Wissenschaft
Der angesprochene Verkehr wird die Unternehmenskennzeichnung der Beklagten als „Wissenschaftlicher Dienst für Familienfragen“ … dahin verstehen, dass die Beklagte auf dem Gebiet der Familienfragen beratend auf wissenschaftlicher Grundlage tätig werde.
Ähnlich dem Begriff „Forschung“ (vgl. hierzu BGH, GRUR 2000, 1084, 1086 – Unternehmenskennzeichnung) besteht auch hinsichtlich des Begriffs der Wissenschaft für sich im Verkehrsverständnis keine festgefügte Qualitätsvorstellung. Vielmehr wird der Verkehr erwarten, dass die Beklagte ein breites Leistungsangebot auf dem Gebiet der … anbiete und in der Lage sei, wissenschaftlich fundiert, also in wie auch immer gearteter wissenschaftlicher, mithin auf geordnete Erkenntnisgewinnung gerichteter Weise in ihrem Fachgebiet durch zumindest einen Hochschulabschluss in diesem Gebiet verfügende Personen, eine Vielfalt von verschiedenen …fragen der potentiellen Kunden zu bearbeiten. Durch die Geschäftsbezeichnung kann insbesondere der Eindruck insinuiert werden, der Unternehmensinhaber verfüge über eine besondere Fähigkeit zu eigenständigem wissenschaftlichem Arbeiten. … Nichts Anderes gilt bei der Bezeichnung als „Wissenschaftlicher Dienst“. Eine publizierende Tätigkeit erwartet der Verkehr indes nicht, vielmehr kann sich die Tätigkeit aus Sicht des Verkehrs auch auf eine rein beratende oder gutachterliche Tätigkeit beschränken.
Wissenschaftliche Studie
Wer mit dem Ergebnis einer wissenschaftlichen Untersuchung wirbt, behauptet damit, dass die Studie nach anerkannten Regeln der Wissenschaft erstellt wurde.
Auch außerhalb des Bereichs der gesundheitsbezogenen Werbung ist anerkannt, dass eine Werbung irreführend und folglich unlauter ist, die sich auf wissenschaftliche Behauptungen stützt, wenn diese Aussage unrichtige Vorstellungen hervorruft, etwa durch Irreführung über Person oder wissenschaftlichen Ruf des Gutachters oder wenn dem wissenschaftlichen Rang der Aussage ein ihr nicht zukommendes Gewicht beigelegt wird, indem beispielsweise gewichtige abweichende Ansichten unerörtert bleiben. Auch insoweit ist daher eine Irreführung zumindest anzunehmen, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können, oder wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen, oder wenn nicht offengelegt wird, dass eine Studie nicht nach den anerkannten Regeln und Grundsätzen wissenschaftlicher Forschung durchgeführt und ausgewertet wurden, oder wenn der unzutreffende Eindruck entsteht, eine Studie sei unabhängig durchgeführt worden.
Wer behauptet oder insinuiert, dass eine wissenschaftliche Untersuchung einer bestimmten Norm entspreche, behauptet damit, dass die Studie streng nach Norm durchgeführt wurde.
OLG Hamburg, Urt. v. 26.2.2015, 3 U 104/13, II.3.b
Die ISO 15197:2003 macht in Ziff. 7.3.1.2. Vorgaben dazu, wie die Messgenauigkeit von Blutzuckermessgeräten zu testen ist. Wenn nun Angaben dazu gemacht werden sollen, ob ein bestimmtes Gerät die ISO-Vorgaben einhält oder nicht, kann dies - uneingeschränkt – nur auf der Basis von Untersuchungen geschehen, bei denen die Vorgaben der ISO 15197:2003 zum Prüfungsaufbau vollumfänglich eingehalten wurden. Werden in einer wissenschaftlichen Studie Angaben dazu gemacht, welche Blutzuckermessgeräte die Messgenauigkeitsanforderungen der ISO 15197:2003 erfüllen und welche nicht, geht der Verkehr davon aus, dass diese Geräte im Rahmen der Studie nach den von der ISO 15197:2003 vorgegebenen Maßgaben getestet worden sind.
OLG Hamburg, Urt. v. 29.1.2015, 3 U 81/14
Maßgebliche Teile des angesprochenen Fachverkehrs (Apotheker und Apothekenpersonal) gehen davon aus, dass die streitgegenständliche Angabe zur Wirksamkeit des Nagelsets auf der Grundlage gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse, insbesondere durch eine klinische Studie getroffen worden ist. Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin ergibt sich aus der Fundstelle “*Quelle: AWB: H.-J. Tietz, N. Becker, Bifonazol in der Selbstmedikation bei Nagelmykosen, PZ 42/07, 152:30 - 36“, nicht hinreichend deutlich, dass die Werbeangabe lediglich auf eine apothekenbasierte Anwendungsbeobachtung gestützt ist.
Der angesprochene Verkehr wird der Aussage, nach Studienlage seien rund 75 % der familienpsychologischen Gutachten mangelhaft und somit anfechtbar, … entnehmen, dass eine „Studienlage“ bestehe, also eine unbestimmte Mehrheit von Studien ein solches Ergebnis aufweise. Obgleich der Terminus „Studienlage“ für sich allgemein gehalten ist, wird der Verkehr den Begriff „Studie“, zumal im Kontext der Erstellung von (Privat-)Gutachten und für sich in Anspruch genommener (fach)psychologischer Expertise, als wissenschaftliche Studie verstehen, die mithin mit Blick auf Methodik, Darstellung und Veröffentlichung allgemeinen wissenschaftlichen Standards genügt und, da „familienpsychologische Gutachten“ generell, und mithin alle und nicht nur eine bestimmte untersuchte Kohorte in Bezug genommen werden, den wissenschaftlichen Grundsätzen genügt, die eine repräsentative Aussage über den Gesamtbestand erlauben.
Darlegungs- und beweisbelastet für die Richtigkeit einer für sich in Anspruch genommenen wissenschaftlichen Behauptung eines Dritten ist der Werbende, der in einem derartigen Fall dadurch, dass er eine solche Aussage trifft, die Verantwortung für ihre Richtigkeit übernimmt.
Unveröffentlichte Studien
Die Werbung für medizinische Produkte unter Bezugnahme auf eine unveröffentlichte Studie ist irreführend und unzulässig, wenn nicht ausdrücklich und eindeutig auf die fehlende Veröffentlichung hingewiesen wird. Eine Studie, die in einer Fachzeitschrift veröffentlicht worden ist, hat im Regelfall nicht nur vor der Veröffentlichung einen Peer-Review-Prozess durchlaufen, sondern stellt sich durch die Veröffentlichung auch der wissenschaftlichen Diskussion. Sie hat daher ein höheres Maß an fachlicher Überzeugungskraft als eine Studie, die nicht veröffentlicht worden ist, selbst wenn sie in Einzelfällen an Interessierte herausgegeben wird.