6. in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise
7. Verleitung zur Selbstdiagnose
Nennung bekannter Symptome bekannter Krankheiten
8. Konkrete Gesundheitsgefährdung erforderlich?
Gesetzestext
Außerhalb der Fachkreise darf für Arzneimittel, Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel nicht geworben werden
3. mit der Wiedergabe von Krankengeschichten sowie mit Hinweisen darauf, wenn diese in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgt oder durch eine ausführliche Beschreibung oder Darstellung zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten kann
Richtlinienkonformität
Art. 90 lit. i), j) und k) Richtlinie 2001/83/EG
Die Öffentlichkeitswerbung für ein Arzneimittel darf keine Elemente enthalten, die
i) durch eine ausführliche Beschreibung oder Darstellung der Anamnese zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten könnten
j) sich in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise auf Genesungsbescheinigungen beziehen;
k) in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise bildliche Darstellungen der Veränderungen des menschlichen Körpers aufgrund von Krankheiten oder Schädigungen oder der Wirkung eines Arzneimittels im menschlichen Körper oder in Körperteilen verwenden
Ob § 11 Abs. 1 Nr. 3 HWG in der aktuellen Fassung mit den Vorgaben der Richtlinien im Einklang steht, bleibt abzuwarten. Die europarechtlichen Vorgaben sind abschließend und müssen im nationalen Recht berücksichtigt werden. Trotzdem hat der deutsche Gesetzgeber eine abweichende Formulierung gewählt, die richtlinienkonform ausgelegt werden muss.
Historie
Das Verbot aus § 11 Abs. 1 Nr. 3 HWG in der bis zum 25.10.2012 geltenden Fassung war erheblich weiter gefasst als die aktuelle Norm. Früher war es in der Publikumswerbung verboten, für Heilmittel zu werben
mit der Wiedergabe von Krankengeschichten sowie mit Hinweisen darauf
Zu § 11 Abs. 1 Nr. 3 HWG (a.F.) gab es kein ausreichend konkretes Korrelat in der Richtlinie 2001/83/EG. Da die Richtlinie eine abschließende Regelung für die Arzneimittelwerbung enthält, musste § 11 Abs. 1 Nr. 3 HWG richtlinienkonform eingeschränkt ausgelegt werden.
Krankengeschichte
Der Begriff der Krankengeschichte wird in der Richtlinie 2001/83/EG nicht verwendet. Dort finden sich die Wendungen "ausführliche Beschreibung oder Darstellung der Anamnese" oder "bildliche Darstellungen der Veränderungen des menschlichen Körpers aufgrund von Krankheiten oder Schädigungen", mit denen durchaus auch eine Geschichte erzählt werden könnte oder der Begriff der "Genesungsbescheinigung", die ebenfalls als Hinweis auf eine Krankengeschichte verstanden werden kann. Das Tatbestandsmerkmal Krankengeschichte ist richtlinienkonform auszulegen.
In § § 11 Abs. 1 Nr. 3 HWG (a.F.) bezeichnete der Begriff der Krankengeschichte zunächst die patientenbezogenen Aufzeichnungen des behandelnden Arztes. Die Vorschrift erfasst darüber hinaus aber auch jede weitere Beschreibung des Verlaufs einer Krankheit bei einer konkreten, nicht notwendig namentlich benannten Person.
BGH, Urt. v. 19.12.1980, I ZR 157/78, II. 2 - 56 Pfund abgenommen (= GRUR 1981, 435)
Auch nicht fachmedizinisch, sondern journalistisch aufgemachte Krankengeschichten sind regelmäßig geeignet, die mit der Vorschrift mißbilligten Wirkungen zu erzielen, so daß sie, zumal der Wortlaut der Vorschrift dies nicht ausschließt, ebenfalls als Krankengeschichte im Sinne des § 11 Nr 3 HWG zu beurteilen sind.
Unter den Begriff der Krankengeschichte fallen aber keine allgemeinen Darstellungen des Verlaufs einer Krankheit, die keinen Bezug zum Krankheitsverlauf einer konkreten Person haben.
Wiedergabe und Hinweise
Die Wiedergabe einer Krankengeschichte erfolgt durch die direkte - ggfs. nur auszugsweise - Darstellung eines Krankheitsverlaufs. Hinweise auf eine Krankheitsgeschichte unterscheiden sich davon dadurch, dass die Krankheitsgeschichte nicht - u.U. nur auszugsweise - wörtlich wiedergegeben wird, sondern nur darauf hingewiesen wird.
in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise
Die Werbung mit Krankengeschichten oder Hinweisen darauf ist seit der HWG-Reform 2012 nicht mehr per se verboten, sondern nur, wenn sie in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgt (oder durch eine ausführliche Beschreibung oder Darstellung zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten kann). Diese Einschränkung geht zurück auf lit. j) und k) des Art. 90 die Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel.
Zu diesem Tatbestandsmerkmal führte der EuGH aus:
EuGH, Urt. v. 8.11.2007, C-374/05, Tz. 46 f - Gintec
Eine Werbung für ein Arzneimittel mit einer „Genesungsbescheinigungen“ ist nur unzulässig, wenn der Hinweis darauf in missbräuchlicher, abstoßender oder irreführender Weise erfolgt (Art. 90 Buchst. j der Richtlinie 2001/83).
Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn die heilenden Wirkungen dieser Arzneimittel übertrieben dargestellt würden, so dass zu ihrem Verbrauch angeregt werden könnte, oder so, dass Angst vor den Folgen ihrer Nichtverwendung geweckt werden könnte, oder auch, wenn ihnen Merkmale zugesprochen würden, die sie nicht besitzen, und der Verbraucher dadurch in Bezug auf ihre Wirkweise und ihre therapeutischen Wirkungen in die Irre geführt würde. Nach Art. 87 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 muss gewährleistet sein, dass alle Elemente der Arzneimittelwerbung mit den Angaben in der Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels vereinbar sind.
In irreführender Weise
Im Bereich des Gesundheitswesens werden besonders strenge Anforderungen an den Wahrheitsgehalt von Angaben gestellt. Das beginnt damit, dass das Quorum der Personen, die einer Irreführungsgefahr unterliegen könnten, bevor von einer relevanten Irreführung ausgegangen werden kann, relativ gering sein muss (dazu siehe hier). Außerdem gelten besondere Darlegungs- und Beweislastregeln mit der Folge, dass es in der Regel am Werbenden ist nachzuweisen, dass seine Aussagen wahr sind, wobei wiederum ein strenger Wahrheitsmaßstab gilt (dazu siehe hier).
§ 11 Abs. 1 Nr. 3 HWG ist hinsichtlich der Werbung mit Krankheitsgeschichten oder Hinweisen darauf, soweit sie in irreführender Weise erfolgen, gegenüber § 3 Abs. 1 S. 1 HWG redundant. Deshalb ist in jedem Einzelfall, in dem die Verbotsnorm erfüllt wird, auch ein Verstoß gegen die Generalklausel irreführender Heilmittelwerbung in § 3 Abs. 1 S.1 HWG sowie gegen § 5 Abs. 1 Nr. 1 UWG gegeben.
In abstoßender Weise
Es ist noch offen, was unter einer Darstellung 'in abstoßender Weise' zu verstehen ist. Reese (WRP 2013, 283, 286) versteht darunter im Himblick auf den Wortlaut der entsprechenden Bestimmung des Art. 90 lit. j) der Richtlinie 2001/83/EG in anderen Sprachfassungen (engl. 'alarming', span. 'alarmante', franz. 'effrayante') eine Darstellung, die “angsterregend”, “beängstigend” oder “besorgniserregend” wirkt. Die Verbotsvariante stelle darauf ab, dass die Wiedergabe von Krankengeschichten keine Angstgefühle hervorrufen und diese ihrerseits nicht für eine unsachgemäße Selbstmedikation instrumentalisiert werden dürfe. Dies sei insbesondere der Fall, wenn die Wiedergabe der Krankengeschichten den Werbeadressaten suggeriere, dass sich ohne eine Behandlung vergleichbar schwere Folgen auch bei ihnen einstellen würden. Dem wird man folgen können.
Zu einer Herpes-Abbildung führte das OLG Hamburg aus:
OLG Hamburg, Urt. v. 10.4.2008, 3 U 182/07, II.4.b
Es geht um eine Öffentlichkeitswerbung für ein Arzneimittel, und zwar mit der bildlichen Darstellung einer Hautveränderung aufgrund von Lippenherpes. Der TV‐Spot der Antragsgegnerin zeichnet von der an Lippenherpes erkrankten, abgebildeten Frau kein abstoßendes Bild. Das Lippenbläschen wirkt nur klein und leicht gerötet. Von einer Dramatisierung oder Übertreibung in der bildlichen Darstellung, auch in Korrespondenz zu dem gesprochenen Text, kann keine Rede sein, sie ist auch sonst nicht missbräuchlich.
Zu einer 'erträglichen' Abbildungen vor einer Kieferoperation siehe OLG Celle, Urt. v. 30.5.2013, 13 U 160/12, II.2.c.
In missbräuchlicher Weise
Zu einer Darstellung in missbräucjhlicher Weise liegt noch keine Rechtsprechung vor. Der Vergleich des Art. 90 lit. j) der Richtlinie 2001/83/EG in verschiednen Spachfassungen der Verordnung hilft wenig weiter. Die Varianten reichen von 'improper' im englischen bis 'abusive' (franz.) oder 'abusiva' (span.), was dem deutschen missbräuchlich entspricht. Reese (WRP 2013, 283, 286) plädiert für eine Verständnis im Sinne eines engen Missbrauchsbegriff. missbräuchlich ansehen müssen, Ein Missbrauch liege vor, wenn die Darstellung in übertriebener oder nicht ausgewogener Weise erfolge und hierdurch die konkrete Gefahr einer unsachgemäßen Selbstmedikation hervorgerufen wird. In diesem Falle dürfte die Werbung aber auch irreführend sein.
Verleitung zur Selbstdiagnose
Die Werbung mit Krankengeschichten oder Hinweisen darauf ist seit der HWG-Reform 2012 nicht mehr per se verboten, sondern nur, wenn sie u.a. durch eine ausführliche Beschreibung oder Darstellung zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten kann. In der Richtlinie 2001/83/EG heißt es in Art. 90 lit. i), dass die Öffentlichkeitswerbung für ein Arzneimittel keine Elemente enthalten dürfe, die durch eine ausführliche Beschreibung oder Darstellung der Anamnese zu einer falschen Selbstdiagnose verleiten könnten. Nähere Anhaltspunkte, was damit konkreter gemeint ist, ergeben sich aus der Richtlinie nicht.
In der Sache geht es darum, dass der Adressat der Arzneimittelwerbung durch die Darstellung einer Krankengeschichte oder Hinweise auf eine Krankengeschichte nicht zu der Annahme verleitet werden darf, dass er selber von derselben oder einer ähnlichen Krankheit betroffen ist, ohne zuvor ärztlichen Rat einzuholen. Um ihn zu dieser Annahme zu veranlassen, reicht nicht jeder Hinweis auf eine Krankengeschichte. Die Darstellung muss so ausführlich sein, dass jedenfalls ansatzweise eine Selbstdiagnose möglich ist. An die Ausführlichkeit der Darstellung dürfen aber keine zu strengen Anforderungen gestellt werden. Dafür spricht die Verwendung des Potentialis ('könnten') in der Richtlinie, der auch in anderen Sprachfassungen verwendet wird ('could', 'pourrait', 'pueda').
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Nennung bekannter Symptome bekannter Krankheiten
BGH; Urt. v. 6.5.2004, I ZR 265/01, II.1.b, c. aa, bb – Lebertrankapseln
Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass eine zulässige Publikumswerbung nach § 4 Abs. 1 Nr. 4 HWG die Mitteilung enthalten muss, für welche Anwendungsgebiete die Therapieempfehlung ausgesprochen wird. Wenn die Anwendungsgebiete Krankheiten erfassen, deren Symptome dem durchschnittlichen Werbeadressaten ohne weiteres geläufig sind, ist es mit § 11 Abs. 1 Nr. 10 HWG grundsätzlich vereinbar, dass die Symptome in der Werbung zur Verdeutlichung nochmals genannt werden. Denn die Angabe der Symptome leitet unter dieser Voraussetzung grundsätzlich nicht zur Selbsterkennung der Krankheiten an. Eine unzulässige Diagnoseanleitung liegt in solchen Fällen daher regelmäßig nur dann vor, wenn beim Publikum zumindest eine Unsicherheit darüber besteht, worin sich die mit dem beworbenen Arzneimittel zu therapierende Krankheit äußert, und die Werbung in dieser Hinsicht durch Schilderung der typischen Symptome zusätzliche Hinweise enthält.
Eine abweichende Beurteilung ist allerdings dann geboten, wenn die bekannten Symptome einer bekannten Krankheit auch auf eine andere, nicht in diesem Maße bekannte Erkrankung hinweisen können. In einem solchen Fall ist eine relevante mittelbare Gesundheitsgefährdung zu bejahen, wenn die Werbung geeignet ist, beim durchschnittlichen Adressaten den Eindruck zu erwecken, dass die dort geschilderten Symptome allein auf die Krankheit hinweisen, deren Bekämpfung das beworbene Arzneimittel dient.
Konkrete Gesundheitsgefährdung erforderlich?
Für § 11 Abs. 1 Nr. 4 HWG (a.F.) und § 11 Abs. 10 Nr. 4 HWG (a.F.) hat der BGH in der Vergangenheit gefordert, dass ein Verstoß eine konkrete, jedenfalls mittelbare Gesundheitsgefährdung voraussetze, da die Verbotsnormen in die Berufungsfreiheit des Werbenden eingreife und das Verbot deshalb mit dem Grundrecht aus Art. 12 GG abgewogen werden müsse BGH, Urt. v. 1.3.2007, I ZR 51/04 - Krankenhauswerbung; BGH, Urt. v. 6.5.2004, I ZR 265/01 – Lebertrankapseln; s.a. BVerfG, Beschl. v. 7.8.2000, 1 BvR 254/99).
Zuletzt hat der BGH offen gelassen, ob auf deutsches Verfassungsrecht überhaupt zurückgegriffen werden könne, soweit die gesetzliche Regelung auf einer verbindlichen europäischen Vorgabe beruhe. Maßgeblich dürften tatsächlich die europäischen Grundrechte sein (BGH, Urt. v. 28.9.2011, I ZR 96/10, Tz. 38 ff – INJECTIO).
In derselben Entscheidung hat der BGH auch ausgeführt, dass es nicht bei jedem Verbotstatbestands des HWG einer Prüfung bedürfe, ob dadurch eine konkrete Gesundheitsgefährdung eintrete. Diese Frage stellt sich zwar nicht mehr im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG, d.h. bei Arzneimitteln, jedoch bei den übrigen Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel, für die Richtlinie nicht gilt und alleine deutsches Recht maßgeblich ist.
Es bleibt somit Aufgabe der Rechtsprechung herauszuarbeiten, in welchen Fällen eines Werbeverbots für Verfahren, Behandlungen, Gegenstände oder andere Mittel eine konkrete Gesundheitsgefährdung erforderlich ist.
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Zitiervorschlag zur aktuellen Seite
Omsels, Online-Kommentar zum UWG: