Ihr Rechtsanwalt im Wettbewerbsrecht
Dr. Hermann-Josef Omsels*

Eine Darstellung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb und wettbewerbsrechtlicher Nebengesetze



 

3. Besonders schutzbedürftige Verbraucher

Wenn die geschäftliche Handlung sich für den Unternehmer erkennbar an besonders schutzbedürftige Verbraucher wie Kinder und Jugendliche, alte Menschen, Behinderte etc richtet, sind bei der rechtlichen Beurteilung deren Erkenntnismöglichkeiten zu berücksichtigen. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 3 Abs. 4 S. 2 UWG:

§ 3 Abs. 4 UWG

Bei der Beurteilung von geschäftlichen Handlungen gegenüber Verbrauchern ist auf den durchschnittlichen Verbraucher oder, wenn sich die geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Geschäftliche Handlungen, die für den Unternehmer vorhersehbar das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrunde liegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, sind aus der Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen.

§ 3 Abs. 4 UWG ist im Lichte des Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie (EG) 2005/29 über unlautere Geschäftspraktiken zu lesen.

Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund von geistigen oder körperlichen Gebrechen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese Praktiken oder die ihnen zugrunde liegenden Produkte besonders schutzbedürftig sind, werden aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe beurteilt. Die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, bleibt davon unberührt.

Der Unternehmer ist demgemäß nicht verpflichtet, bei jeder geschäftlichen Handlung zu berücksichtigen, dass Sie sich auch an besonders schutzbedürftigen Personenkreise richten könnte. Er muss sich auf besonders schutzbedürftigen Personen als Adressaten der geschäftlichen Handlung nur einstellen, wenn für ihn unter Anwendung der fachlichen Sorgfalt vorhersehbar ist, dass die geschäftliche Handlung sich an einem besonders schutzbedürftigen Personenkreis richtet. Diese Frage beurteilt sich nicht nach der subjektiven Einschätzung des Unternehmens, sondern nach objektiven Umständen, die ihm vor der geschäftlichen Handlung bekannt sind oder bekannt sein müssten.

Siehe zum Anwendungsbereich und zur Abrenzung von § 3 Abs. 4 S. 2 UWG auch unter Verkehrskreise. Zu Werbung gegenüber Kindern siehe Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG.

Die folgende Entscheidung stammt aus der Zeit vor der UWG-Reform 2015, zu der sich die Regelung des heutigen § 3 Abs. 4 S. 2 UWG noch in § 3 Abs. 2 S. 3 UWG (a.F.) befand.

BGH, Urt. v. 12.12.2013, I ZR 192/12, Tz. 14, 16f - Goldbärenbarren

Nach § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG ist auf die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds einer unter anderem aufgrund von Alter oder Leichtgläubigkeit besonders schutzbedürftigen und eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern abzustellen, wenn eine Werbung für den Unternehmer vorhersehbar nur diese Gruppe betrifft. Diese Bestimmung dient der Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken und ist daher richtlinienkonform auszulegen. Daraus ergibt sich, dass das Tatbestandsmerkmal "nur diese Gruppe betrifft" in § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG zu verstehen ist im Sinne von "nur das wirtschaftliche Verhalten (einer der bestimmt bezeichneten besonders schutzbedürftigen Verbrauchergruppen) wesentlich beeinflusst" (vgl. auch Erwägungsgründe 18 Satz 3 und 19 der Richtlinie 2005/29/ EG).

Nicht erforderlich ist, dass sich eine geschäftliche Handlung an eine bestimmte Gruppe schutzbedürftiger Verbraucher "wendet" (vgl. § 3 Abs. 2 Satz 2 UWG) oder - wie bei Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG (vgl. Rn. 30) - auf sie abzielt. Für die Anwendung von Satz 3 ist es vielmehr erforderlich, aber auch ausreichend, dass die geschäftliche Handlung voraussichtlich und vorhersehbar allein das geschäftliche Verhalten dieser Verbrauchergruppe wesentlich beeinflusst. …

Danach ist der strengere Prüfungsmaßstab des § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG nicht schon heranzuziehen, wenn möglicherweise auch Kinder und Jugendliche durch die fragliche Geschäftspraktik beeinflusst werden, weil sie jedenfalls auch von ihr angesprochen werden. … Der von der Richtlinie bezweckte Schutz der Kinder und Jugendlichen wird im deutschen Recht durch die Nr. 28 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG und durch § 4 Nr. 2 UWG gewährleistet. Da § 4 Nr. 2 UWG nicht erfordert, dass eine geschäftliche Handlung nur auf schutzbedürftige Verbraucher abzielt oder sich nur ihnen gegenüber auswirken kann, reicht es dort aus, dass sich eine Werbung jedenfalls auch gezielt an Kinder und Jugendliche wendet.

BGH, Urt. v. 12.12.2013, I ZR 192/12, Tz. 21, 23 - Goldbärenbarren

Anders als bei Satz 3 kommt es bei § 3 Abs. 2 Satz 2 Fall 2 UWG nicht auf die Verhaltensbeeinflussung, sondern auf die Zielrichtung der Werbung an. Erforderlich ist, dass sie sich an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, sie also gezielt anspricht.

BGH, Urt. v. 9.9.2021, I ZR 90/20, Tz. 80 - Influencerin I

Auf die Sicht eines durchschnittlichen Mitglieds einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern, die auf Grund von geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Alter oder Leichtgläubigkeit im Hinblick auf diese geschäftlichen Handlungen oder die diesen zugrundeliegenden Waren oder Dienstleistungen besonders schutzbedürftig sind, insbesondere Kinder und Jugendliche, ist gemäß § 3 Abs. 4 Satz 2 UWG nicht schon dann abzustellen, wenn möglicherweise auch diese durch die fragliche geschäftliche Handlung beeinflusst werden, sondern erst dann, wenn voraussichtlich und vorhersehbar allein das geschäftliche Verhalten dieser Verbrauchergruppe wesentlich beeinflusst wird.

Die folgenden Urteile stammen aus der Zeit vor Umsetzung der UGP-Richtlinie.

BGH, Urt. v. 6.4.2006, I ZR 125/03, Tz. 19 f – Werbung für Klingeltöne

Wendet sich der Werbende gezielt an eine bestimmte Bevölkerungsgruppe (z.B. Kinder und Jugendliche), so muss er sich an einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Angehörigen dieser Gruppe. Dementsprechend können Handlungen, die gegenüber einer nicht besonders schutzwürdigen Zielgruppe noch zulässig sind, gegenüber geschäftlich Unerfahrenen unzulässig sein.

Allerdings muss sich die Werbung - zumindest auch - gezielt an Kinder oder Jugendliche wenden, … . Durch das Erfordernis der Zielgerichtetheit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass bei der Beurteilung von Wettbewerbshandlungen grundsätzlich auf den Durchschnittsverbraucher des angesprochenen Verkehrskreises abzustellen ist. In vielen Fällen wird Werbung sowohl von Erwachsenen als auch von Minderjährigen wahrgenommen. Solche Werbung ist nicht stets auch am Maßstab zu messen, der für Kinder und Jugendliche gilt.

BGH, Urt. v. 12.7.2007, I ZR 82/05, Tz. 17 – Tony Taler

Anders als bei Kindern und Jugendlichen, die für Beeinflussungen stärker empfänglich sind, kommt bei Erwachsenen eine Beeinträchtigung ihrer Entscheidungsfreiheit nur ausnahmsweise in Betracht. Eine Werbung ist insbesondere nicht bereits deshalb unlauter, weil sie geeignet ist und darauf abzielt, bei Kindern und Jugendlichen Kaufwünsche zu wecken, die diese anschließend bei ihren Eltern anmelden. Es gehört zu den Grundlagen jeder Erziehung, Kindern verständlich zu machen, dass nicht alle Wünsche erfüllt werden können. Ein vernünftiger Erziehungsberechtigter ist im Allgemeinen in der Lage, Kaufwünschen, die von seinen Kindern an ihn herangetragen werden, auch ablehnend zu begegnen. Dies entspricht dem für das Wettbewerbsrecht maßgeblichen Leitbild des durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers, der mit den Marktgegebenheiten vertraut ist. Die Tatsache allein, dass seine Kinder ihn mehr oder weniger intensiv mit Wünschen bedrängen, steht daher einer rationalen Entscheidung des Erziehungsberechtigten über den Kauf eines Produkts grundsätzlich nicht entgegen

Zitiervorschlag zur aktuellen Seite

Omsels, Online-Kommentar zum UWG:

http://www.webcitation.org/6DO68K0jn