KG, Urt. v. 1.12.2020, 5 U 26/19, Tz. 27
Zwar folgt aus Haustürbesuchen von Vertriebspersonen eines Unternehmers für den Marktteilnehmer eine “Belästigung“ im Sinne von § 7 Abs. 1 S. 1 UWG. ...
Bei einem Klingeln der Vertriebsperson an der Haustür muss der Verbraucher seine aktuelle Tätigkeit unterbrechen, um zur Tür zu gehen und nachzusehen, wer der Besucher ist. Darüber hinaus muss sich der Verbraucher das Anliegen der Vertriebsperson anhören, um dann gegebenenfalls ablehnend die Tür zu schließen. Dabei besteht auch die Gefahr, dass der Verbraucher von geschulten Vertriebspersonen in ein längeres Gespräch verwickelt wird, ehe er sich in der Lage sieht, die Tür zu schließen. In jedem Fall aber wird dem Verbraucher ein Besuch aufgedrängt, den dieser unabhängig von dem Inhalt der Werbung vielfach als störend empfindet.
Es fehlt hier jedoch an einer “Unzumutbarkeit“ der Belästigung. Die Belästigung, die typischerweise aus einem weder angekündigten noch verabredeten Haustürbesuch folgt, ist für den Verbraucher nicht unzumutbar.
KG, Urt. v. 1.12.2020, 5 U 26/19, Tz. 32 f
Die Frage, ob die mit einer unbestellten Haustürwerbung typischerweise einhergehende Belästigung für den Marktteilnehmer unzumutbar ist, wird in Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet.
In der Literatur wird Haustürwerbung verbreitet – insbesondere unter Hinweis auf eine noch größere belästigende Wirkung als bei einer Telefonwerbung – als unzumutbare Belästigung angesehen und insoweit nicht nur eine Ankündigung des Hausbesuches gefordert, sondern sogar eine (ausdrückliche oder mutmaßliche) Einwilligung des Verbrauchers (Hecker, WRP 2006, 640, 644; Beater, Unlauterer Wettbewerb, 2011, Rn. 2443 ff.; Reich, GRUR 2011, 589, 595; MüKoUWG/Leible, 3. Auflage, UWG § 7 Rn. 241; Mankowski in: Fezer/Büscher/Obergfell, UWG, 3. Auflage, § 7 Rn. 311; Menebröcker in: Göttingen/Nordemann, UWG, 3. Auflage, § 7 Rn. 139; Ohly in: Ohly/Sosnitza, UWG, 7. Auflage, § 7 Rn. 80; Schöler in: Harte-Bavendamm, Henning-Bodewig, UWG, 4. Auflage, § 7 Rn. 93; Köhler in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Auflage, § 7 Rn. 46 ff.; Hasselblatt/Zarn in: Gloy/Loschelder/Dankwerts, Wettbewerbsrecht, 5. Auflage, § 61 Rn. 60; Pahlow in: Teplitzky/Peifer/Leistner, UWG, 3. Auflage, § 7 Rn. 64). Ein anderer Teil der Literatur lehnt hingegen – unter Hinweis auf den geringen Umfang und die hohen Kosten der Haustürwerbung sowie eine daraus folgende geringe Nachahmungsgefahr – die Annahme einer unzumutbaren Belästigung ab (Fernandez-Novoa, GRUR Int. 1973, 436, 440; Lehmann, GRUR 1974, 133; Hefermehl, GRUR 1980, 622, 626 f; Ulmer, WRP 1986, 445, 454; Möller, WRP 2010, 321, 323; Koch in: jurisPK-UWG, 4. Auflage, § 7 Rn. 67; Büscher in: Büscher, UWG, § 7 Rn. 76; Bittner, WRP 2019, 1529 Rn. 17 ff.).
Der BGH hat bereits in älteren Entscheidungen keinen Anlass gesehen, den Hausbesuch zu Werbezwecken generell einzuschränken, etwa durch das Erfordernis einer Ankündigung oder einer Erlaubnis des Verbrauchers. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände (zukünftige Bestattungsaufträge, Zusendung unbestellter Waren mit Ankündigung eines Vertreterbesuches, Grabsteinaufträge vor Ablauf von vier Wochen nach dem Todesfall; Aufforderung zur Einholung von Informationen mit tatsächlich nachfolgendem Vertreterbesuch, Grabsteinaufträge nach dem Todesfall auch ohne zeitliche Begrenzung, Gewinnübermittlung durch Verkaufsvertreter) hat er im jeweiligen Einzelfall den Hausbesuch zu Werbezwecken als unlauter angesehen (BGH, Urt. v. 08.07.1955, I ZR 52/54, GRUR 1955, 541, 542; ...; Urt. v. 22.09.1972, I ZR 104/71 – Gewinnübermittlung). In mehreren Entscheidungen hat der BGH ausdrücklich ausgeführt, dass unangekündigte Besuche von Vertriebspersonen grundsätzlich wettbewerbsrechtlich erlaubt sind, weil historische Gegebenheiten den Schutz des erworbenen Besitzstandes rechtfertigen und weil üblicherweise jedermann frei in seiner Entscheidung ist, ob er einem ungebetenen Vertreter den Zutritt ins Haus gestatten will oder nicht und es erwartet werden kann, dass der Verbraucher von dieser Freiheit Gebrauch macht (Urt. v. 19.06.1970, I ZR 115/68 – Telefonwerbung I; ...; Urt. v. 18.06.2014, I ZR 242/12, Tz. 29 – Geschäftsführerhaftung). Die grundsätzliche wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit unerlaubter Besuche von Vertriebspersonen hat der BGH dabei nicht nur nebenbei erwähnt (wie in den Entscheidungen Urt. v. 19.06.1970, I ZR 115/68 – Telefonwerbung I; ...; Urt. v. 18.06.2014, I ZR 242/12, Rn. 29 – Geschäftsführerhaftung), sondern auch als tragend seiner – den jeweiligen Vertreterbesuch erlaubenden – Entscheidung zugrunde gelegt (Urt. v. 16.12.1993, I ZR 285/91 – Lexikothek; Urt. v. 05.05.1994, I ZR 168/92 – Schriftliche Voranmeldung). Unzulässig ist die unangekündigte Kontaktaufnahme im häuslichen Bereich hiernach nur dann, wenn aufgrund besonderer Umstände die Gefahr einer untragbaren oder sonst wettbewerbswidrigen Belästigung und Beunruhigung des privaten Lebensbereichs gegeben ist (BGH Urt. v. 05.05.1994, I ZR 168/92 – Schriftliche Voranmeldung).
Auch der Senat ist bislang davon ausgegangen, dass Haustürwerbung unabhängig davon grundsätzlich zulässig ist, ob der Termin angekündigt worden oder der Verbraucher in den Besuch (ausdrücklich oder konkludent) eingewilligt hatte (vgl. Senat, Urt. v. 14.07.1992, 5 U 5237/89, BeckRS 1992, 01453 Tz. 33). Er sieht auch nach erneuter Prüfung keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Die zur Feststellung der Unzumutbarkeit i.S. von § 7 Abs. 1 UWG gebotene Interessenabwägung führt vielmehr zu dem Ergebnis, dass die berechtigten Interessen der Verbraucher daran, vor der Haustürwerbung verschont zu bleiben, die Interessen der Beklagten, Haustürbesuche auch ohne Einwilligung oder Vorankündigung durchzuführen, grundsätzlich nicht überwiegen.
KG, Urt. v. 1.12.2020, 5 U 26/19, Tz. 40, 43
Die entscheidenden Unterschiede zwischen der unerlaubten Telefonwerbung und einer Werbung mittels Besuchs durch eine Vertriebsperson liegen nach Auffassung des Senats vielmehr in der unterschiedlichen Anzahl dieser Werbungen gegenüber dem einzelnen Verbraucher und in der bei der Telefonwerbung deutlich größeren Nachahmungsgefahr. Unerwünschte Besuche von Vertriebspersonen erhält der einzelne Verbraucher typischerweise allenfalls an sehr wenigen Tagen im Jahr. Telefonwerbung kann den einzelnen Verbraucher dagegen monatlich an sogar mehreren Tagen treffen, und dies trotz des geltenden ausdrücklichen Verbots der unerwünschten Telefonwerbung. Hintergrund ist schon an dieser Stelle der ungleich größere Kostenaufwand der Besuche von Vertriebspersonen im Vergleich zur Telefonwerbung. ...
Es mag möglich sein, dass sich Haustürwerbung zukünftig in bestimmten Branchen in einem größeren Umfang als bislang als wirtschaftlich erfolgreich erweisen kann, auch wenn der Direktvertrieb zunehmend auf eine Konkurrenz mit dem häufig kostengünstigeren Onlinehandel trifft, so dass ein wirtschaftliches Bedürfnis der Verbraucher an jener Absatzform auch sinken könnte (vgl. Koch in: jurisPK-UWG, 4. Auflage, § 7 Rn. 71; Pahlow, aaO, § 7 Rn. 66), zumal das Bedürfnis des Verbrauchers nach einer persönlichen Beratung zielgerichteter über den stationären Handel und häufig auch über den Internethandel abgedeckt werden kann (vgl. hierzu auch Koch in: juris PK-UWG, 4. Auflage, § 7 Rn. 71). Eine entsprechende Entwicklung ist derzeit nicht konkret absehbar. ... Es kann zwanglos die weitere Entwicklung abgewartet werden, bis sich eine drohende Häufung von Vertreterbesuchen aufgrund eingetretener Veränderungen oder bestimmter Entwicklungen näher abzeichnet. Ein solches Abwarten erscheint auch im Hinblick auf einen gewissen Besitzstand der Unternehmer geboten. Das Wandergewerbe gehört zu den ältesten Handelsformen. Unangekündigte Haustürbesuche sind bis heute vom Gesetzgeber und von der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht ausdrücklich untersagt oder allgemein eingeschränkt worden (Urt. v. 19.06.1970, I ZR 115/68 – Telefonwerbung I), sondern als im Rahmen einer traditionell zulässigen gewerblichen Betätigung liegend betrachtet worden (BGH, Urt. v. 05.05.1994, I ZR 168/92 – Schriftliche Voranmeldung). Auch vor diesem Hintergrund erscheinen wettbewerbsrechtliche Einschränkungen nur dann als angemessen, wenn neuere Entwicklungen in der Gesellschaft hierzu ausreichenden Anlass geben (vgl. auch Urt. v. 05.05.1994, I ZR 168/92 – Schriftliche Voranmeldung).
KG, Urt. v. 1.12.2020, 5 U 26/19, Tz. 46
Die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit eines Haustürbesuchs ist nicht zwingend davon abhängig, dass der Unternehmer diesen (schriftlich) ankündigt. Der Aufwand, der aus einem solchen Erfordernis für die Unternehmen folgen würde, wäre beträchtlich, zumal eine Datengrundlage geschaffen werden müsste, die Aufschluss darüber gibt, welche Verbraucher eine entsprechende Benachrichtigung erhalten haben. Demgegenüber wäre der Vorteil für den Schutz der Privatsphäre des Verbrauchers durch eine vorangehende Ankündigung eines Vertreterbesuches gering. In der Ankündigung kann typischerweise ohnehin nur ein Zeitfenster angegeben werden, in dem der Besuch stattfinden soll. Bei einem Klingeln an der Haustür innerhalb dieses Zeitfensters weiß der Verbraucher aber noch nicht sicher, ob die angekündigte Vertriebsperson, ein Freund, Bekannter oder ob sonst wer Einlass begehrt. Der Verbraucher muss also auch bei einer vorhergehenden Ankündigung des Besuchs seine aktuelle Tätigkeit unterbrechen und zur Haustür gehen, um näheres zu erfahren. Er mag dann nicht mehr so überrascht sein, wenn der Vertreter sein Begehren vorträgt (vgl. BGH, Urt. v. 05.05.1994 – I ZR 168/92 –, Rn. 12, juris – Schriftliche Voranmeldung). Dieser Vorteil wird aber aufgewogen durch den Nachteil, dass der Verbraucher sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen könnte, er hätte aufgrund der schriftlichen Voranmeldung den Vertreterbesuch rechtzeitig absagen können (vgl. BGH, Urt. v. 05.05.1994 – I ZR 168/92 –, Rn. 13, juris – Schriftliche Voranmeldung). So führt die schriftliche Voranmeldung des Besuchs zwar nicht zu einer weitergehenden Belästigung als der unangekündigte Vertreterbesuch, er kann aber eigene Beschwernisse für den Verbraucher haben. Insgesamt wäre daher das Erfordernis einer vorherigen Ankündigung des Besuchs angesichts der geringen Vorteile für den Verbraucher und der sehr erheblichen Nachteile für den Unternehmer unverhältnismäßig.