Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

Textilleder

OLG Hamm, Urt. v. 8.3.2012, I-4 U 174/11, Tz. 34 - Textilleder

Jedenfalls ein nicht unerheblicher Teil der maßgeblichen angesprochenen Verkehrskreise nimmt an, dass es sich bei der Beschreibung der Polstermöbel mit der Verwendung der Bezeichnung "Textilleder" um ein Produkt handelt, dass ganz oder jedenfalls teilweise aus Leder besteht oder bei dem jedenfalls Leder der Ausgangsstoff ist. Beim Verständnis der Werbeaussage ist zunächst einmal der Wortsinn maßgebend, wie er dem allgemeinen Sprachgebrauch entspricht. Der zweigliedrige Begriff "Textilleder" wird im allgemeinen Sprachgebrauch so verstanden, dass das Grundwort "Leder" durch den Zusatz ergänzt und dabei näher beschrieben wird. Dem entsprechenden Grundstoff "Leder" wird "Textil" zugesetzt oder das Leder wirkt wie "Textil". Der Verkehr geht nach dem Wortverständnis gerade nicht davon aus, dass der Bezug keinerlei Leder enthält. Er sieht darin kein "Leder aus Textil", weil es so etwas nach seiner Vorkenntnis nicht geben kann. Textil kann nicht die Eigenschaften des Naturstoffs "Leder" aufweisen. Insoweit unterscheidet sich der Begriff "Textilleder" auch von dem Begriff "Betonklinker" (vgl. BGH GRUR 1982, 563, 564). Mit dem Landgericht ist auch davon auszugehen, dass sich die Bezeichnung "Textilleder" jedenfalls bislang noch nicht so sehr als Synonym von Kunstleder durchgesetzt hat, dass ein erheblicher Teil der Verbraucher trotz dieser Wortbedeutung nicht mehr irregeführt werden kann. Im Duden taucht der Begriff "Textilleder" nicht auf, nur bei Wikipedia im Internet wird erwähnt, dass dieser Begriff "vermehrt" anstelle von Kunstleder gebraucht werde. Selbst wenn der Begriff von der Polstermöbelbranche seit 2006 tatsächlich mehr und mehr verwandt worden ist, heißt das aber lange noch nicht, dass den angesprochenen Verbrauchern damit auch im nötigen Umfang klar war und ist, was er bedeutet. Zunächst scheint er etwas anderes zu beschreiben als Kunstleder. Die Verbraucher, die ihn im Internet schon frühzeitig gebrauchten, sprachen deshalb auch von "Leder", nicht von Kunstleder. Gerade Leder ist auch ein Naturprodukt, das bestimmte Qualitätsvorstellungen bei den Verbrauchern erweckt. Der Begriff "Kunstleder" weist ganz ausdrücklich darauf hin, dass es um etwas Künstliches geht, das aus Preisgründen oder der praktischen Pflege wegen ersatzweise wie Leder wirken oder aussehen soll. Dem Kunstleder steht das Kunstprodukt auf der Stirn. Dieses leicht abwertende Verständnis vermeidet gerade der Begriff "Textilleder". Die in Bezug genommenen Textilien können sowohl aus Naturprodukten als auch aus Kunststoffen bestehen. Es bleibt offener, ob es sich um etwas Künstliches handelt. Gerade deshalb wird nicht allgemein deutlich, dass es sich auch dabei um Kunstleder handelt. Auch vom optischen Eindruck der entsprechenden Angebote ist das Textilleder vom echten Leder kaum zu unterscheiden, was auch gerade so gewollt ist. Die mit dem Naturstoff Leder verbundene Qualitätsvorstellung wird in gewisser Weise auf das Textilleder transportiert. Wird "Leder" in der Kombination mit "Textil" zur Beschreibung der Polstermöbel verwendet, mit dem der angesprochene Verbraucher ohnehin das Material Leder gedanklich in Verbindung bringen kann, liegt es für ihn nahe, dass in dem Bezug der Möbel jedenfalls Leder enthalten ist. Der Verbraucher mit einer solchen Vorstellung nimmt jedenfalls ohne ausdrücklichen Hinweis nicht an, dass es sich bei dem "Textilleder" nur um eine andere Art von Kunstleder handelt. Daran ändert es auch nichts, dass hier verhältnismäßig preisgünstige Polstermöbel angeboten werden.

OLG Bamberg, Urt. v. 21.3.2012, 3 U 219/11, II.2.b - Textilleder

Auszugehen ist davon, dass künstliche Erzeugnisse grundsätzlich nicht mit Bezeichnungen versehen werden dürfen, die der Verkehr für Naturerzeugnisse verwendet oder die auf solche hindeuten. Dies gilt auch, wenn die Bezeichnung eines künstlichen Produktes an die Bezeichnung natürlicher Stoffe angelehnt wird.

Geschieht dies durch zusammengesetzte Worte, ist nach dem deutschen Sprachgebrauch in der Regel davon auszugehen, dass der letzte Wortbestandteil den Gegenstand, der vorangestellte Zusatz hingegen die besondere Eigenschaften dieses Gegenstands, etwa seine stoffliche Beschaffenheit, kennzeichnet (ebenso BGH, GRUR 1967, 600 - Rhenodur). … Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der zweite Wortbestandteil als Gattungsbegriff darstellt oder durch den vorangestellten Zusatz völlig eindeutig eine abweichende Eigenschaft des Produkts offengelegt wird.

Bei Anwendung dieser Grundsätze muss die Bezeichnung "Textilleder" als irreführend angesehen werden.

Unter "Leder" versteht der Verkehr ein natürliches, durch Gerben von tierischen Häuten und Fellen hergestelltes Produkt. …

Etwas anderes gilt lediglich für "Kunstleder". Dieser Begriff ist aber zum einen seit Jahrzehnten eingeführt und schon deshalb in seiner Bedeutung für alle Verbraucher klar. Zum anderen wird durch das vorangestellte Wort "Kunst" unmissverständlich offengelegt, dass es sich insgesamt um kein Naturprodukt handelt.

Damit handelt es sich bei der Bezeichnung "Textilleder" um einen zumindest mehrdeutigen Begriff mit der Folge, dass die Beklagte alle möglichen Bedeutungen gegen sich gelten lassen muss (Köhler/Bornkamm, UWG, § 5 Rdnr. 2.111 m. zahlr. Nachw.).

Die Bezeichnung ist geeignet, bei einem erheblichen Teil der Verbraucher Fehlvorstellungen hervorzurufen. …

Da es einen eingeführten Begriff für Bezugsstoffe gibt, die wie Leder aussehen, aber nicht aus Leder bestehen, nämlich den Begriff "Kunstleder", spricht auch einiges dafür, dass mit der Verwendung des Begriffs "Textilleder" die wahre Qualität der fraglichen Bezugsstoffe verschleiert werden soll. Die dabei - bewusst oder unbewusst - hervorgerufenen Fehlvorstellungen sind wettbewerbsrechtlich relevant, weil sie generell geeignet sind, die Kaufentscheidung der angesprochenen Verbraucher zu beeinflussen. Dazu genügt es bereits, dass die Werbung der Beklagten Verbraucher veranlasst, ein Geschäftslokal der Beklagten aufzusuchen.