4. Meinungs- und Informationsfreiheit
6. Kollektive Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten
7. Schutz berechtigter Interessen
Gesetzestext
§ 5 Ausnahmen
Die Erlangung, die Nutzung oder die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses fällt nicht unter die Verbote des § 4, wenn dies zum Schutz eines berechtigten Interesses erfolgt, insbesondere
1. zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien;
2. zur Aufdeckung einer rechtswidrigen Handlung oder eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens, wenn die Erlangung, Nutzung oder Offenlegung geeignet ist, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen;
3. im Rahmen der Offenlegung durch Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmervertretung, wenn dies erforderlich ist, damit die Arbeitnehmervertretung ihre Aufgaben erfüllen kann.
Die Vorschrift des § 5 war im Regierungsentwurf noch mit Rechtfertigungsgründe überschrieben. In der finalen Fassung wählte der Gesetzgeber den Begriff „Ausnahmen“. Dies spricht dafür, dass beim Vorliegen einer Ausnahme bereits der objektive Tatbestand eines Geheimnisverrats nicht gegeben ist.
Richtlinie
Artikel 5 Richtlinie (EU) Nr. 2016/943
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass ein Antrag auf die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe abgelehnt wird, wenn der angebliche Erwerb oder die angebliche Nutzung oder Offenlegung des Geschäftsgeheimnisses in einem der folgenden Fälle erfolgt ist:
a) zur Ausübung des Rechts der freien Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit gemäß der Charta, einschließlich der Achtung der Freiheit und der Pluralität der Medien;
b) zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit, sofern der Antragsgegner in der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen;
c) Offenlegung durch Arbeitnehmer gegenüber ihren Vertretern im Rahmen der rechtmäßigen Erfüllung der Aufgaben dieser Vertreter gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht, sofern die Offenlegung zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlich war;
d) zum Schutz eines durch das Unionsrecht oder das nationale Recht anerkannten legitimen Interesses.
Art. 5 der Richtlinie (EU) Nr. 2016/943 enthält einen Katalog von Rechtfertigungsgründen und umschreibt Umstände, unter denen ein Nach Art. 4 rechtwidriger Erwerb oder eine nach Art. 4 rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses erlaubt ist.
Grundsatz
Eine „Ausnahme“ liegt vor, wenn derjenige, der die Information erwirbt, offenlegt oder nutzt, ein „berechtigtes Interesse“ wahrnimmt. Nrn. 1-3 von § fünf benennen nur Beispiele, in denen ein berechtigtes Interesse vorliegt.
Meinungs- und Informationsfreiheit
Art. 5 lit. a verweist auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Dort heißt es in Art. 11:
Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit
(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben.
(2) Die Freiheit der Medien und ihre Pluralität werden geachtet.
In Erwägungsgrund 9 heißt es dazu, dass die Ausübung des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit nicht eingeschränkt werden soll, wobei insbesondere der investigative Journalismus und der Schutz der journalistischen Quellen herausgestellt wird.
Nach der Gesetzesbegründung soll die Regelung dem Schutz der Freiheit und der Pluralität der Medien dienen, insbesondere die journalistische Quelle als auch den investigativ tätigen Journalisten vor Beeinträchtigung schützen. Praktische Bedeutung kann dies insbesondere dann haben, wenn der Journalist seine Information aus einer rechtswidrigen Quelle erlangt und dabei der Tatbestand der mittelbaren Verletzung erfüllt wäre (Büscher/McGuire, UWG, § 5 GeschGehG, Rn. 15).
Whistleblowing
Erwerb, Nutzung und Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses sind zulässig, wenn sie zur Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit dienen und die Person in der Absicht gehandelt hat, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen.
In Erwägungsgrund 10 heißt es dazu:
Die in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe sollten nicht dazu dienen, Whistleblowing-Aktivitäten einzuschränken. Daher sollte sich der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht auf Fälle erstrecken, in denen die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses insoweit dem öffentlichen Interesse dient, als ein regelwidriges Verhalten, ein Fehlverhalten oder eine illegale Tätigkeit von unmittelbarer Relevanz aufgedeckt wird. Das sollte nicht so verstanden werden, dass die zuständigen Gerichte daran gehindert seien, Ausnahmen von der Anwendung der Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe in den Fällen zuzulassen, in denen der Antragsgegner allen Grund hatte, in gutem Glauben davon auszugehen, dass sein Verhalten den in dieser Richtlinie festgelegten angemessenen Kriterien entspricht.
Diesem Erwägungsgrund lässt sich entnehmen, dass es für den Ausnahmetatbestand auf subjektive und objektive Kriterien ankommt. Es reicht einerseits nicht aus, dass der Handelnde persönlich glaubt, dass das Geschäftsgeheimnis die allgemeine Öffentlichkeit interessieren sollte. Er muss 'allen Grund' zu dieser Annahme haben, sie muss also von einem objektiven Standpunkt aus gerechtfertigt sein. Es reicht ebenso wenig aus, dass das Fehlverhalten oder die illegale Tätigkeit partikulare Interessen einzelner berührt oder gar nur im eigenen Interesse erfolgt (siehe dazu OGH, Urt. v. 25.10.2016, 4 Ob 165/16t). Dem Handelnden muss es darum gehen, ein Verhalten offen zu legen, dass die Allgemeinheit angeht. Das ist der Fall, wenn der Hinweis in der Absicht erfolgte, eine Veränderung anzustoßen. Die Handlung darf nicht primär als Druckmittel oder zwecks Rache eingesetzt werden.
Mit dem beruflichen Fehlverhalten sind berufsständische Normen, beispielsweise die Rechtsanwaltsordnung angesprochen. Zum sonstigen Fehlverhalten gehört unethische Verhaltensweisen oder Verstöße gegen einen Verhaltenskodex. Unethisch ist beispielsweise, was nach den Maßstäben im Inland rechtswidrig, am ausländischen Handlungsort aber rechtmäßig ist (Kinderarbeit, Umweltsünden, Tierquälerei, Nutzung von Steuerschlupflöchern) (Büscher/McGuire, UWG, § 5 GeschGehG, Rn. 19).
Die praktische Bedeutung der Ausnahmebestimmung ist voraussichtlich gering. Denn Informationen über illegale Tätigkeiten und sonstiges Fehlverhalten genügen in aller Regel schon nicht den Anforderungen an ein Geschäftsgeheimnis. Die Ausnahmebestimmung erlangt aber Bedeutung, wenn anlässlich des Erwerbs, der Nutzung oder Offenlegung der Information zusätzlich auch ein Geschäftsgeheimnis erlangt, genutzt oder offengelegt wird (Büscher/McGuire, UWG, § 5 GeschGehG, Rn. 20 ff).
Kollektive Wahrnehmung von Arbeitnehmerrechten
Nach Art. 5 lit. c ist die Offenlegung eines Geschäftsgeheimnisses durch Arbeitnehmer gegenüber ihren Vertretern im Rahmen der rechtmäßigen Erfüllung der Aufgaben dieser Vertreter gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht erlaubt, sofern die Offenlegung zur Erfüllung dieser Aufgaben erforderlich war.
Hierzu heißt es in Erwägungsgrund 18:
Ferner sollten Erwerb, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen immer dann, wenn sie rechtlich vorgeschrieben oder zulässig sind, als rechtmäßig im Sinne dieser Richtlinie gelten. Das betrifft insbesondere den Erwerb und die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen der Inanspruchnahme des Rechts der Arbeitnehmervertreter auf Information, Anhörung und Mitwirkung gemäß dem Unionsrecht und dem Recht oder den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten sowie im Rahmen der kollektiven Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber einschließlich der Mitbestimmung und den Erwerb oder die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen im Rahmen von Pflichtprüfungen, die gemäß dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht durchgeführt werden. Allerdings sollte diese Einstufung des Erwerbs eines Geschäftsgeheimnisses als rechtmäßig die Geheimhaltungspflicht in Bezug auf das Geschäftsgeheimnis oder jegliche Beschränkung der Nutzung des Geschäftsgeheimnisses, die Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten dem Empfänger der Information auferlegen, unberührt lassen. Insbesondere sollte diese Richtlinie die Behörden nicht von ihrer Pflicht zur Geheimhaltung von Informationen, die ihnen von Inhabern von Geschäftsgeheimnissen übermittelt werden, entbinden, und zwar unabhängig davon, ob diese Pflichten in Rechtsvorschriften der Union oder der Mitgliedstaaten festgelegt sind. Diese Geheimhaltungspflicht umfasst unter anderem die Pflichten im Zusammenhang mit Informationen, die öffentlichen Auftraggebern im Rahmen der Vergabe öffentlicher Aufträge übermittelt werden, wie sie beispielsweise in der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates festgelegt sind.
Auf § 5 Nr. 3 GeschGehG können sich nur Angehörige der Arbeitnehmervertretung berufen, die im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Interessenvertreter ein Geschäftsgeheimnis erlangen, nutzen oder offenlegen, um ihre Aufgaben zu erfüllen. Die Mitbestimmungsrechte sollen durch den Geheimnisschutz nicht unterlaufen werden (Büscher/McGuire, UWG, § 5 GeschGehG, Rn. 26).
Schutz berechtigter Interessen
Das GeschGehG schreibt von berechtigten Interessen, die Richtlinie von legitimen Interessen. Erfasst wird jedes von der Rechtsordnung gebilligtes Interesse wirtschaftlicher oder ideeller Art. Berechtigte Interessen können dem eigenen oder dem Interesse der Allgemeinheit dienen (Büscher/McGuire UWG, § 5 GeschGehG, Rn. 12). Nach der Gesetzesbegründung soll anhand einer Abwägung der Interessen von Geheimnisinhaber und Täter festgestellt werden, wessen Interesse überwiegt. Eine Abgrenzung zum Verhältnismäßigkeitsgebot des § 9 GeschGehG ist noch offen.
Zu § 17 UWG
BGH, Urt. v. 22.3.2018, I ZR 118/16, Tz. 46 - Hohlfasermembranspinnanlage II
Ein ausgeschiedener Mitarbeiter darf die während der Beschäftigungszeit erworbenen Kenntnisse auch später unbeschränkt verwenden, wenn er keinem Wettbewerbsverbot unterliegt und sich dies nur auf Informationen bezieht, die der frühere Mitarbeiter in seinem Gedächtnis bewahrt.
Die Berechtigung, erworbene Kenntnisse nach Beendigung des Dienstverhältnisses auch zum Nachteil des früheren Dienstherrn einzusetzen, bezieht sich dagegen nicht auf Informationen, die dem ausgeschiedenen Mitarbeiter nur deswegen noch bekannt sind, weil er auf schriftliche Unterlagen zurückgreifen kann, die er während der Beschäftigungszeit angefertigt hat. Ein ausscheidender Mitarbeiter ist nicht berechtigt, sein erlangtes Wissen durch die Mitnahme oder Entwendung von Konstruktionsunterlagen aufzufrischen, zu sichern und als in diesen Unterlagen verkörpertes Know-how für eigene Zwecke zu bewahren und weiterzuverwenden. Liegen dem ausgeschiedenen Mitarbeiter derartige schriftliche Unterlagen - beispielsweise in Form privater Aufzeichnungen oder in Form einer auf dem privaten Notebook abgespeicherten Datei - vor und entnimmt er ihnen ein Geschäfts- oder Betriebsgeheimnis seines früheren Arbeitgebers, verschafft er sich damit dieses Geheimnis unbefugt im Sinne von § 17 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Ein solcher Makel verliert nicht schon deshalb an wettbewerbsrechtlicher Bedeutung, weil der Beklagte in der Lage ist, solche Geräte oder Geräteteile selbst zu entwickeln.