Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

 

 

(8) Biozidprodukte

Zur Biozid-Verordnung siehe auch hier

Art. 72 Biozid-VO

EuGH, Urt. v. 19.1.2023, C‑147/21, Tz. 67 - CIHEF

Art. 72 der Verordnung Nr. 528/2012 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die die Anbringung eines Hinweises – zusätzlich zu dem in diesem Artikel vorgesehenen – auf der an Fachleute gerichteten Werbung für Biozidprodukte der Produktarten 2 und 4 sowie der Produktarten 14 und 18 vorschreibt.

EuGH, Urt. v. 19.1.2023, C‑147/21, Tz. 84 - CIHEF

Art. 72 der Verordnung Nr. 528/2012 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die an die breite Öffentlichkeit gerichtete Werbung für Biozidprodukte der Produktarten 2 und 4 sowie der Produktarten 14 und 18 verbietet. Dies gilt auch für die Art. 34 und 36 AEUV, wenn diese Regelung durch die Ziele des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen sowie der Umwelt gerechtfertigt ist, die Erreichung dieser Ziele zu gewährleisten geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO

EuGH, Urt. v. 19.1.2023, C‑147/21, Tz. 62 f - CIHEF

In Art. 72 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012 heißt es, dass jede Werbung die Verordnung Nr. 1272/2008 einhalten und einen genauen Hinweis enthalten muss, der sich von der eigentlichen Werbung deutlich abheben und gut lesbar sein muss. Dieser Hinweis lautet: „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen“. Nach Abs. 2 dieses Artikels darf in der Werbung das Wort „Biozidprodukte“ in dem Hinweis durch den eindeutigen Verweis auf die beworbene Produktart ersetzt werden. Gemäß Abs. 3 des Artikels darf in der Werbung für Biozidprodukte das Produkt nicht in einer Art und Weise dargestellt werden, die hinsichtlich der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder seiner Wirksamkeit irreführend ist, und Angaben wie „Biozidprodukt mit niedrigem Risikopotenzial“, „ungiftig“ oder „umweltfreundlich“ sind verboten.

Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber mit Art. 72 der Verordnung Nr. 528/2012 die Formulierung der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken in der Werbung für diese Erzeugnisse eingehend und umfassend regeln wollte, da dieser Artikel einen obligatorischen Hinweis vorsieht, ausdrücklich bestimmte Angaben verbietet und ganz allgemein darauf abzielt, jede hinsichtlich der Risiken solcher Erzeugnisse irreführende Werbeaussage zu verbieten.

Art. 72 Art. 3 Biozid-VO

EuGH, Urt. v. 20.6.2024, C-296/23, Tz. 43 – Zentrale/dm-drogerie markt

Der Unionsgesetzgeber wollte mit Art. 72 Abs. 3 Satz 2 der Verordnung Nr. 528/2012 die Formulierung der Angaben über die mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken in der Werbung für diese Erzeugnisse eingehend und umfassend regeln, da dieser Artikel einen obligatorischen Hinweis vorsieht, ausdrücklich bestimmte Angaben verbietet und ganz allgemein darauf abzielt, jede hinsichtlich der Risiken solcher Erzeugnisse irreführende Werbeaussage zu verbieten (Urteil vom 19. Januar 2023, CIHEF u. a., C‑147/21, EU:C:2023:31, Rn. 63).

EuGH, Urt. v. 20.6.2024, C-296/23, Tz. 39 – Zentrale/dm-drogerie markt

Sowohl ein allgemeiner als auch ein spezifischer Hinweis hinsichtlich der mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken kann offensichtlich irreführend sein, indem er die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlost oder diese Risiken sogar negiert, so dass ein solcher allgemeiner Charakter für die Feststellung, ob ein Hinweis, der sich auf ein Biozidprodukt bezieht, unter den Begriff „ähnliche Hinweise“ im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 dieser Verordnung fällt, nicht von Belang sein kann.

EuGH, Urt. v. 20.6.2024, C-296/23, Tz. 44 ff – Zentrale/dm-drogerie markt

Hinweise, die die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit weder verharmlosen noch ausschließen, fallen grundsätzlich nicht unter das in Art. 72 Abs. 3 dieser Verordnung vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte.

Dagegen kann es nicht erlaubt sein, Werbeaussagen für Biozidprodukte zu verwenden, die sich auf das Fehlen von Risiken oder ein geringes Risiko oder auf bestimmte positive Wirkungen dieser Produkte beziehen, um diese Risiken zu verharmlosen oder sie sogar zu negieren. Solche Angaben können eine übermäßige, nachlässige oder fehlerhafte Verwendung dieser Produkte fördern, was dem Ziel zuwiderläuft, ihren Einsatz zu minimieren.

In Bezug auf die in der Werbung für das betreffende Biozidprodukt verwendete Angabe „hautfreundlich“ genügt der Hinweis, dass eine solche Angabe, die auf den ersten Blick eine positive Konnotation hat und die Erwähnung jeglicher Risiken vermeidet, geeignet ist, die schädlichen Nebenwirkungen dieses Produkts zu relativieren, oder … anzudeuten, dass dieses Produkt für die Haut sogar von Nutzen sein könnte. Eine solche Angabe ist irreführend im Sinne von Art. 72 Abs. 3 der Verordnung Nr. 528/2012, so dass das Verbot ihrer Verwendung in der Werbung für dieses Produkt gerechtfertigt ist.

Im Anschluss daran

BGH, Urt. v. 10.10.2024, I ZR 108/22, Tz. 16, 19 – Hautfreundliches Desinfektionsmittel II

Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG. ...

Die Vorschrift des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist dazu bestimmt, das Marktverhalten der Unternehmer im Interesse der Verbraucher zu regeln. Das Ziel der Biozidverordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 ist es, das Funktionieren des Binnenmarkts durch die Harmonisierung der Vorschriften für die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten bei gleichzeitiger Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu verbessern. Die Bestimmungen der Verordnung beruhen auf dem Vorsorgeprinzip, mit dem der Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie der Umwelt sichergestellt werden soll (Art. 1 Abs. 1 Satz 2 Biozid-VO). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO enthält Regelungen zur Werbung für Biozidprodukte, mit denen Verharmlosungen der Risiken des Produkts für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt oder seiner Wirksamkeit unterbunden werden sollen (vgl. BeckOK.UWG/Niebel/Kerl, 25. Edition [Stand 1. Juli 2024], § 3a Rn. 195 mwN). Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO regelt mithin das Verhalten der Unternehmer betreffend die Werbung für Biozidprodukte zum Schutz der Gesundheit und damit im Interesse der Verbraucher.

BGH, Urt. v. 10.10.2024, I ZR 108/22, Tz. 27 ff – Hautfreundliches Desinfektionsmittel II

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO dahin auszulegen, dass der Begriff "ähnliche Hinweise" im Sinne dieser Bestimmung jeden Hinweis in der Werbung für Biozidprodukte umfasst, der - wie die in dieser Bestimmung genannten Angaben - diese Produkte in einer Art und Weise darstellt, die hinsichtlich der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder ihrer Wirksamkeit irreführend ist, indem er diese Risiken verharmlost oder sogar negiert, ohne jedoch zwingend allgemeinen Charakter zu haben (EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 48] - dm-Drogerie Markt).

]

Aus dem Wortlaut von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ergibt sich, dass die Gemeinsamkeit der in dieser Bestimmung aufgezählten Angaben darin besteht, dass sie die Risiken von Biozidprodukten für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlosen oder diese Risiken sogar negieren, ohne jedoch einen zwingenden allgemeinen Charakter zu haben (EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 33] - dm-Drogerie Markt).

Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO schafft unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs eine allgemeine Regelung für die Werbung für Biozidprodukte, die sich auf die Reaktion der Verbraucher auf die Wahrnehmung der Risiken dieser Produkte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt stützt und unabhängig von den tatsächlichen Risiken und Eigenschaften dieser Produkte gilt. Die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der "ähnlichen Hinweise" stellen Beispiele für Angaben dar, die hinsichtlich dieser Risiken offensichtlich irreführend sind und für die daher das in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte gilt (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 37 f.] - dm-Drogerie Markt). Den in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der "ähnlichen Hinweise" liegt damit eine abstrakte Irreführungsgefahr zugrunde, die das Verbot entsprechender Werbeaussagen rechtfertigt. Auf eine konkrete Irreführung im Einzelfall kommt es nicht an.

Dabei kann sowohl ein allgemeiner als auch ein spezifischer Hinweis hinsichtlich der mit der Verwendung von Biozidprodukten verbundenen Risiken offensichtlich irreführend sein, indem er die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit verharmlost oder diese Risiken sogar negiert, so dass ein allgemeiner Charakter für die Feststellung, ob ein Hinweis, der sich auf ein Biozidprodukt bezieht, unter den Begriff "ähnliche Hinweise" im Sinne von Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO fällt, nicht von Belang sein kann (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 39] - dm-Drogerie Markt).

Unter Berücksichtigung des Ziels der Biozidverordnung fallen Hinweise, die die Risiken dieser Biozidprodukte für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder für die Umwelt oder hinsichtlich ihrer Wirksamkeit weder verharmlosen noch ausschließen, grundsätzlich nicht unter das in Art. 72 Abs. 3 Biozid-VO vorgesehene Verbot der Verwendung in der Werbung für Biozidprodukte. Dagegen kann es nicht erlaubt sein, Werbeaussagen für Biozidprodukte zu verwenden, die sich auf das Fehlen von Risiken oder ein geringes Risiko oder auf bestimmte positive Wirkungen dieser Produkte beziehen, um diese Risiken zu verharmlosen oder sie sogar zu negieren. Solche Angaben können eine übermäßige, nachlässige oder fehlerhafte Verwendung dieser Produkte fördern, was dem Ziel zuwiderläuft, ihren Einsatz zu minimieren (vgl. EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 44 f.] - dm-Drogerie Markt).

BGH, Urt. v. 10.10.2024, I ZR 108/22, Tz. 32 – Hautfreundliches Desinfektionsmittel II

Nach diesen Maßstäben unterliegt die von der Klägerin beanstandete Angabe "Hautfreundlich" als "ähnlicher Hinweis" dem Verbot des Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO. Die Angabe hebt eine positive Eigenschaft des beworbenen Desinfektionsmittels hervor und ist dadurch geeignet, die Risiken des Biozidprodukts zu verharmlosen. Die Betonung der positiven Eigenschaft kann zudem in Widerspruch zu dem von der Biozidverordnung verfolgten Ziel, den Einsatz von Biozidprodukten zu minimieren, zu einer übermäßigen Verwendung des Desinfektionsmittels führen (vgl. auch EuGH, GRUR 2024, 1226 [juris Rn. 46] - dm-Drogerie Markt). Da die in Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO genannten Angaben einschließlich der "ähnlichen Hinweise" eine abstrakte Irreführungsgefahr begründen, bedarf es keiner tatgerichtlichen Feststellungen zu einer konkreten Irreführung durch die streitgegenständliche Angabe.

Unter Aufhebung von OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.6.2022, 6 U 95/21, Tz. 44

Beispiele

OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.6.2022, 6 U 95/21, Tz. 56

Die Angabe „ökologisch“ in der in der hier angegriffenen Bezeichnung „Ökologisches Universal-Breitband Desinfektionsmittel“ ist nach der genannten Vorschrift unzulässig.

OLG Karlsruhe, Urt. v. 8.6.2022, 6 U 95/21, Tz. 62

Die Angabe „Bio“ für ein Desinfektionsmittel ist ... unzulässig.

OLG Köln, Hinweisbeschl. gern. § 522 II ZPO v. 25.01.2022, 6 U 180/21 (MD 2023, 326)

Nach Art. 72 Abs. 3 BiozidVO darf für ein Biozid nicht in einer Weise geworben werden, die hinsichtlich der Risiken irreführend ist. Die Werbung darf danach auf keinen Fall die Angaben „ungiftig" oder „unschädlich" oder ähnliche Hinweise enthalten.

OLG Köln, Hinweisbeschl. gern. § 522 II ZPO v. 25.01.2022, 6 U 180/21 (MD 2023, 326)

Die Bezeichnung „keine giftigen Rückstände" ist gleichzusetzen mit dem beispielhaft aufgeführten Begriff „ungiftig". Die Bezeichnung „keine ätzenden Rückstände" ist gleichzusetzen mit dem beispielhaft aufgeführten Begriff „unschädlich".

OLG Köln, Hinweisbeschl. gern. § 522 II ZPO v. 25.01.2022, 6 U 180/21 (MD 2023, 326)

Die Bezeichnung „Schleimhäute werden nicht angegriffen" ist gleichzusetzen mit dem beispielhaft aufgeführten Begriff „unschädlich". Die Werbung mit einer Unschädlichkeit des Produkts für die Schleimhäute ist in jedem Fall verboten, unabhängig von der Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Aussage.

BGH, Urt. v. 10.10.2024, I ZR 108/22, Tz. 20 – Hautfreundliches Desinfektionsmittel II

Ein Verstoß gegen Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO ist geeignet, die Interessen von Verbrauchern im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Verstöße gegen Marktverhaltensregelungen, die den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken, ohne weiteres geeignet, die Interessen der Verbraucher im Sinne von § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Beschl. v. 24.3.2016, I ZR 243/14, Tz. 11 - Bio-Gewürze I, mwN). Bei Art. 72 Abs. 3 Satz 2 Biozid-VO handelt es sich um eine solche, (auch) dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienende Marktverhaltensregelung.