidet sich sodann bei der Prüfung der Erlaubnistatbestände, vor allem also nach § 5, der zentralen Erlaubnisnorm über zulässige Rechtsdienstleistungen im Zusammenhang mit einer anderen Tätigkeit. Erst hier soll künftig zu prüfen sein, ob die rechtliche Tätigkeit insgesamt untergeordnet und als Nebenleistung zulässig ist, oder ob sie die Tätigkeit insgesamt prägt mit der Folge, dass sie grundsätzlich Anwälten vorbehalten bleibt.
OLG Köln, Urt. v. 19.6.2020, 6 U 263/19, Tz. 86 f - SmartLaw
Der Begriff der Rechtsdienstleistung in § 2 Abs. 1 RGD erfasst nach der Formulierung des BGH jede konkrete Subsumtion eines Sachverhaltes unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen, die über eine bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinausgeht, unabhängig ob es sich dabei um eine einfache oder schwierige Rechtsfrage handelt. Die rechtliche Prüfung des Einzelfalles werde auch nicht dadurch überflüssig, dass ein aus standardisierten und massenhaft verwendeten Textbausteinen zusammengesetztes Musterschreiben für einen konkreten Fall angepasst werde.
OLG Hamburg, Urt. v. 23.11.2023, 5 U 25/23, Tz. 69
Das bloße Bestreiten einer eigenen Subsumtion ist ... unerheblich. Es geht darum, ob eine rechtliche Prüfung des Einzelfalles, wie hier, jedenfalls objektiv erforderlich ist.
Dass es für eine Rechtsdienstleistung keiner besonderen Prüfungstiefe bedarf, besagt nicht, dass allein schon die Komplexität einer schematischen Anwendung das Tatbestandsmerkmal einer „rechtlichen Prüfung“ erfüllt.
Im Einzelfall
BGH, Urt. v. 4.11.2010, I ZR 118/09, Tz. 31 – Rechtsberatung durch Lebensmittelchemiker
Eine Einzelfallprüfung ist erforderlich, wenn die Rechtsdienstleistung die Beurteilung konkreter Umstände des Einzelfalls erforderlich macht.
OLG Koblenz, Urt. v. 4.12.2019, 9 U 1067/19, Tz. 41
Unter die Rechtsdienstleistungen im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG fällt jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Dies erfasst jede konkrete Subsumtion eines Sachverhalts unter die maßgeblichen rechtlichen Bestimmungen, die über eine bloß schematische Anwendung von Rechtsnormen ohne weitere rechtliche Prüfung hinausgeht (vgl. BGH, NJW 2016, 3441, 3443, Rdnr. 23 - Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur). Ob es sich um eine einfache oder schwierige Rechtsfrage handelt, ist unerheblich (vgl. BGH, a.a.O.).
OLG Köln, Urt. v. 19.6.2020, 6 U 263/19, Tz. 71 - SmartLaw
Das … Tatbestandsmerkmal der Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls dient der verfassungsrechtlich gebotenen Einengung des Begriffs der Rechtsdienstleistung (vgl. dazu Allgemeine Begründung, I.1). Eine Rechtsdienstleistung liegt nicht vor, wenn zwar eine vertiefte Auseinandersetzung mit rechtlichen Fragestellungen stattfindet, diese sich jedoch nicht auf einen konkreten Einzelfall bezieht. Allgemeine, an die Öffentlichkeit oder einen interessierten Kreis gerichtete rechtliche Informationen stellen damit keine Rechtsdienstleistung dar, selbst wenn sie einen konkreten Fall als Beispiel heranziehen. Auch eine allgemein gehaltene, auf den nicht überprüften Angaben des Nachfragenden beruhende Rechtsauskunft an eine interessierte Einzelperson ist nicht Rechtsdienstleistung. Dies kann etwa die Auskunft eines Mietervereins gegenüber einem Nichtmitglied oder die Beantwortung rechtlicher Fragen im Rahmen einer Ratgebersendung im Fernsehen betreffen, für die klarstellend überdies § 2 Abs. 3 Nr. 5 gilt.
OLG Hamm, Urt. v. 3.3.2015, I-4 U 54/14, B.II.1.c
Die Anmeldung von gewerblichen Schutzrechten erfordert eine vertiefte Rechtsprüfung, die über eine einfache oder schematische Rechtsanwendung hinausgeht. Jedenfalls ist nach der Verkehrsanschauung insoweit eine besondere rechtliche Prüfung erforderlich. Das folgt bereits aus der gesetzlichen Wertung in § 3 Abs. 2 Nr. 1 der Patentanwaltsordnung (PAO). Danach hat der Patentanwalt die berufliche Aufgabe, in Angelegenheiten der Erlangung, Aufrechterhaltung, Verteidigung und Anfechtung eines Patents, eines ergänzenden Schutzzertifikats, eines Gebrauchsmusters, eines eingetragenen Designs, des Schutzes einer Topographie, einer Marke oder eines anderen nach dem Markengesetz geschützten Kennzeichens (gewerbliche Schutzrechte) oder eines Sortenschutzrechts andere zu beraten und Dritten gegenüber zu vertreten.
... Der Umstand, dass eine im Inland ansässige Person die Anmeldung eines gewerblichen Schutzrechts grundsätzlich selbst vornehmen kann (vgl. § 25 PatG; § 28 GebrMG; § 96 MarkenG und Art. 133 Abs. 1 und Abs. 2 EPÜ), besagt nicht, dass die Vornahme der Anmeldung durch Dritte keine Rechtsdienstleistung im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes darstellt.
Bestätigt durch BGH, Urt. v. 31.3.2016, I ZR 88/15, Tz. 32 - Rechtsberatung durch Entwicklungsingenieur
OLG Hamm, Urt. v. 3.3.2015, I-4 U 54/14, B.II.2
Ebenso wie für die Durchsetzung von Ansprüchen ist für die Abwehr von Ansprüchen regelmäßig eine Rechtsprüfung erforderlich. Das gilt auch für die Beantwortung von Abmahnschreiben (Deckenbrock/Henssler, RDG, 4. Aufl. 2015, § 2 Rn. 56 m. w. N.).
Zu einem Mietpreisrechner:
BGH, Urt. v. 27.11.2019, VIII ZR 285/18, Tz. 151 f
Der Mietpreisrechner … bietet dem Mieter lediglich die (softwarebasierte) Möglichkeit, mittels der Eingabe bestimmter Wohnungsdaten - rein rechnerisch und unverbindlich - die ortsübliche Vergleichsmiete nach dem Mietspiegel für eine den Angaben entsprechende Wohnung zu ermitteln.
Mit dieser Möglichkeit, die ... in vergleichbarer Weise beispielsweise auch seitens der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen auf deren Internetseite zur Verfügung gestellt wird, eröffnet die Klägerin ... dem Mieter lediglich eine erste - überschlägige und vorläufige - Einschätzung, ob ein Verstoß gegen die Vorschriften über die Begrenzung der Miethöhe ... in seinem Fall überhaupt in Betracht kommen kann. ... Die notwendigen Informationen für eine solche Einschätzung könnte sich der Mieter zudem - anders als bei Rechtsfragen - ohne Zuhilfenahme elektronischer Unterstützung auf "analogem" Wege, wie etwa durch Einsichtnahme in den Mietspiegel, selbst verschaffen.
Zu einem Löschungsanspruch einer Google-Rezension
OLG Hamburg, Urt. v. 23.11.2023, 5 U 25/23, Tz. 70 f
Das von der Antragsgegnerin angebotene Vorgehen hinsichtlich der Löschung negativer Bewertungen auf G. und weiteren Plattformen setzt schon grundsätzlich eine Einzelfallprüfung im Sinne des § 2 Abs. 1 RDG voraus. Nicht nur bedarf die Feststellung, ob eine rechtsverletzende Bewertung vorliegt, regelmäßig einer vertieften juristischen Prüfung, sondern auch die Ausarbeitung eines an den Plattformbetreiber gerichteten Beanstandungsschreiben. Anders kann der Inhalt eines Schreibens regelhaft nicht sinnvoll formuliert werden. Auch bei der Bestimmung und Auswahl geeigneter Methoden, eine Löschung zu bewirken, handelt es sich um eine Rechtsdurchsetzung, die eine Prüfung des Einzelfalls voraussetzt.
... . Eine schematische bloße Rechtsanwendung scheidet ... bereits aus, wenn ... jedenfalls zuvor eine tiefer gehende Einarbeitung in das Rechtsgebiet notwendig war. Darüber hinaus ist auch bei Kenntnis des Rechts stets eine gedankliche Prüfung in Form einer Subsumtion der tatsächlichen Konstellation unter dieses Recht erforderlich.
In erkennbarer Erwartung des Rechtssuchenden
OLG Köln, Urt. v. 19.6.2020, 6 U 263/19, Tz. 76 - SmartLaw
In den Fällen, in denen die Erteilung eines Rats oder die Besorgung eines Geschäfts objektiv, also nach der Verkehrsanschauung, keine besondere rechtliche Prüfung erfordert, kann nach der Begriffsdefinition in § 2 Abs. 1 gleichwohl eine Rechtsdienstleistung vorliegen, wenn der Auftraggeber zu erkennen gibt, dass er die rechtlichen Auswirkungen eines Geschäfts nicht überblickt und er den Dritten gerade mit dem Ziel einschaltet, den Vorgang von ihm unter Anwendung der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften prüfen oder sich über die rechtlichen Folgen des Rechtsgeschäfts aufklären zu lassen.
Das Tatbestandsmerkmal erweitert daher den Anwendungsbereich des RDG im Interesse und zugunsten der Rechtsuchenden in den Fällen, in denen bei einer typisierenden, objektiven Betrachtung eine besondere rechtliche Prüfung nicht erforderlich und üblich wäre.