Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

 

 

g) Verhältnis zu anderen nationalen Bestimmungen

1. Vorrang anderer Richtinien im Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG

2. Inhalt des Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG

3. Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG

4. Zeitliche Reichweite des Art. 3 Abs. 5 UGP-Richtlinie

5. Konsequenzen aus Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG

6. Sonstiges

Vorrang anderer Richtinien im Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG

Nationale, z.B. deutsche Vorschriften, die auf einer anderen Richtlinie als der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken beruhen, gehen den Regelungen der UGP-Richtlinie in deren Anwendungsbereich vor.

Art. 3 Abs. 4 UGP-Richtlinie

Kollidieren die Bestimmungen dieser Richtlinie mit anderen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln, so gehen die Letzteren vor und sind für diese besonderen Aspekte maßgebend.

Ab dem 13. Juni 2013 ist aber Art. 3 Abs. 5 S. 1 der UGP-Richtlinie in der Fassung bis zum Inkraftreten der Richtlinie (EU) 2161/2019 (Omnibus-Richtlinie) zu beachten, der wegen zeitlicher Erldigung mittlerweile aufgehoben wurde:

Art. 3 Abs.5 S. 1 UGP-Richtlinie (a.F.)

Die Mitgliedstaaten können für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007 in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beibehalten, die restriktiver oder strenger sind als diese Richtlinie und zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten.

BGH, Versäumnisurt. v. 19.5.2022, I ZR 69/21, Tz. 40 - Grundpreisangabe im Internet

Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2005/29/EG betrifft allein das Verhältnis unionsrechtlicher Vorschriften zueinander. Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG aF regelt dagegen das Verhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht.

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Inhalt des Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG

Nach Art. 3 Abs. 5 UGP-Richtlinie können die Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007, also bis zum 12. Juni 2013

  • in dem durch diese Richtlinie angeglichenen Bereich

nationale Vorschriften beibehalten,

  • die restriktiver oder strenger sind als diese Richtlinie und
  • zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden und
  • die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten.

Fraglich ist, worauf sich das Relativpronomen hinter dem letzten ‚und‘ bezieht, auf die ‚nationalen Vorschriften‘ oder auf die ‚Richtlinien‘. Sprachlich läge ein Bezug auf nationale Vorschriften näher, inhaltlich macht dieser Bezug aber keinen Sinn, weil nicht die nationalen Vorschriften Klauseln über eine Mindestangleichung von Richtlinien enthalten, sondern einzelne Richtlinien. Diese Auslegung wird durch die Fassung der UGP-Richtlinie in anderen Sprachen untermauert:

Englisch

For a period of six years from 12 June 2007, Member States shall be able to continue to apply national provisions within the field approximated by this Directive

  • which are more restrictive or prescriptive than this Directive and
  • which implement directives containing minimum harmonisation clauses.

Französisch

Pendant une période de six ans à compter du 12 juin 2007, les États membres ont la faculté de continuer à appliquer des dispositions nationales dont la présente directive opère le rapprochement,

  • plus restrictives ou plus rigoureuses que la présente directive et
  • qui mettent en œuvre des directives incluant des clauses d'harmonisation minimale.

Spanisch

Durante un período de seis años a partir del 12 de junio de 2007, los Estados miembros podrán seguir aplicando, dentro del ámbito objeto de la aproximación que realiza la Directiva,

  • disposiciones nacionales más exigentes o más restrictivas que las que ésta contiene y
  • que tengan por objeto la aplicación de las Directivas que contienen cláusulas mínimas de armonización

Aus Art. 3 Abs. 5 S. 1 UGP-Richtlinie folgt mithin, dass nationale Vorschriften im Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie ab dem 13. Juni 2013 nicht mehr angewendet werden dürfen, die auf eine europäische Richtlinie zurückgehen und über den Mindeststandard hinausgehen, der den Mitgliedsstaaten der EU in der Richtlinie vorgegeben wurde. Der in einzelnen Richtlinien vorgegebene Mindeststandard wird damit zum national erlaubten Höchststandard. Im Übrigen bleibt es aber beim Vorrang der Regelungen in diesen speziellen Richtlinien, wie sich aus Art. 3 Abs. 4 UGP-Richtlinie ergibt.

BGH, Versäumnisurt. v. 19.5.2022, I ZR 69/21, Tz. 36 - Grundpreisangabe im Internet

Dieser Grundsatz der Vollharmonisierung wurde durch die Öffnungsklausel in Art. 3 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2005/29/EG in der bis zum 6. Januar 2020 geltenden Fassung (aF) modifiziert. Danach konnten die Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von sechs Jahren ab dem 12. Juni 2007 in dem durch die Richtlinie 2005/29/EG angeglichenen Bereich nationale Vorschriften beibehalten, die restriktiver oder strenger waren als die Richtlinie und zur Umsetzung von Richtlinien erlassen worden waren, die Klauseln über eine Mindestangleichung enthalten. Mit der am 7. Januar 2020 in Kraft getretenen Richtlinie (EU) 2019/2161 zur Änderung der Richtlinien 93/13/EWG, 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union wurde diese bereits zum 12. Juni 2013 ausgelaufene Öffnungsklausel durch eine neue - Haustürwerbung und Kaffeefahrten betreffende - Öffnungsklausel ersetzt (vgl. Art. 3 Nr. 2 der Richtlinie [EU] 2019/2161). Diese Neuregelung ändert aber nichts daran, dass nach dem 12. Juni 2013 in dem durch die Richtlinie 2005/29/EG angeglichenen Bereich ein Verstoß gegen nationale Vorschriften, die zur Umsetzung mindestharmonisierender Richtlinien erlassen wurden und die restriktiver oder strenger als die Richtlinie 2005/29/EG sind, wettbewerbsrechtlich nicht sanktioniert werden kann, sofern keine andere (sachliche) Öffnungsklausel greift.

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Anwendungsbereich der Richtlinie 2005/29/EG

Zum personellen Anwendungsbereich siehe hier, zum sachlichen Anwendungsbereich hier.

Von der Regelung des Art. 3 Abs. 5 UGP-Richtlinie nicht betroffen sind die Bereiche, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, also das Vertragsrecht (Art. 3 Abs. 2), Rechtsvorschriften in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten (Art. 3 Abs. 3) sowie Niederlassungs- oder Genehmigungsbedingungen, berufsständischen Verhaltenskodizes oder andere spezifische Regeln für reglementierte Berufe (Art. 3 Abs. 8). Eine weitere Ausnahme gilt nach Art. 3 Abs. 9 für Finanzdienstleistungen.

Welche nationalen Vorschriften von der Regelung im einzelnen betroffen sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Köhler rechnet in WRP 2013, 723 ff eine ganze Reihe von Vorschriften der Preisangabenverordnung dazu. Darauf wird im Rahmen der Kommentierung der einzelnen Bestimmungen der Preisangabenverordnung im Einzelnen eingegangen. Zur generellen Problematik bei der Preisangabenverordnung siehe hier.

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Zeitliche Reichweite des Art. 3 Abs. 5 UGP-Richtlinie

Es ist unklar, ob Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nur für Richtlinien gilt, die vor dem Erlass der UGP-Richtlinie bereits erlassen worden waren, oder ob die Vorschrift auch für Richtlinien gilt, die nach der UGP-Richtlinie erlassen wurden. Köhler neigt dazu, Art. 3 Abs. 5 auch auf spätere Richtlinien zu beziehen, weil der Schutzzweck der Regelung darin bestehe, die auf Grund von Mindestangleichungsklauseln möglichen unterschiedlichen Standards des Verbraucherschutzes in den einzelnen Mitgliedstaaten zu beseitigen und ein einheitliches Verbraucherschutzniveau im Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie herzustellen (Köhler WRP 2013, 723 gegen Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, Vorb PAngV Rn. 12).

Diese Überlegung ist zwar zutreffend. Der Schutzzweck einer älteren Richtlinie kann den Richtliniengeber aber nicht daran hindern, zu einem späteren Zeitpunkt Richtlinien zu erlassen, die dem Mitgliedsstaat in deren Anwendungsbereich strengere nationale Vorschriften erlauben.

Aktuell sind von dieser Problematik inbesondere zwei Richtlinien im Anwendungsbereich der UGP-Richtlinie betroffen. Die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ist vom 11. Mai 2005, die Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 12. Dezember 2006 und die Richtlinie 2011/83/EU über die Rechte der Verbraucher sogar erst vom 25. Oktober 2011. Die Dienstleistungs-Richtlinie enthält in Art. 22 Bestimmungen zu Preisangaben, erlaubt in Art. 22 Abs. 5 aber strengere nationale Vorschriften; die Verbraucher-Richtlinie enthält in Art. 5 und 6 ebenfalls Regelungen zu Preisangaben, erlaubt in Art. 5 Abs. 4 und Art. 6 Abs. 8 aber genauso strengere nationale Bestimmungen. Diese Regelungen würden keinen Sinn machen, wenn ihnen über den älteren Art. 5 der UGP-Richtlinie der Boden entzogen werden würde - bei der Verbraucher-Richtlinie sogar noch bevor sie überhaupt in nationales Recht umgesetzt werden muss.

Der BGH musste sich bislang noch nicht festlegen:

BGH, Urt. v. 14.1.2016, I ZR 61/14, Tz. 25 - Wir helfen im Trauerfall

Es kann offenbleiben, ob Art. 3 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2005/29/EG nationale Vorschriften wie § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV erfasst, die Mindestangleichungsklauseln in Richtlinien umsetzen, die - wie die Dienstleistungsrichtlinie - erst nach Inkrafttreten der Richtlinie 2005/29/EG erlassen worden sind (dafür Köhler, WRP 2013, 723, 724; ders. in Köhler/Bornkamm aaO Vorb PAngV Rn. 16a; Goldberg, WRP 2013, 1561, 1562; dagegen Omsels, WRP 2013, 1286 ff.; Kolb, Auswirkungen und Zusammenspiel der Übergangsklausel und des Spezialitätsgrundsatzes der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken am Beispiel der Preisangabenverordnung, Diss. Bayreuth 2015, S. 12 ff.).

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Konsequenzen aus Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG

Es ist im Einzelnen noch unklar, wie mit einem Konflikt zwischen dem europäischen Recht und den nationalen Vorschriften umzugehen ist. Wenn es sich um nationale Vorschriften handelt, die nicht im UWG stehen, ist die wettbewerbsrechtliche Verbotsnorm jeweils § 3a UWG in Verbindung mit der nationalen Vorschrift. In diesem Falle müssen zwei Konstellationen auseinandergehalten werden:

  1. Die nationale Vorschrift findet gar keine Grundlage mehr in einer europäischen Richtlinie. Dann begründet ein Verstoß gegen die Bestimmung keinen Verstoß gegen § 3a UWG, weil nämlich nur Verstöße unter die Vorschrift fallen, die eine Grundlage im europäischen Recht haben (vgl. KG Berlin, Beschl. v. 21.9.2012, 5 W 204/12, Tz. 7 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 31.5.2012, I ZR 45/11, Tz. 47 - Missbräuchliche Vertragsstrafe). Siehe auch BGH, Urt. v. 14.1.2016, I ZR 61/14, Tz. 13 - Wir helfen im Trauerfall.
  2. Die nationale Bestimmung findet eine Grundlage im europäischen Recht, geht aber über die europäische Mindestvorgabe hinaus. In diesem Falle gilt:
    1. Wenn die nationale Vorschift sich richtlinienkonform auslegen und auf die Vorgabe des europäischen Rechts reduzieren lässt, muss sie richtlinienkonform ausgelegt werden (BVerfG, Beschl. v. 26.9.2011, 2 BvR 2216/06, Tz. 47 ff).
    2. Wenn die nationale Vorschrift sich nicht richtlinienkonform auslegen lässt, weil Wortlaut, Sinn und Zweck sowie der objektive Wille des Gesetzgebers dagegen sprechen, darf das Verhalten nicht mehr als unlauter gemäß § 3 Abs. 1 UWG gewertet werden, weil nicht unlauter und unzulässig sein kann, was europarechtlich eigentlich erlaubt ist (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 10.4.2008, 3 U 182/07, B.II.).
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      Sonstiges

      Die Situation, dass das nationale deutsche Recht Handlungen verbot, die nach zwingendem europäischen Recht nicht verboten waren, gab es unlängst noch im Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83/EG zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, die eine abschließende Regelung zur Werbung für Humanarzneimittel enthält. Das deutsche Heilmittelwerbegesetz enthielt nämlich bis zum 26.10.2012 Werbeverbote, die in der Richtlinie 2001/83/EG keine Grundlage fanden.

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